Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Kapitel. §. 17.
viduen zu Vorfahren Jesu macht, als Matthäus. Zwar
stimmen sie in der Angabe derselben nicht allein darin
überein, dass beide das Geschlecht Jesu durch Joseph
auf David und Abraham zurückführen, sondern auch
in Bezug auf die Mittelglieder, durch welche sie diess
thun, treffen sie in den Generationen von Abraham bis
David, und später in den beiden Namen Sealthiel und Se-
rubabel zusammen. Der eigentlich verzweifelte Punkt ist
nun aber der, dass von David bis auf den Pflegevater Jesu,
mit Ausnahme von zweien ungefähr in der Mitte, lauter
verschiedene Namen bei Lukas und Matthäus sich finden.
Nach Matthäus nämlich hiess der Vater Josephs Jakob,
nach Lukas Eli; nach Matthäus ist der Sohn Davids, durch
welchen Joseph von diesem König abstammte, Salomo,
nach Lukas Nathan, und so läuft dann das Geschlechtsre-
gister des Matthäus durch den bekannten Königsstamm her-
unter, das bei Lukas durch eine unbekannte Nebenlinie;
nur in Sealthiel und Serubabel treffen beide zusammen,
doch so, dass sie sogleich wieder Sealthiels Vater und den
Sohn Serubabels verschieden haben. Da diese Differenz
ein vollkommener Widerspruch zu sein scheint: so ist man
von jeher mit Lösungsversuchen äusserst geschäftig gewe-
sen. Um von offenbar ungenügenden Auswegen, wie my-
stischer Deutung 3) oder willkührlicher Änderung der Na-
men 4) nichts zu sagen, so haben sich besonders zwei Hy-
pothesenpaare ausgebildet, von welchen je ein Paar sich
gegenseitig stützt oder doch verwandt ist.

Das erste Paar bilden die Voraussetzung des Augusti-
nus, dass bei Joseph ein Adoptionsverhältniss stattgefun-
den, und nun der eine Evangelist seinen wirklichen, der
andre seinen Adoptiv-Vater nebst dessen Stammbaum gebe 5),

3) Orig. homil. in Lucam 28.
4) Luther, Werke Bd. 14. Walch. Ausg. S. 8 ff.
5) De consensu Evangelistarum, 1. 2. c. 3. und unter den Neue-
ren z. B. E. F. in Henke's Magazin 5, 1, 180 f.

Zweites Kapitel. §. 17.
viduen zu Vorfahren Jesu macht, als Matthäus. Zwar
stimmen sie in der Angabe derselben nicht allein darin
überein, daſs beide das Geschlecht Jesu durch Joseph
auf David und Abraham zurückführen, sondern auch
in Bezug auf die Mittelglieder, durch welche sie dieſs
thun, treffen sie in den Generationen von Abraham bis
David, und später in den beiden Namen Sealthiel und Se-
rubabel zusammen. Der eigentlich verzweifelte Punkt ist
nun aber der, daſs von David bis auf den Pflegevater Jesu,
mit Ausnahme von zweien ungefähr in der Mitte, lauter
verschiedene Namen bei Lukas und Matthäus sich finden.
Nach Matthäus nämlich hieſs der Vater Josephs Jakob,
nach Lukas Eli; nach Matthäus ist der Sohn Davids, durch
welchen Joseph von diesem König abstammte, Salomo,
nach Lukas Nathan, und so läuft dann das Geschlechtsre-
gister des Matthäus durch den bekannten Königsstamm her-
unter, das bei Lukas durch eine unbekannte Nebenlinie;
nur in Sealthiel und Serubabel treffen beide zusammen,
doch so, daſs sie sogleich wieder Sealthiels Vater und den
Sohn Serubabels verschieden haben. Da diese Differenz
ein vollkommener Widerspruch zu sein scheint: so ist man
von jeher mit Lösungsversuchen äusserst geschäftig gewe-
sen. Um von offenbar ungenügenden Auswegen, wie my-
stischer Deutung 3) oder willkührlicher Änderung der Na-
men 4) nichts zu sagen, so haben sich besonders zwei Hy-
pothesenpaare ausgebildet, von welchen je ein Paar sich
gegenseitig stützt oder doch verwandt ist.

Das erste Paar bilden die Voraussetzung des Augusti-
nus, daſs bei Joseph ein Adoptionsverhältniſs stattgefun-
den, und nun der eine Evangelist seinen wirklichen, der
andre seinen Adoptiv-Vater nebst dessen Stammbaum gebe 5),

