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Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

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setzte er sich in den Lehnstuhl und schien mit gefalteten
Händen von seinem Spaziergange auszuruhen. --
Wie er so saß, wurde es allmählig dunkler; endlich
fiel ein Mondstrahl durch die Fensterscheiben auf die
Gemälde an der Wand, und wie der helle Streif
langsam weiter rückte, folgten die Augen des Mannes
unwillkürlich. Nun trat er über ein kleines Bild in
schlichtem schwarzem Rahmen. Elisabeth! sagte der
Alte leise; und wie er das Wort gesprochen, war die
Zeit verwandelt; er war in seiner Jugend.

Die Kinder.

Bald trat die anmuthige Gestalt eines kleinen
Mädchens zu ihm. Sie hieß Elisabeth und mochte
fünf Jahre zählen; er selbst war doppelt so alt. Um
den Hals trug sie ein rothseidenes Tüchelchen; das
ließ ihr hübsch zu den braunen Augen.

Reinhardt! rief sie, wir haben frei, frei! den gan¬
zen Tag keine Schule, und morgen auch nicht.

Reinhardt stellte die Rechentafel, die er schon
unterm Arm hatte, flink hinter die Hausthür, und
dann liefen beide Kinder durchs Haus in den Garten,

ſetzte er ſich in den Lehnſtuhl und ſchien mit gefalteten
Händen von ſeinem Spaziergange auszuruhen. —
Wie er ſo ſaß, wurde es allmählig dunkler; endlich
fiel ein Mondſtrahl durch die Fenſterſcheiben auf die
Gemälde an der Wand, und wie der helle Streif
langſam weiter rückte, folgten die Augen des Mannes
unwillkürlich. Nun trat er über ein kleines Bild in
ſchlichtem ſchwarzem Rahmen. Eliſabeth! ſagte der
Alte leiſe; und wie er das Wort geſprochen, war die
Zeit verwandelt; er war in ſeiner Jugend.

Die Kinder.

Bald trat die anmuthige Geſtalt eines kleinen
Mädchens zu ihm. Sie hieß Eliſabeth und mochte
fünf Jahre zählen; er ſelbſt war doppelt ſo alt. Um
den Hals trug ſie ein rothſeidenes Tüchelchen; das
ließ ihr hübſch zu den braunen Augen.

Reinhardt! rief ſie, wir haben frei, frei! den gan¬
zen Tag keine Schule, und morgen auch nicht.

Reinhardt ſtellte die Rechentafel, die er ſchon
unterm Arm hatte, flink hinter die Hausthür, und
dann liefen beide Kinder durchs Haus in den Garten,

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[7/0013] ſetzte er ſich in den Lehnſtuhl und ſchien mit gefalteten Händen von ſeinem Spaziergange auszuruhen. — Wie er ſo ſaß, wurde es allmählig dunkler; endlich fiel ein Mondſtrahl durch die Fenſterſcheiben auf die Gemälde an der Wand, und wie der helle Streif langſam weiter rückte, folgten die Augen des Mannes unwillkürlich. Nun trat er über ein kleines Bild in ſchlichtem ſchwarzem Rahmen. Eliſabeth! ſagte der Alte leiſe; und wie er das Wort geſprochen, war die Zeit verwandelt; er war in ſeiner Jugend. Die Kinder. Bald trat die anmuthige Geſtalt eines kleinen Mädchens zu ihm. Sie hieß Eliſabeth und mochte fünf Jahre zählen; er ſelbſt war doppelt ſo alt. Um den Hals trug ſie ein rothſeidenes Tüchelchen; das ließ ihr hübſch zu den braunen Augen. Reinhardt! rief ſie, wir haben frei, frei! den gan¬ zen Tag keine Schule, und morgen auch nicht. Reinhardt ſtellte die Rechentafel, die er ſchon unterm Arm hatte, flink hinter die Hausthür, und dann liefen beide Kinder durchs Haus in den Garten,

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/13>, abgerufen am 28.03.2024.