Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

das nicht ganz verstünde; dann barg sie ihr auf-
fallend kleines Köpfchen in dem weiten Rocke
ihres Vaters.

"Warum versteckst Du Dich, Wienke?" raunte
der ihr zu; "ist Dir noch immer bange?" Und
ein zitterndes Stimmchen kam aus den Falten des
Rockes: "Wienke will lieber nicht sehen; aber Du
kannst doch Alles, Vater?"

Ein ferner Donner rollte gegen den Wind
herauf. "Hoho!" rief Hauke, "da kommt es!" und
wandte sein Pferd zur Rückkehr. "Nun wollen
wir heim zur Mutter!"

Das Kind that einen tiefen Athemzug; aber
erst als sie die Werfte und das Haus erreicht
hatten, hob es das Köpfchen von seines Vaters
Brust. Als dann Frau Elke ihr im Zimmer das
Tüchelchen und die Kapuze abgenommen hatte,
blieb sie wie ein kleiner stummer Kegel vor der
Mutter stehen. "Nun, Wienke," sagte diese und
schüttelte sie leise, "magst Du das große Wasser
leiden?"

Aber das Kind riß die Augen auf: "Es
spricht," sagte sie; "Wienke ist bange!"

-- "Es spricht nicht; es rauscht und toset nur!"

Theodor Storm, Der Schimmelreiter 12

das nicht ganz verſtünde; dann barg ſie ihr auf-
fallend kleines Köpfchen in dem weiten Rocke
ihres Vaters.

„Warum verſteckſt Du Dich, Wienke?” raunte
der ihr zu; „iſt Dir noch immer bange?” Und
ein zitterndes Stimmchen kam aus den Falten des
Rockes: „Wienke will lieber nicht ſehen; aber Du
kannſt doch Alles, Vater?”

Ein ferner Donner rollte gegen den Wind
herauf. „Hoho!” rief Hauke, „da kommt es!” und
wandte ſein Pferd zur Rückkehr. „Nun wollen
wir heim zur Mutter!”

Das Kind that einen tiefen Athemzug; aber
erſt als ſie die Werfte und das Haus erreicht
hatten, hob es das Köpfchen von ſeines Vaters
Bruſt. Als dann Frau Elke ihr im Zimmer das
Tüchelchen und die Kapuze abgenommen hatte,
blieb ſie wie ein kleiner ſtummer Kegel vor der
Mutter ſtehen. „Nun, Wienke,” ſagte dieſe und
ſchüttelte ſie leiſe, „magſt Du das große Waſſer
leiden?”

Aber das Kind riß die Augen auf: „Es
ſpricht,” ſagte ſie; „Wienke iſt bange!”

— „Es ſpricht nicht; es rauſcht und toſet nur!”

Theodor Storm, Der Schimmelreiter 12
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0189" n="177"/>
das nicht ganz ver&#x017F;tünde; dann barg &#x017F;ie ihr auf-<lb/>
fallend kleines Köpfchen in dem weiten Rocke<lb/>
ihres Vaters.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum ver&#x017F;teck&#x017F;t Du Dich, Wienke?&#x201D; raunte<lb/>
der ihr zu; &#x201E;i&#x017F;t Dir noch immer bange?&#x201D; Und<lb/>
ein zitterndes Stimmchen kam aus den Falten des<lb/>
Rockes: &#x201E;Wienke will lieber nicht &#x017F;ehen; aber Du<lb/>
kann&#x017F;t doch Alles, Vater?&#x201D;</p><lb/>
        <p>Ein ferner Donner rollte gegen den Wind<lb/>
herauf. &#x201E;Hoho!&#x201D; rief Hauke, &#x201E;da kommt es!&#x201D; und<lb/>
wandte &#x017F;ein Pferd zur Rückkehr. &#x201E;Nun wollen<lb/>
wir heim zur Mutter!&#x201D;</p><lb/>
        <p>Das Kind that einen tiefen Athemzug; aber<lb/>
er&#x017F;t als &#x017F;ie die Werfte und das Haus erreicht<lb/>
hatten, hob es das Köpfchen von &#x017F;eines Vaters<lb/>
Bru&#x017F;t. Als dann Frau Elke ihr im Zimmer das<lb/>
Tüchelchen und die Kapuze abgenommen hatte,<lb/>
blieb &#x017F;ie wie ein kleiner &#x017F;tummer Kegel vor der<lb/>
Mutter &#x017F;tehen. &#x201E;Nun, Wienke,&#x201D; &#x017F;agte die&#x017F;e und<lb/>
&#x017F;chüttelte &#x017F;ie lei&#x017F;e, &#x201E;mag&#x017F;t Du das große Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
leiden?&#x201D;</p><lb/>
        <p>Aber das Kind riß die Augen auf: &#x201E;Es<lb/>
&#x017F;pricht,&#x201D; &#x017F;agte &#x017F;ie; &#x201E;Wienke i&#x017F;t bange!&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Es &#x017F;pricht nicht; es rau&#x017F;cht und to&#x017F;et nur!&#x201D;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Theodor Storm</hi>, Der Schimmelreiter 12</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0189] das nicht ganz verſtünde; dann barg ſie ihr auf- fallend kleines Köpfchen in dem weiten Rocke ihres Vaters. „Warum verſteckſt Du Dich, Wienke?” raunte der ihr zu; „iſt Dir noch immer bange?” Und ein zitterndes Stimmchen kam aus den Falten des Rockes: „Wienke will lieber nicht ſehen; aber Du kannſt doch Alles, Vater?” Ein ferner Donner rollte gegen den Wind herauf. „Hoho!” rief Hauke, „da kommt es!” und wandte ſein Pferd zur Rückkehr. „Nun wollen wir heim zur Mutter!” Das Kind that einen tiefen Athemzug; aber erſt als ſie die Werfte und das Haus erreicht hatten, hob es das Köpfchen von ſeines Vaters Bruſt. Als dann Frau Elke ihr im Zimmer das Tüchelchen und die Kapuze abgenommen hatte, blieb ſie wie ein kleiner ſtummer Kegel vor der Mutter ſtehen. „Nun, Wienke,” ſagte dieſe und ſchüttelte ſie leiſe, „magſt Du das große Waſſer leiden?” Aber das Kind riß die Augen auf: „Es ſpricht,” ſagte ſie; „Wienke iſt bange!” — „Es ſpricht nicht; es rauſcht und toſet nur!” Theodor Storm, Der Schimmelreiter 12

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/189
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/189>, abgerufen am 09.11.2024.