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Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

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Seit dem zweiten Tage seines Hierseins pflegte er
Abends einen Spaziergang an dem Ufer des Sees
zu machen. Der Weg führte hart unter dem Garten
vorbei. Am Ende desselben, auf einer vorspringenden
Bastei, stand eine Bank unter hohen Birken; die
Mutter hatte sie die Abendbank getauft, weil der
Platz gegen Abend lag und des Sonnenuntergangs
halber um diese Zeit am meisten benutzt wurde. --
Von einem Spaziergange auf diesem Wege kehrte
Reinhardt eines Abends zurück, als er vom Regen
überrascht wurde. Er suchte Schutz unter einer am
Wasser stehenden Linde; aber die schweren Tropfen
schlugen bald durch die Blätter. Durchnäßt, wie er
war, ergab er sich darein und setzte langsam seinen
Rückweg fort. Es war fast dunkel; der Regen fiel
immer dichter. Als er sich der Abendbank näherte,
glaubte er zwischen den schimmernden Birkenstämmen
eine weiße Frauengestalt zu unterscheiden. Sie stand
unbeweglich und, wie er beim Näherkommen zu erken¬
nen meinte, zu ihm hingewandt, als wenn sie jemanden
erwarte. Er glaubte, es sei Elisabeth. Als er aber
rascher zuschritt, um sie zu erreichen und dann mit ihr
zusammen durch den Garten ins Haus zurückzukehren,

Seit dem zweiten Tage ſeines Hierſeins pflegte er
Abends einen Spaziergang an dem Ufer des Sees
zu machen. Der Weg führte hart unter dem Garten
vorbei. Am Ende deſſelben, auf einer vorſpringenden
Baſtei, ſtand eine Bank unter hohen Birken; die
Mutter hatte ſie die Abendbank getauft, weil der
Platz gegen Abend lag und des Sonnenuntergangs
halber um dieſe Zeit am meiſten benutzt wurde. —
Von einem Spaziergange auf dieſem Wege kehrte
Reinhardt eines Abends zurück, als er vom Regen
überraſcht wurde. Er ſuchte Schutz unter einer am
Waſſer ſtehenden Linde; aber die ſchweren Tropfen
ſchlugen bald durch die Blätter. Durchnäßt, wie er
war, ergab er ſich darein und ſetzte langſam ſeinen
Rückweg fort. Es war faſt dunkel; der Regen fiel
immer dichter. Als er ſich der Abendbank näherte,
glaubte er zwiſchen den ſchimmernden Birkenſtämmen
eine weiße Frauengeſtalt zu unterſcheiden. Sie ſtand
unbeweglich und, wie er beim Näherkommen zu erken¬
nen meinte, zu ihm hingewandt, als wenn ſie jemanden
erwarte. Er glaubte, es ſei Eliſabeth. Als er aber
raſcher zuſchritt, um ſie zu erreichen und dann mit ihr
zuſammen durch den Garten ins Haus zurückzukehren,

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[46/0052] Seit dem zweiten Tage ſeines Hierſeins pflegte er Abends einen Spaziergang an dem Ufer des Sees zu machen. Der Weg führte hart unter dem Garten vorbei. Am Ende deſſelben, auf einer vorſpringenden Baſtei, ſtand eine Bank unter hohen Birken; die Mutter hatte ſie die Abendbank getauft, weil der Platz gegen Abend lag und des Sonnenuntergangs halber um dieſe Zeit am meiſten benutzt wurde. — Von einem Spaziergange auf dieſem Wege kehrte Reinhardt eines Abends zurück, als er vom Regen überraſcht wurde. Er ſuchte Schutz unter einer am Waſſer ſtehenden Linde; aber die ſchweren Tropfen ſchlugen bald durch die Blätter. Durchnäßt, wie er war, ergab er ſich darein und ſetzte langſam ſeinen Rückweg fort. Es war faſt dunkel; der Regen fiel immer dichter. Als er ſich der Abendbank näherte, glaubte er zwiſchen den ſchimmernden Birkenſtämmen eine weiße Frauengeſtalt zu unterſcheiden. Sie ſtand unbeweglich und, wie er beim Näherkommen zu erken¬ nen meinte, zu ihm hingewandt, als wenn ſie jemanden erwarte. Er glaubte, es ſei Eliſabeth. Als er aber raſcher zuſchritt, um ſie zu erreichen und dann mit ihr zuſammen durch den Garten ins Haus zurückzukehren,

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/52>, abgerufen am 23.11.2024.