Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Alte wurde unruhig; sie rückte an dem Kinntuch, das sie über ihr schwarzes Käppchen gebunden hatten "Du weißt, sieh mich nur an!" sagte sie; "das dumme Kopfreißen; ich darf nicht in die Abendluft. Wenn Dich was ankäme! Dein Vater ist in Wordingborg!"

"O Bas', ich nehme Heudan, die Dogge, mit!" rief Dagmar beklommen; "sie war auch gestern Abend bei mir!"

Die Alte nickte: "Ja, ja, Dagmar, die Dogge; ja, das geht! Du zogst ihr neulich auch den Dorn aus ihrer Tatze, wie Androklus einst dem Löwen! Du kennst doch die Geschichte?"

Sie sah sich um; aber da war Dagmar schon hinausgeschlüpft, und die Glocke stand wieder auf dem Tische. "Ei ja," sagte die Alte seufzend, "da läuft sie mit dem Hunde in die Nacht hinaus, und ich kann hier im Mondschein meine lieben Schatten zu mir laden; wir brauchen keine Lichter!"

Der Mond schien durch die kleinen Scheiben; und mitten im Gemache saß die alte Dame und sah mit geisterhaften Augen in die Dämmerung; nur mitunter eine leise Handbewegung, als sei es ein Willkommen.

- - Dagmar aber war hoch aufathmend die

Die Alte wurde unruhig; sie rückte an dem Kinntuch, das sie über ihr schwarzes Käppchen gebunden hatten „Du weißt, sieh mich nur an!“ sagte sie; „das dumme Kopfreißen; ich darf nicht in die Abendluft. Wenn Dich was ankäme! Dein Vater ist in Wordingborg!“

„O Bas’, ich nehme Heudan, die Dogge, mit!“ rief Dagmar beklommen; „sie war auch gestern Abend bei mir!“

Die Alte nickte: „Ja, ja, Dagmar, die Dogge; ja, das geht! Du zogst ihr neulich auch den Dorn aus ihrer Tatze, wie Androklus einst dem Löwen! Du kennst doch die Geschichte?“

Sie sah sich um; aber da war Dagmar schon hinausgeschlüpft, und die Glocke stand wieder auf dem Tische. „Ei ja,“ sagte die Alte seufzend, „da läuft sie mit dem Hunde in die Nacht hinaus, und ich kann hier im Mondschein meine lieben Schatten zu mir laden; wir brauchen keine Lichter!“

Der Mond schien durch die kleinen Scheiben; und mitten im Gemache saß die alte Dame und sah mit geisterhaften Augen in die Dämmerung; nur mitunter eine leise Handbewegung, als sei es ein Willkommen.

– – Dagmar aber war hoch aufathmend die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0162" n="158"/>
        <p>Die Alte wurde unruhig; sie rückte an dem Kinntuch, das sie über ihr schwarzes Käppchen gebunden hatten &#x201E;Du weißt, sieh mich nur an!&#x201C; sagte sie; &#x201E;das dumme Kopfreißen; ich darf nicht in die Abendluft. Wenn Dich was ankäme! Dein Vater ist in Wordingborg!&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;O Bas&#x2019;, ich nehme Heudan, die Dogge, mit!&#x201C; rief Dagmar beklommen; &#x201E;sie war auch gestern Abend bei mir!&#x201C;</p>
        <p>Die Alte nickte: &#x201E;Ja, ja, Dagmar, die Dogge; ja, das geht! Du zogst ihr neulich auch den Dorn aus ihrer Tatze, wie Androklus einst dem Löwen! Du kennst doch die Geschichte?&#x201C;</p>
        <p>Sie sah sich um; aber da war Dagmar schon hinausgeschlüpft, und die Glocke stand wieder auf dem Tische. &#x201E;Ei ja,&#x201C; sagte die Alte seufzend, &#x201E;da läuft sie mit dem Hunde in die Nacht hinaus, und ich kann hier im Mondschein meine lieben Schatten zu mir laden; wir brauchen keine Lichter!&#x201C;</p>
        <p>Der Mond schien durch die kleinen Scheiben; und mitten im Gemache saß die alte Dame und sah mit geisterhaften Augen in die Dämmerung; nur mitunter eine leise Handbewegung, als sei es ein Willkommen.</p>
        <p>&#x2013; &#x2013; Dagmar aber war hoch aufathmend die
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0162] Die Alte wurde unruhig; sie rückte an dem Kinntuch, das sie über ihr schwarzes Käppchen gebunden hatten „Du weißt, sieh mich nur an!“ sagte sie; „das dumme Kopfreißen; ich darf nicht in die Abendluft. Wenn Dich was ankäme! Dein Vater ist in Wordingborg!“ „O Bas’, ich nehme Heudan, die Dogge, mit!“ rief Dagmar beklommen; „sie war auch gestern Abend bei mir!“ Die Alte nickte: „Ja, ja, Dagmar, die Dogge; ja, das geht! Du zogst ihr neulich auch den Dorn aus ihrer Tatze, wie Androklus einst dem Löwen! Du kennst doch die Geschichte?“ Sie sah sich um; aber da war Dagmar schon hinausgeschlüpft, und die Glocke stand wieder auf dem Tische. „Ei ja,“ sagte die Alte seufzend, „da läuft sie mit dem Hunde in die Nacht hinaus, und ich kann hier im Mondschein meine lieben Schatten zu mir laden; wir brauchen keine Lichter!“ Der Mond schien durch die kleinen Scheiben; und mitten im Gemache saß die alte Dame und sah mit geisterhaften Augen in die Dämmerung; nur mitunter eine leise Handbewegung, als sei es ein Willkommen. – – Dagmar aber war hoch aufathmend die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt von Wikisource (John_Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuus).

Quelle der Scans: Wikimedia Commons (John Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuss).

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/162
Zitationshilfe: Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/162>, abgerufen am 22.11.2024.