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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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ihren Eheliebsten zu empfangen: "Hilf Himmel!"
rief sie, "was soll uns der alte Schimmel?" Denn
da Hauke mit ihm vor das Haus geritten kam
und unter der Esche hielt, hatte sie gesehen, daß
die arme Creatur auch lahme.

Der junge Deichgraf aber sprang lachend von
seinem braunen Wallach: "Laß nur, Elke; es kostet
auch nicht viel!"

Die kluge Frau erwiderte: "Du weißt doch,
das Wohlfeilste ist auch meist das Theuerste."

-- "Aber nicht immer, Elke; das Thier ist
höchstens vier Jahr' alt; sieh es Dir nur genauer
an! Es ist verhungert und mißhandelt; da soll
ihm unser Hafer gut thun; ich werd' es selbst
versorgen, damit sie mir's nicht überfüttern."

Das Thier stand indessen mit gesenktem Kopf;
die Mähnen hingen lang am Hals herunter. Frau
Elke, während ihr Mann nach den Knechten rief,
ging betrachtend um dasselbe herum; aber sie
schüttelte den Kopf: "So eins ist noch nie in
unserem Stall gewesen!"

Als jetzt der Dienstjunge um die Hausecke
kam, blieb er plötzlich mit erschrocknen Augen
stehen. "Nun, Carsten," rief der Deichgraf, "was

ihren Eheliebſten zu empfangen: „Hilf Himmel!”
rief ſie, „was ſoll uns der alte Schimmel?” Denn
da Hauke mit ihm vor das Haus geritten kam
und unter der Eſche hielt, hatte ſie geſehen, daß
die arme Creatur auch lahme.

Der junge Deichgraf aber ſprang lachend von
ſeinem braunen Wallach: „Laß nur, Elke; es koſtet
auch nicht viel!”

Die kluge Frau erwiderte: „Du weißt doch,
das Wohlfeilſte iſt auch meiſt das Theuerſte.”

— „Aber nicht immer, Elke; das Thier iſt
höchſtens vier Jahr' alt; ſieh es Dir nur genauer
an! Es iſt verhungert und mißhandelt; da ſoll
ihm unſer Hafer gut thun; ich werd' es ſelbſt
verſorgen, damit ſie mir's nicht überfüttern.”

Das Thier ſtand indeſſen mit geſenktem Kopf;
die Mähnen hingen lang am Hals herunter. Frau
Elke, während ihr Mann nach den Knechten rief,
ging betrachtend um dasſelbe herum; aber ſie
ſchüttelte den Kopf: „So eins iſt noch nie in
unſerem Stall geweſen!”

Als jetzt der Dienſtjunge um die Hausecke
kam, blieb er plötzlich mit erſchrocknen Augen
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[123/0135] ihren Eheliebſten zu empfangen: „Hilf Himmel!” rief ſie, „was ſoll uns der alte Schimmel?” Denn da Hauke mit ihm vor das Haus geritten kam und unter der Eſche hielt, hatte ſie geſehen, daß die arme Creatur auch lahme. Der junge Deichgraf aber ſprang lachend von ſeinem braunen Wallach: „Laß nur, Elke; es koſtet auch nicht viel!” Die kluge Frau erwiderte: „Du weißt doch, das Wohlfeilſte iſt auch meiſt das Theuerſte.” — „Aber nicht immer, Elke; das Thier iſt höchſtens vier Jahr' alt; ſieh es Dir nur genauer an! Es iſt verhungert und mißhandelt; da ſoll ihm unſer Hafer gut thun; ich werd' es ſelbſt verſorgen, damit ſie mir's nicht überfüttern.” Das Thier ſtand indeſſen mit geſenktem Kopf; die Mähnen hingen lang am Hals herunter. Frau Elke, während ihr Mann nach den Knechten rief, ging betrachtend um dasſelbe herum; aber ſie ſchüttelte den Kopf: „So eins iſt noch nie in unſerem Stall geweſen!” Als jetzt der Dienſtjunge um die Hausecke kam, blieb er plötzlich mit erſchrocknen Augen ſtehen. „Nun, Carſten,” rief der Deichgraf, „was

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/135>, abgerufen am 22.11.2024.