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Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

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ich nach geraumer Zeit vom Waldesrande in
das offene Feld hinaustrat, wurd' ich völlig wach.
Ein Häuflein Rehe stund nicht fern im silber¬
grauen Thau, und über mir vom Himmel scholl
das Tageslied der Lerche. Da schüttelte ich all'
müßig Träumen von mir ab; im selbigen Augen¬
blick stieg aber auch wie heiße Noth die Frage
mir in's Hirn: "Was weiter nun Johannes?
Du hast ein theures Leben an Dich rissen;
nun wisse, daß Dein Leben nichts gilt, als nur
das ihre!"

Doch was ich sinnen mochte, es deuchte mir
allfort das Beste, wenn Katharina im Stifte
sichern Unterschlupf gefunden, daß ich dann zu¬
rück nach Holland ginge, mich dort der Freundes¬
hülf' versicherte und alsobald zurückkäm', um sie
nachzuholen. Vielleicht, daß sie gar der alten
Base Herz erweichet; und schlimmsten Falles --
es mußt' auch gehen ohne das!

Schon sahe ich uns auf einem fröhlichen
Barkschiff die Wellen des grünen Zuidersees be¬
fahren, schon hörete ich das Glockenspiel vom

ich nach geraumer Zeit vom Waldesrande in
das offene Feld hinaustrat, wurd' ich völlig wach.
Ein Häuflein Rehe ſtund nicht fern im ſilber¬
grauen Thau, und über mir vom Himmel ſcholl
das Tageslied der Lerche. Da ſchüttelte ich all'
müßig Träumen von mir ab; im ſelbigen Augen¬
blick ſtieg aber auch wie heiße Noth die Frage
mir in's Hirn: „Was weiter nun Johannes?
Du haſt ein theures Leben an Dich riſſen;
nun wiſſe, daß Dein Leben nichts gilt, als nur
das ihre!“

Doch was ich ſinnen mochte, es deuchte mir
allfort das Beſte, wenn Katharina im Stifte
ſichern Unterſchlupf gefunden, daß ich dann zu¬
rück nach Holland ginge, mich dort der Freundes¬
hülf' verſicherte und alſobald zurückkäm', um ſie
nachzuholen. Vielleicht, daß ſie gar der alten
Baſe Herz erweichet; und ſchlimmſten Falles —
es mußt' auch gehen ohne das!

Schon ſahe ich uns auf einem fröhlichen
Barkſchiff die Wellen des grünen Zuiderſees be¬
fahren, ſchon hörete ich das Glockenſpiel vom

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[88/0102] ich nach geraumer Zeit vom Waldesrande in das offene Feld hinaustrat, wurd' ich völlig wach. Ein Häuflein Rehe ſtund nicht fern im ſilber¬ grauen Thau, und über mir vom Himmel ſcholl das Tageslied der Lerche. Da ſchüttelte ich all' müßig Träumen von mir ab; im ſelbigen Augen¬ blick ſtieg aber auch wie heiße Noth die Frage mir in's Hirn: „Was weiter nun Johannes? Du haſt ein theures Leben an Dich riſſen; nun wiſſe, daß Dein Leben nichts gilt, als nur das ihre!“ Doch was ich ſinnen mochte, es deuchte mir allfort das Beſte, wenn Katharina im Stifte ſichern Unterſchlupf gefunden, daß ich dann zu¬ rück nach Holland ginge, mich dort der Freundes¬ hülf' verſicherte und alſobald zurückkäm', um ſie nachzuholen. Vielleicht, daß ſie gar der alten Baſe Herz erweichet; und ſchlimmſten Falles — es mußt' auch gehen ohne das! Schon ſahe ich uns auf einem fröhlichen Barkſchiff die Wellen des grünen Zuiderſees be¬ fahren, ſchon hörete ich das Glockenſpiel vom

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/102>, abgerufen am 02.05.2024.