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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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Und wirklich, einen Augenblick, als eine schwarze
Wolkenschicht es pechfinster um mich machte, und
gleichzeitig die heulenden Böen mich sammt meiner
Stute vom Deich herabzudrängen suchten, fuhr es
mir wohl durch den Kopf: "Sei kein Narr! Kehr'
um und setz' Dich zu Deinen Freunden ins warme
Nest." Dann aber fiel's mir ein, der Weg zurück
war wohl noch länger als der nach meinem Reise-
ziel; und so trabte ich weiter, den Kragen meines
Mantels um die Ohren ziehend.

Jetzt aber kam auf dem Deiche etwas gegen
mich heran; ich hörte nichts; aber immer deutlicher,
wenn der halbe Mond ein karges Licht herabließ,
glaubte ich eine dunkle Gestalt zu erkennen, und
bald, da sie näher kam, sah ich es, sie saß auf
einem Pferde, einem hochbeinigen hageren Schimmel;
ein dunkler Mantel flatterte um ihre Schultern,
und im Vorbeifliegen sahen mich zwei brennende
Augen aus einem bleichen Antlitz an.

Wer war das? Was wollte der? -- Und jetzt
fiel mir bei, ich hatte keinen Hufschlag, kein Keuchen
des Pferdes vernommen; und Roß und Reiter waren
doch hart an mir vorbeigefahren!

In Gedanken darüber ritt ich weiter; aber

Und wirklich, einen Augenblick, als eine ſchwarze
Wolkenſchicht es pechfinſter um mich machte, und
gleichzeitig die heulenden Böen mich ſammt meiner
Stute vom Deich herabzudrängen ſuchten, fuhr es
mir wohl durch den Kopf: „Sei kein Narr! Kehr'
um und ſetz' Dich zu Deinen Freunden ins warme
Neſt.” Dann aber fiel's mir ein, der Weg zurück
war wohl noch länger als der nach meinem Reiſe-
ziel; und ſo trabte ich weiter, den Kragen meines
Mantels um die Ohren ziehend.

Jetzt aber kam auf dem Deiche etwas gegen
mich heran; ich hörte nichts; aber immer deutlicher,
wenn der halbe Mond ein karges Licht herabließ,
glaubte ich eine dunkle Geſtalt zu erkennen, und
bald, da ſie näher kam, ſah ich es, ſie ſaß auf
einem Pferde, einem hochbeinigen hageren Schimmel;
ein dunkler Mantel flatterte um ihre Schultern,
und im Vorbeifliegen ſahen mich zwei brennende
Augen aus einem bleichen Antlitz an.

Wer war das? Was wollte der? — Und jetzt
fiel mir bei, ich hatte keinen Hufſchlag, kein Keuchen
des Pferdes vernommen; und Roß und Reiter waren
doch hart an mir vorbeigefahren!

In Gedanken darüber ritt ich weiter; aber

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[4/0016] Und wirklich, einen Augenblick, als eine ſchwarze Wolkenſchicht es pechfinſter um mich machte, und gleichzeitig die heulenden Böen mich ſammt meiner Stute vom Deich herabzudrängen ſuchten, fuhr es mir wohl durch den Kopf: „Sei kein Narr! Kehr' um und ſetz' Dich zu Deinen Freunden ins warme Neſt.” Dann aber fiel's mir ein, der Weg zurück war wohl noch länger als der nach meinem Reiſe- ziel; und ſo trabte ich weiter, den Kragen meines Mantels um die Ohren ziehend. Jetzt aber kam auf dem Deiche etwas gegen mich heran; ich hörte nichts; aber immer deutlicher, wenn der halbe Mond ein karges Licht herabließ, glaubte ich eine dunkle Geſtalt zu erkennen, und bald, da ſie näher kam, ſah ich es, ſie ſaß auf einem Pferde, einem hochbeinigen hageren Schimmel; ein dunkler Mantel flatterte um ihre Schultern, und im Vorbeifliegen ſahen mich zwei brennende Augen aus einem bleichen Antlitz an. Wer war das? Was wollte der? — Und jetzt fiel mir bei, ich hatte keinen Hufſchlag, kein Keuchen des Pferdes vernommen; und Roß und Reiter waren doch hart an mir vorbeigefahren! In Gedanken darüber ritt ich weiter; aber

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/16>, abgerufen am 28.03.2024.