Nach diesen Voraussetzungen läßt sich er- warten, daß es in feinern Zirkeln und unter gebildeten Leuten nicht leicht an Stoff zu in- teressanten Unterredungen fehlen wird. Die Geschichte des Tages macht freylich hier wie überall die Grundlage der Konversation; aber selbst diese ist hier reichhaltiger, als sie es in kleinern Städten und auf einem eingeschränk- tern Schauplatz menschlicher Thätigkeit seyn kann. Auf der Ordnung des Tages stehen die politischen und Hofneuigkeiten oben an, die auch bey der größten Unbedeutenheit alle- mal weniger ekelhaft sind, als die faden Wet- terdiskurse, die hie und da den Eingang zum Gespräche bahnen. Das ungeheure Theater eines großen, mächtigen Hofes, der seine glän- zende Rolle mit einem so entscheidenden Ein- fluß auf das Staatenverhältniß von Europa und Asia spielt, liefert täglich mehr als hin- reichenden Stoff zur mannigfaltigsten Unter- haltung. Selbst die kleinen Vorfälle des Au- genblicks, die Chronique scandaleuse und die Antichambreanekdoten haben hier zur Stelle ein gewisses Interesse, das auch den philoso- phischen Sonderling fortreißt und zur Theil-
nahme
Nach dieſen Vorausſetzungen laͤßt ſich er- warten, daß es in feinern Zirkeln und unter gebildeten Leuten nicht leicht an Stoff zu in- tereſſanten Unterredungen fehlen wird. Die Geſchichte des Tages macht freylich hier wie uͤberall die Grundlage der Konverſation; aber ſelbſt dieſe iſt hier reichhaltiger, als ſie es in kleinern Staͤdten und auf einem eingeſchraͤnk- tern Schauplatz menſchlicher Thaͤtigkeit ſeyn kann. Auf der Ordnung des Tages ſtehen die politiſchen und Hofneuigkeiten oben an, die auch bey der groͤßten Unbedeutenheit alle- mal weniger ekelhaft ſind, als die faden Wet- terdiskurſe, die hie und da den Eingang zum Geſpraͤche bahnen. Das ungeheure Theater eines großen, maͤchtigen Hofes, der ſeine glaͤn- zende Rolle mit einem ſo entſcheidenden Ein- fluß auf das Staatenverhaͤltniß von Europa und Aſia ſpielt, liefert taͤglich mehr als hin- reichenden Stoff zur mannigfaltigſten Unter- haltung. Selbſt die kleinen Vorfaͤlle des Au- genblicks, die Chronique ſcandaleuſe und die Antichambreanekdoten haben hier zur Stelle ein gewiſſes Intereſſe, das auch den philoſo- phiſchen Sonderling fortreißt und zur Theil-
nahme
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0450"n="432"/><p>Nach dieſen Vorausſetzungen laͤßt ſich er-<lb/>
warten, daß es in feinern Zirkeln und unter<lb/>
gebildeten Leuten nicht leicht an Stoff zu in-<lb/>
tereſſanten Unterredungen fehlen wird. Die<lb/>
Geſchichte des Tages macht freylich hier wie<lb/>
uͤberall die Grundlage der Konverſation; aber<lb/>ſelbſt dieſe iſt hier reichhaltiger, als ſie es in<lb/>
kleinern Staͤdten und auf einem eingeſchraͤnk-<lb/>
tern Schauplatz menſchlicher Thaͤtigkeit ſeyn<lb/>
kann. Auf der Ordnung des Tages ſtehen<lb/>
die politiſchen und Hofneuigkeiten oben an,<lb/>
die auch bey der groͤßten Unbedeutenheit alle-<lb/>
mal weniger ekelhaft ſind, als die faden Wet-<lb/>
terdiskurſe, die hie und da den Eingang zum<lb/>
Geſpraͤche bahnen. Das ungeheure Theater<lb/>
eines großen, maͤchtigen Hofes, der ſeine glaͤn-<lb/>
zende Rolle mit einem ſo entſcheidenden Ein-<lb/>
fluß auf das Staatenverhaͤltniß von Europa<lb/>
und Aſia ſpielt, liefert taͤglich mehr als hin-<lb/>
reichenden Stoff zur mannigfaltigſten Unter-<lb/>
haltung. Selbſt die kleinen Vorfaͤlle des Au-<lb/>
genblicks, die Chronique ſcandaleuſe und die<lb/>
Antichambreanekdoten haben hier zur Stelle<lb/>
ein gewiſſes Intereſſe, das auch den philoſo-<lb/>
phiſchen Sonderling fortreißt und zur Theil-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nahme</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[432/0450]
Nach dieſen Vorausſetzungen laͤßt ſich er-
warten, daß es in feinern Zirkeln und unter
gebildeten Leuten nicht leicht an Stoff zu in-
tereſſanten Unterredungen fehlen wird. Die
Geſchichte des Tages macht freylich hier wie
uͤberall die Grundlage der Konverſation; aber
ſelbſt dieſe iſt hier reichhaltiger, als ſie es in
kleinern Staͤdten und auf einem eingeſchraͤnk-
tern Schauplatz menſchlicher Thaͤtigkeit ſeyn
kann. Auf der Ordnung des Tages ſtehen
die politiſchen und Hofneuigkeiten oben an,
die auch bey der groͤßten Unbedeutenheit alle-
mal weniger ekelhaft ſind, als die faden Wet-
terdiskurſe, die hie und da den Eingang zum
Geſpraͤche bahnen. Das ungeheure Theater
eines großen, maͤchtigen Hofes, der ſeine glaͤn-
zende Rolle mit einem ſo entſcheidenden Ein-
fluß auf das Staatenverhaͤltniß von Europa
und Aſia ſpielt, liefert taͤglich mehr als hin-
reichenden Stoff zur mannigfaltigſten Unter-
haltung. Selbſt die kleinen Vorfaͤlle des Au-
genblicks, die Chronique ſcandaleuſe und die
Antichambreanekdoten haben hier zur Stelle
ein gewiſſes Intereſſe, das auch den philoſo-
phiſchen Sonderling fortreißt und zur Theil-
nahme
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/450>, abgerufen am 18.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.