Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Als ich eintrat, sah ich etwa ein Dutzend
Männer an einem Tische sitzen, der unter den
Fenstern entlang lief; eine Punschbowle stand dar-
auf, und ein besonders stattlicher Mann schien
die Herrschaft über sie zu führen.

Ich grüßte und bat, mich zu ihnen setzen zu
dürfen, was bereitwillig gestattet wurde. "Sie
halten hier die Wacht!" sagte ich, mich zu jenem
Manne wendend; "es ist bös Wetter draußen; die
Deiche werden ihre Noth haben!"

"Gewiß," erwiderte er; "wir, hier an der Ost-
seite, aber glauben jetzt außer Gefahr zu sein; nur
drüben an der anderen Seite ist's nicht sicher; die
Deiche sind dort meist noch mehr nach altem
Muster; unser Hauptdeich ist schon im vorigen
Jahrhundert umgelegt. -- Uns ist vorhin da
draußen kalt geworden, und Ihnen," setzte er hin-
zu, "wird es ebenso gegangen sein; aber wir
müssen hier noch ein paar Stunden aushalten;
wir haben sichere Leute draußen, die uns Bericht
erstatten." Und ehe ich meine Bestellung bei dem
Wirthe machen konnte, war schon ein dampfendes
Glas mir hingeschoben.

Ich erfuhr bald, daß mein freundlicher Nachbar

Als ich eintrat, ſah ich etwa ein Dutzend
Männer an einem Tiſche ſitzen, der unter den
Fenſtern entlang lief; eine Punſchbowle ſtand dar-
auf, und ein beſonders ſtattlicher Mann ſchien
die Herrſchaft über ſie zu führen.

Ich grüßte und bat, mich zu ihnen ſetzen zu
dürfen, was bereitwillig geſtattet wurde. „Sie
halten hier die Wacht!” ſagte ich, mich zu jenem
Manne wendend; „es iſt bös Wetter draußen; die
Deiche werden ihre Noth haben!”

„Gewiß,” erwiderte er; „wir, hier an der Oſt-
ſeite, aber glauben jetzt außer Gefahr zu ſein; nur
drüben an der anderen Seite iſt's nicht ſicher; die
Deiche ſind dort meiſt noch mehr nach altem
Muſter; unſer Hauptdeich iſt ſchon im vorigen
Jahrhundert umgelegt. — Uns iſt vorhin da
draußen kalt geworden, und Ihnen,” ſetzte er hin-
zu, „wird es ebenſo gegangen ſein; aber wir
müſſen hier noch ein paar Stunden aushalten;
wir haben ſichere Leute draußen, die uns Bericht
erſtatten.” Und ehe ich meine Beſtellung bei dem
Wirthe machen konnte, war ſchon ein dampfendes
Glas mir hingeſchoben.

Ich erfuhr bald, daß mein freundlicher Nachbar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0019" n="7"/>
        <p>Als ich eintrat, &#x017F;ah ich etwa ein Dutzend<lb/>
Männer an einem Ti&#x017F;che &#x017F;itzen, der unter den<lb/>
Fen&#x017F;tern entlang lief; eine Pun&#x017F;chbowle &#x017F;tand dar-<lb/>
auf, und ein be&#x017F;onders &#x017F;tattlicher Mann &#x017F;chien<lb/>
die Herr&#x017F;chaft über &#x017F;ie zu führen.</p><lb/>
        <p>Ich grüßte und bat, mich zu ihnen &#x017F;etzen zu<lb/>
dürfen, was bereitwillig ge&#x017F;tattet wurde. &#x201E;Sie<lb/>
halten hier die Wacht!&#x201D; &#x017F;agte ich, mich zu jenem<lb/>
Manne wendend; &#x201E;es i&#x017F;t bös Wetter draußen; die<lb/>
Deiche werden ihre Noth haben!&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gewiß,&#x201D; erwiderte er; &#x201E;wir, hier an der O&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;eite, aber glauben jetzt außer Gefahr zu &#x017F;ein; nur<lb/>
drüben an der anderen Seite i&#x017F;t's nicht &#x017F;icher; die<lb/>
Deiche &#x017F;ind dort mei&#x017F;t noch mehr nach altem<lb/>
Mu&#x017F;ter; un&#x017F;er Hauptdeich i&#x017F;t &#x017F;chon im vorigen<lb/>
Jahrhundert umgelegt. &#x2014; Uns i&#x017F;t vorhin da<lb/>
draußen kalt geworden, und Ihnen,&#x201D; &#x017F;etzte er hin-<lb/>
zu, &#x201E;wird es eben&#x017F;o gegangen &#x017F;ein; aber wir<lb/>&#x017F;&#x017F;en hier noch ein paar Stunden aushalten;<lb/>
wir haben &#x017F;ichere Leute draußen, die uns Bericht<lb/>
er&#x017F;tatten.&#x201D; Und ehe ich meine Be&#x017F;tellung bei dem<lb/>
Wirthe machen konnte, war &#x017F;chon ein dampfendes<lb/>
Glas mir hinge&#x017F;choben.</p><lb/>
        <p>Ich erfuhr bald, daß mein freundlicher Nachbar<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0019] Als ich eintrat, ſah ich etwa ein Dutzend Männer an einem Tiſche ſitzen, der unter den Fenſtern entlang lief; eine Punſchbowle ſtand dar- auf, und ein beſonders ſtattlicher Mann ſchien die Herrſchaft über ſie zu führen. Ich grüßte und bat, mich zu ihnen ſetzen zu dürfen, was bereitwillig geſtattet wurde. „Sie halten hier die Wacht!” ſagte ich, mich zu jenem Manne wendend; „es iſt bös Wetter draußen; die Deiche werden ihre Noth haben!” „Gewiß,” erwiderte er; „wir, hier an der Oſt- ſeite, aber glauben jetzt außer Gefahr zu ſein; nur drüben an der anderen Seite iſt's nicht ſicher; die Deiche ſind dort meiſt noch mehr nach altem Muſter; unſer Hauptdeich iſt ſchon im vorigen Jahrhundert umgelegt. — Uns iſt vorhin da draußen kalt geworden, und Ihnen,” ſetzte er hin- zu, „wird es ebenſo gegangen ſein; aber wir müſſen hier noch ein paar Stunden aushalten; wir haben ſichere Leute draußen, die uns Bericht erſtatten.” Und ehe ich meine Beſtellung bei dem Wirthe machen konnte, war ſchon ein dampfendes Glas mir hingeſchoben. Ich erfuhr bald, daß mein freundlicher Nachbar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/19
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/19>, abgerufen am 28.03.2024.