Europens vergebens sucht. Auch das Auge des Kenners ist nicht ohne Befriedigung. Einige der vorzüglichsten Gänge sind mit Marmor- und Alabasterstatüen besetzt, die unter den vorigen Regierungen aus Italien hierher ge- bracht wurden. Die schönsten Kunstsachen aber enthält eine Grotte, die ihre ehemalige Pracht nur noch durch Ruinen verkündigt. Hier fin- det man zwey Statüen von Conradini: Religion und Glaube, denen die Kenner einen ehrenvollen Platz unter den Merkwürdigkeiten der Residenz zugestehen. Es sind weibliche ver- schleyerte Figuren, deren edle idealische Bil- dung durch die Steinhülle durchschimmert, und den Zuschauer in ein desto zauberischers Er- staunen versetzt, weil seine Einbildungskraft die Formen, die in der Darstellung gleichsam nur angekündigt werden, nach einem in der Wirk- lichkeit nicht erreichbaren Maßstabe, vollendet. Diese vortrefflichen Kunstwerke und mehrere kleine aber ausgesuchte Produkte des italieni- schen Meißels scheinen hier, mit der Grotte die sie einschließt, der Vergessenheit und dem dank- baren Entzücken einzelner Kenner, so wie den Beleidigungen der Witterung und des unge-
Europens vergebens ſucht. Auch das Auge des Kenners iſt nicht ohne Befriedigung. Einige der vorzuͤglichſten Gaͤnge ſind mit Marmor- und Alabaſterſtatuͤen beſetzt, die unter den vorigen Regierungen aus Italien hierher ge- bracht wurden. Die ſchoͤnſten Kunſtſachen aber enthaͤlt eine Grotte, die ihre ehemalige Pracht nur noch durch Ruinen verkuͤndigt. Hier fin- det man zwey Statuͤen von Conradini: Religion und Glaube, denen die Kenner einen ehrenvollen Platz unter den Merkwuͤrdigkeiten der Reſidenz zugeſtehen. Es ſind weibliche ver- ſchleyerte Figuren, deren edle idealiſche Bil- dung durch die Steinhuͤlle durchſchimmert, und den Zuſchauer in ein deſto zauberiſchers Er- ſtaunen verſetzt, weil ſeine Einbildungskraft die Formen, die in der Darſtellung gleichſam nur angekuͤndigt werden, nach einem in der Wirk- lichkeit nicht erreichbaren Maßſtabe, vollendet. Dieſe vortrefflichen Kunſtwerke und mehrere kleine aber ausgeſuchte Produkte des italieni- ſchen Meißels ſcheinen hier, mit der Grotte die ſie einſchließt, der Vergeſſenheit und dem dank- baren Entzuͤcken einzelner Kenner, ſo wie den Beleidigungen der Witterung und des unge-
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Europens vergebens ſucht. Auch das Auge des
Kenners iſt nicht ohne Befriedigung. Einige
der vorzuͤglichſten Gaͤnge ſind mit Marmor-
und Alabaſterſtatuͤen beſetzt, die unter den
vorigen Regierungen aus Italien hierher ge-
bracht wurden. Die ſchoͤnſten Kunſtſachen aber
enthaͤlt eine Grotte, die ihre ehemalige Pracht
nur noch durch Ruinen verkuͤndigt. Hier fin-
det man zwey Statuͤen von Conradini:
Religion und Glaube, denen die Kenner einen
ehrenvollen Platz unter den Merkwuͤrdigkeiten
der Reſidenz zugeſtehen. Es ſind weibliche ver-
ſchleyerte Figuren, deren edle idealiſche Bil-
dung durch die Steinhuͤlle durchſchimmert, und
den Zuſchauer in ein deſto zauberiſchers Er-
ſtaunen verſetzt, weil ſeine Einbildungskraft die
Formen, die in der Darſtellung gleichſam nur
angekuͤndigt werden, nach einem in der Wirk-
lichkeit nicht erreichbaren Maßſtabe, vollendet.
Dieſe vortrefflichen Kunſtwerke und mehrere
kleine aber ausgeſuchte Produkte des italieni-
ſchen Meißels ſcheinen hier, mit der Grotte die
ſie einſchließt, der Vergeſſenheit und dem dank-
baren Entzuͤcken einzelner Kenner, ſo wie den
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/316>, abgerufen am 23.11.2024.
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