Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

damals die rauchenden Nebel, und daran entlang
waren wiederum die unheimlichen närrischen Ge-
stalten und hüpften gegen einander und dienerten
und dehnten sich plötzlich schreckhaft in die Breite.

Das Kind klammerte sich angstvoll an seinen
Vater und deckte dessen Hand über sein Gesichtlein:
"Die Seeteufel!" raunte es zitternd zwischen seine
Finger; "die Seeteufel!"

Er schüttelte den Kopf: "Nein, Wienke, weder
Wasserweiber noch Seeteufel; so Etwas gibt es
nicht; wer hat Dir davon gesagt?"

Sie sah mit stumpfem Blicke zu ihm herauf;
aber sie antwortete nicht. Er strich ihr zärtlich
über die Wangen: "Sieh nur wieder hin!" sagte
er, "das sind nur arme hungrige Vögel! Sieh
nur, wie jetzt der große seine Flügel breitet; die
holen sich die Fische, die in die rauchenden Spalten
kommen."

"Fische," wiederholte Wienke.

"Ja, Kind, das Alles ist lebig, so wie wir;
es gibt nichts Anderes; aber der liebe Gott ist
überall!"

Klein Wienke hatte ihre Augen fest auf den
Boden gerichtet und hielt den Athem an; es war,

damals die rauchenden Nebel, und daran entlang
waren wiederum die unheimlichen närriſchen Ge-
ſtalten und hüpften gegen einander und dienerten
und dehnten ſich plötzlich ſchreckhaft in die Breite.

Das Kind klammerte ſich angſtvoll an ſeinen
Vater und deckte deſſen Hand über ſein Geſichtlein:
„Die Seeteufel!” raunte es zitternd zwiſchen ſeine
Finger; „die Seeteufel!”

Er ſchüttelte den Kopf: „Nein, Wienke, weder
Waſſerweiber noch Seeteufel; ſo Etwas gibt es
nicht; wer hat Dir davon geſagt?”

Sie ſah mit ſtumpfem Blicke zu ihm herauf;
aber ſie antwortete nicht. Er ſtrich ihr zärtlich
über die Wangen: „Sieh nur wieder hin!” ſagte
er, „das ſind nur arme hungrige Vögel! Sieh
nur, wie jetzt der große ſeine Flügel breitet; die
holen ſich die Fiſche, die in die rauchenden Spalten
kommen.”

„Fiſche,” wiederholte Wienke.

„Ja, Kind, das Alles iſt lebig, ſo wie wir;
es gibt nichts Anderes; aber der liebe Gott iſt
überall!”

Klein Wienke hatte ihre Augen feſt auf den
Boden gerichtet und hielt den Athem an; es war,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0196" n="184"/>
damals die rauchenden Nebel, und daran entlang<lb/>
waren wiederum die unheimlichen närri&#x017F;chen Ge-<lb/>
&#x017F;talten und hüpften gegen einander und dienerten<lb/>
und dehnten &#x017F;ich plötzlich &#x017F;chreckhaft in die Breite.</p><lb/>
        <p>Das Kind klammerte &#x017F;ich ang&#x017F;tvoll an &#x017F;einen<lb/>
Vater und deckte de&#x017F;&#x017F;en Hand über &#x017F;ein Ge&#x017F;ichtlein:<lb/>
&#x201E;Die Seeteufel!&#x201D; raunte es zitternd zwi&#x017F;chen &#x017F;eine<lb/>
Finger; &#x201E;die Seeteufel!&#x201D;</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;chüttelte den Kopf: &#x201E;Nein, Wienke, weder<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;erweiber noch Seeteufel; &#x017F;o Etwas gibt es<lb/>
nicht; wer hat Dir davon ge&#x017F;agt?&#x201D;</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;ah mit &#x017F;tumpfem Blicke zu ihm herauf;<lb/>
aber &#x017F;ie antwortete nicht. Er &#x017F;trich ihr zärtlich<lb/>
über die Wangen: &#x201E;Sieh nur wieder hin!&#x201D; &#x017F;agte<lb/>
er, &#x201E;das &#x017F;ind nur arme hungrige Vögel! Sieh<lb/>
nur, wie jetzt der große &#x017F;eine Flügel breitet; die<lb/>
holen &#x017F;ich die Fi&#x017F;che, die in die rauchenden Spalten<lb/>
kommen.&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Fi&#x017F;che,&#x201D; wiederholte Wienke.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, Kind, das Alles i&#x017F;t lebig, &#x017F;o wie wir;<lb/>
es gibt nichts Anderes; aber der liebe Gott i&#x017F;t<lb/>
überall!&#x201D;</p><lb/>
        <p>Klein Wienke hatte ihre Augen fe&#x017F;t auf den<lb/>
Boden gerichtet und hielt den Athem an; es war,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0196] damals die rauchenden Nebel, und daran entlang waren wiederum die unheimlichen närriſchen Ge- ſtalten und hüpften gegen einander und dienerten und dehnten ſich plötzlich ſchreckhaft in die Breite. Das Kind klammerte ſich angſtvoll an ſeinen Vater und deckte deſſen Hand über ſein Geſichtlein: „Die Seeteufel!” raunte es zitternd zwiſchen ſeine Finger; „die Seeteufel!” Er ſchüttelte den Kopf: „Nein, Wienke, weder Waſſerweiber noch Seeteufel; ſo Etwas gibt es nicht; wer hat Dir davon geſagt?” Sie ſah mit ſtumpfem Blicke zu ihm herauf; aber ſie antwortete nicht. Er ſtrich ihr zärtlich über die Wangen: „Sieh nur wieder hin!” ſagte er, „das ſind nur arme hungrige Vögel! Sieh nur, wie jetzt der große ſeine Flügel breitet; die holen ſich die Fiſche, die in die rauchenden Spalten kommen.” „Fiſche,” wiederholte Wienke. „Ja, Kind, das Alles iſt lebig, ſo wie wir; es gibt nichts Anderes; aber der liebe Gott iſt überall!” Klein Wienke hatte ihre Augen feſt auf den Boden gerichtet und hielt den Athem an; es war,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/196
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/196>, abgerufen am 25.11.2024.