Es war vor Allerheiligen, im October. Tag über hatte es stark aus Südwest gestürmt; Abends stand ein halber Mond am Himmel, dunkel- braune Wolken jagten überhin, und Schatten und trübes Licht flogen auf der Erde durcheinander; der Sturm war im Wachsen. Im Zimmer des Deichgrafen stand noch der geleerte Abendtisch; die Knechte waren in den Stall gewiesen, um dort des Viehes zu achten; die Mägde mußten im Hause und auf den Böden nachsehen, ob Thüren und Luken wohl verschlossen seien, daß nicht der Sturm hineinfasse und Unheil anrichte. Drinnen stand Hauke neben seiner Frau am Fenster; er hatte eben sein Abendbrot hinabgeschlungen; er war draußen auf dem Deich gewesen. Zu Fuße war er hinaus- getrabt, schon früh am Nachmittag; spitze Pfähle und Säcke voll Klei oder Erde hatte er hie und dort, wo der Deich eine Schwäche zu verrathen schien, zusammentragen lassen; überall hatte er Leute angestellt, um die Pfähle einzurammen und mit den Säcken vorzudämmen, sobald die Fluth den Deich zu schädigen beginne; an dem Winkel zu Nordwesten, wo der alte und der neue Deich zu- sammenstießen, hatte er die meisten Menschen hin-
Es war vor Allerheiligen, im October. Tag über hatte es ſtark aus Südweſt geſtürmt; Abends ſtand ein halber Mond am Himmel, dunkel- braune Wolken jagten überhin, und Schatten und trübes Licht flogen auf der Erde durcheinander; der Sturm war im Wachſen. Im Zimmer des Deichgrafen ſtand noch der geleerte Abendtiſch; die Knechte waren in den Stall gewieſen, um dort des Viehes zu achten; die Mägde mußten im Hauſe und auf den Böden nachſehen, ob Thüren und Luken wohl verſchloſſen ſeien, daß nicht der Sturm hineinfaſſe und Unheil anrichte. Drinnen ſtand Hauke neben ſeiner Frau am Fenſter; er hatte eben ſein Abendbrot hinabgeſchlungen; er war draußen auf dem Deich geweſen. Zu Fuße war er hinaus- getrabt, ſchon früh am Nachmittag; ſpitze Pfähle und Säcke voll Klei oder Erde hatte er hie und dort, wo der Deich eine Schwäche zu verrathen ſchien, zuſammentragen laſſen; überall hatte er Leute angeſtellt, um die Pfähle einzurammen und mit den Säcken vorzudämmen, ſobald die Fluth den Deich zu ſchädigen beginne; an dem Winkel zu Nordweſten, wo der alte und der neue Deich zu- ſammenſtießen, hatte er die meiſten Menſchen hin-
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Es war vor Allerheiligen, im October. Tag
über hatte es ſtark aus Südweſt geſtürmt; Abends
ſtand ein halber Mond am Himmel, dunkel-
braune Wolken jagten überhin, und Schatten und
trübes Licht flogen auf der Erde durcheinander;
der Sturm war im Wachſen. Im Zimmer des
Deichgrafen ſtand noch der geleerte Abendtiſch; die
Knechte waren in den Stall gewieſen, um dort
des Viehes zu achten; die Mägde mußten im Hauſe
und auf den Böden nachſehen, ob Thüren und
Luken wohl verſchloſſen ſeien, daß nicht der Sturm
hineinfaſſe und Unheil anrichte. Drinnen ſtand
Hauke neben ſeiner Frau am Fenſter; er hatte eben
ſein Abendbrot hinabgeſchlungen; er war draußen
auf dem Deich geweſen. Zu Fuße war er hinaus-
getrabt, ſchon früh am Nachmittag; ſpitze Pfähle
und Säcke voll Klei oder Erde hatte er hie und
dort, wo der Deich eine Schwäche zu verrathen
ſchien, zuſammentragen laſſen; überall hatte er
Leute angeſtellt, um die Pfähle einzurammen und
mit den Säcken vorzudämmen, ſobald die Fluth den
Deich zu ſchädigen beginne; an dem Winkel zu
Nordweſten, wo der alte und der neue Deich zu-
ſammenſtießen, hatte er die meiſten Menſchen hin-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin), April/Mai 1888. Erste Buchausgabe Berlin: Paetel 1888, diese wurde für das DTA zur Digitalisierung herangezogen.
Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/213>, abgerufen am 16.02.2025.
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