Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

ausgewählet hatte. Nun gedachte ich, daß, wann
in zu verhoffender Zeit sie selber in der Fremde
leben und wol das Vaterhaus nicht mehr be¬
treten würde, sie seines Anblicks doch nicht ganz
entrathen solle; zog also meinen Stift herfür
und begann zu zeichnen, gar sorgsam jedes Win¬
kelchen, woran ihr Auge einmal mocht' gehaftet
haben. Als farbig Schilderei sollt' es dann in
Amsterdam gefertigt werden, damit es ihr sofort
entgegengrüße, wann ich sie dort in unsre Kam¬
mer führen würde.

Nach ein paar Stunden war die Zeichnung
fertig. Ich ließ noch wie zum Gruß ein zwit¬
schernd Vögelein darüber fliegen; dann suchte ich
die Lichtung auf, wo wir uns finden wollten,
und streckte mich nebenan im Schatten einer
dichten Buche; sehnlich verlangend, daß die Zeit
vergehe.

Ich mußte gleichwol darob eingeschlummert
sein; denn ich erwachte von einem fernen Schall
und wurd' deß inne, daß es das Mittagläuten
von dem Hofe sei. Die Sonne glühte schon

ausgewählet hatte. Nun gedachte ich, daß, wann
in zu verhoffender Zeit ſie ſelber in der Fremde
leben und wol das Vaterhaus nicht mehr be¬
treten würde, ſie ſeines Anblicks doch nicht ganz
entrathen ſolle; zog alſo meinen Stift herfür
und begann zu zeichnen, gar ſorgſam jedes Win¬
kelchen, woran ihr Auge einmal mocht' gehaftet
haben. Als farbig Schilderei ſollt' es dann in
Amſterdam gefertigt werden, damit es ihr ſofort
entgegengrüße, wann ich ſie dort in unſre Kam¬
mer führen würde.

Nach ein paar Stunden war die Zeichnung
fertig. Ich ließ noch wie zum Gruß ein zwit¬
ſchernd Vögelein darüber fliegen; dann ſuchte ich
die Lichtung auf, wo wir uns finden wollten,
und ſtreckte mich nebenan im Schatten einer
dichten Buche; ſehnlich verlangend, daß die Zeit
vergehe.

Ich mußte gleichwol darob eingeſchlummert
ſein; denn ich erwachte von einem fernen Schall
und wurd' deß inne, daß es das Mittagläuten
von dem Hofe ſei. Die Sonne glühte ſchon

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0105" n="91"/>
ausgewählet hatte. Nun gedachte ich, daß, wann<lb/>
in zu verhoffender Zeit &#x017F;ie &#x017F;elber in der Fremde<lb/>
leben und wol das Vaterhaus nicht mehr be¬<lb/>
treten würde, &#x017F;ie &#x017F;eines Anblicks doch nicht ganz<lb/>
entrathen &#x017F;olle; zog al&#x017F;o meinen Stift herfür<lb/>
und begann zu zeichnen, gar &#x017F;org&#x017F;am jedes Win¬<lb/>
kelchen, woran ihr Auge einmal mocht' gehaftet<lb/>
haben. Als farbig Schilderei &#x017F;ollt' es dann in<lb/>
Am&#x017F;terdam gefertigt werden, damit es ihr &#x017F;ofort<lb/>
entgegengrüße, wann ich &#x017F;ie dort in un&#x017F;re Kam¬<lb/>
mer führen würde.</p><lb/>
      <p>Nach ein paar Stunden war die Zeichnung<lb/>
fertig. Ich ließ noch wie zum Gruß ein zwit¬<lb/>
&#x017F;chernd Vögelein darüber fliegen; dann &#x017F;uchte ich<lb/>
die Lichtung auf, wo wir uns finden wollten,<lb/>
und &#x017F;treckte mich nebenan im Schatten einer<lb/>
dichten Buche; &#x017F;ehnlich verlangend, daß die Zeit<lb/>
vergehe.</p><lb/>
      <p>Ich mußte gleichwol darob einge&#x017F;chlummert<lb/>
&#x017F;ein; denn ich erwachte von einem fernen Schall<lb/>
und wurd' deß inne, daß es das Mittagläuten<lb/>
von dem Hofe &#x017F;ei. Die Sonne glühte &#x017F;chon<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0105] ausgewählet hatte. Nun gedachte ich, daß, wann in zu verhoffender Zeit ſie ſelber in der Fremde leben und wol das Vaterhaus nicht mehr be¬ treten würde, ſie ſeines Anblicks doch nicht ganz entrathen ſolle; zog alſo meinen Stift herfür und begann zu zeichnen, gar ſorgſam jedes Win¬ kelchen, woran ihr Auge einmal mocht' gehaftet haben. Als farbig Schilderei ſollt' es dann in Amſterdam gefertigt werden, damit es ihr ſofort entgegengrüße, wann ich ſie dort in unſre Kam¬ mer führen würde. Nach ein paar Stunden war die Zeichnung fertig. Ich ließ noch wie zum Gruß ein zwit¬ ſchernd Vögelein darüber fliegen; dann ſuchte ich die Lichtung auf, wo wir uns finden wollten, und ſtreckte mich nebenan im Schatten einer dichten Buche; ſehnlich verlangend, daß die Zeit vergehe. Ich mußte gleichwol darob eingeſchlummert ſein; denn ich erwachte von einem fernen Schall und wurd' deß inne, daß es das Mittagläuten von dem Hofe ſei. Die Sonne glühte ſchon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/105
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/105>, abgerufen am 02.05.2024.