3) Orig. homil. in Lucam 28.
4) Luther, Werke Bd. 14. Walch. Ausg. S. 8 ff.
5) De consensu Evangelistarum, 1. 2. c. 3. und unter den Neue-
ren z. B. E. F. in Henke's Magazin 5, 1, 180 f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0141" n="117"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Kapitel</hi>. §. 17.</fw><lb/>
viduen zu Vorfahren Jesu macht, als Matthäus. Zwar<lb/>
stimmen sie in der Angabe derselben nicht allein darin<lb/>
überein, da&#x017F;s beide das Geschlecht Jesu durch Joseph<lb/>
auf David und Abraham zurückführen, sondern auch<lb/>
in Bezug auf die Mittelglieder, durch welche sie die&#x017F;s<lb/>
thun, treffen sie in den Generationen von Abraham bis<lb/>
David, und später in den beiden Namen Sealthiel und Se-<lb/>
rubabel zusammen. Der eigentlich verzweifelte Punkt ist<lb/>
nun aber der, da&#x017F;s von David bis auf den Pflegevater Jesu,<lb/>
mit Ausnahme von zweien ungefähr in der Mitte, lauter<lb/>
verschiedene Namen bei Lukas und Matthäus sich finden.<lb/>
Nach Matthäus nämlich hie&#x017F;s der Vater Josephs Jakob,<lb/>
nach Lukas Eli; nach Matthäus ist der Sohn Davids, durch<lb/>
welchen Joseph von diesem König abstammte, Salomo,<lb/>
nach Lukas Nathan, und so läuft dann das Geschlechtsre-<lb/>
gister des Matthäus durch den bekannten Königsstamm her-<lb/>
unter, das bei Lukas durch eine unbekannte Nebenlinie;<lb/>
nur in Sealthiel und Serubabel treffen beide zusammen,<lb/>
doch so, da&#x017F;s sie sogleich wieder Sealthiels Vater und den<lb/>
Sohn Serubabels verschieden haben. Da diese Differenz<lb/>
ein vollkommener Widerspruch zu sein scheint: so ist man<lb/>
von jeher mit Lösungsversuchen äusserst geschäftig gewe-<lb/>
sen. Um von offenbar ungenügenden Auswegen, wie my-<lb/>
stischer Deutung <note place="foot" n="3)">Orig. homil. in Lucam 28.</note> oder willkührlicher Änderung der Na-<lb/>
men <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#k">Luther</hi>, Werke Bd. 14. Walch. Ausg. S. 8 ff.</note> nichts zu sagen, so haben sich besonders zwei Hy-<lb/>
pothesenpaare ausgebildet, von welchen je ein Paar sich<lb/>
gegenseitig stützt oder doch verwandt ist.</p><lb/>
            <p>Das erste Paar bilden die Voraussetzung des Augusti-<lb/>
nus, da&#x017F;s bei Joseph ein Adoptionsverhältni&#x017F;s stattgefun-<lb/>
den, und nun der eine Evangelist seinen wirklichen, der<lb/>
andre seinen Adoptiv-Vater nebst dessen Stammbaum gebe <note place="foot" n="5)">De consensu Evangelistarum, 1. 2. c. 3. und unter den Neue-<lb/>
ren z. B. E. F. in <hi rendition="#k">Henke</hi>'s Magazin 5, 1, 180 f.</note>,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0141] Zweites Kapitel. §. 17. viduen zu Vorfahren Jesu macht, als Matthäus. Zwar stimmen sie in der Angabe derselben nicht allein darin überein, daſs beide das Geschlecht Jesu durch Joseph auf David und Abraham zurückführen, sondern auch in Bezug auf die Mittelglieder, durch welche sie dieſs thun, treffen sie in den Generationen von Abraham bis David, und später in den beiden Namen Sealthiel und Se- rubabel zusammen. Der eigentlich verzweifelte Punkt ist nun aber der, daſs von David bis auf den Pflegevater Jesu, mit Ausnahme von zweien ungefähr in der Mitte, lauter verschiedene Namen bei Lukas und Matthäus sich finden. Nach Matthäus nämlich hieſs der Vater Josephs Jakob, nach Lukas Eli; nach Matthäus ist der Sohn Davids, durch welchen Joseph von diesem König abstammte, Salomo, nach Lukas Nathan, und so läuft dann das Geschlechtsre- gister des Matthäus durch den bekannten Königsstamm her- unter, das bei Lukas durch eine unbekannte Nebenlinie; nur in Sealthiel und Serubabel treffen beide zusammen, doch so, daſs sie sogleich wieder Sealthiels Vater und den Sohn Serubabels verschieden haben. Da diese Differenz ein vollkommener Widerspruch zu sein scheint: so ist man von jeher mit Lösungsversuchen äusserst geschäftig gewe- sen. Um von offenbar ungenügenden Auswegen, wie my- stischer Deutung 3) oder willkührlicher Änderung der Na- men 4) nichts zu sagen, so haben sich besonders zwei Hy- pothesenpaare ausgebildet, von welchen je ein Paar sich gegenseitig stützt oder doch verwandt ist. Das erste Paar bilden die Voraussetzung des Augusti- nus, daſs bei Joseph ein Adoptionsverhältniſs stattgefun- den, und nun der eine Evangelist seinen wirklichen, der andre seinen Adoptiv-Vater nebst dessen Stammbaum gebe 5), 3) Orig. homil. in Lucam 28. 4) Luther, Werke Bd. 14. Walch. Ausg. S. 8 ff. 5) De consensu Evangelistarum, 1. 2. c. 3. und unter den Neue- ren z. B. E. F. in Henke's Magazin 5, 1, 180 f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/141
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/141>, abgerufen am 02.05.2024.