terhaltung viele Hunderte von Menschen zu- sammenbringt, unter denen sich sogar Frauen- zimmer befinden. In dem ehemaligen Paris existirte kein öffentlicher Vergnügungsort, in welchem nicht Lektüre und Konversation die erste und allgemeinste Unterhaltung hergegeben hätten. Sogar der Circus im Palais Royal, der Mittelpunkt alles Genusses in dieser wol- lüstigen Hauptstadt, konnte seinen Zweck nicht erfüllen, ohne den Parisern die Befriedigung geistiger Bedürfnisse anzubieten. Mitten unter dem berauschenden Gewühl der raffinirtesten sinnlichen Freuden hatte die Weisheit eine hör- bare Stimme und aufmerksame Zuhörer; statt von jenen verdrängt zu werden, erhielt sie hier den Platz der obersten Gottheit.
In allen großen Städten sind öffentliche Promenaden vorhanden, die als allgemeine Vergnügungsörter betrachtet werden können. Auch St. Petersburg hat deren mehrere, zum Theil sehr anziehende; aber sie werden, in Vergleichung mit den Spazierplätzen anderer großen Städte, nur sehr wenig besucht. Der kurze Sommer, die kothigen oder staubigen Gassen, die Weitläuftigkeit der Residenz machen
terhaltung viele Hunderte von Menſchen zu- ſammenbringt, unter denen ſich ſogar Frauen- zimmer befinden. In dem ehemaligen Paris exiſtirte kein oͤffentlicher Vergnuͤgungsort, in welchem nicht Lektuͤre und Konverſation die erſte und allgemeinſte Unterhaltung hergegeben haͤtten. Sogar der Circus im Palais Royal, der Mittelpunkt alles Genuſſes in dieſer wol- luͤſtigen Hauptſtadt, konnte ſeinen Zweck nicht erfuͤllen, ohne den Pariſern die Befriedigung geiſtiger Beduͤrfniſſe anzubieten. Mitten unter dem berauſchenden Gewuͤhl der raffinirteſten ſinnlichen Freuden hatte die Weisheit eine hoͤr- bare Stimme und aufmerkſame Zuhoͤrer; ſtatt von jenen verdraͤngt zu werden, erhielt ſie hier den Platz der oberſten Gottheit.
In allen großen Staͤdten ſind oͤffentliche Promenaden vorhanden, die als allgemeine Vergnuͤgungsoͤrter betrachtet werden koͤnnen. Auch St. Petersburg hat deren mehrere, zum Theil ſehr anziehende; aber ſie werden, in Vergleichung mit den Spazierplaͤtzen anderer großen Staͤdte, nur ſehr wenig beſucht. Der kurze Sommer, die kothigen oder ſtaubigen Gaſſen, die Weitlaͤuftigkeit der Reſidenz machen
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terhaltung viele Hunderte von Menſchen zu-
ſammenbringt, unter denen ſich ſogar Frauen-
zimmer befinden. In dem ehemaligen Paris
exiſtirte kein oͤffentlicher Vergnuͤgungsort, in
welchem nicht Lektuͤre und Konverſation die
erſte und allgemeinſte Unterhaltung hergegeben
haͤtten. Sogar der Circus im Palais Royal,
der Mittelpunkt alles Genuſſes in dieſer wol-
luͤſtigen Hauptſtadt, konnte ſeinen Zweck nicht
erfuͤllen, ohne den Pariſern die Befriedigung
geiſtiger Beduͤrfniſſe anzubieten. Mitten unter
dem berauſchenden Gewuͤhl der raffinirteſten
ſinnlichen Freuden hatte die Weisheit eine hoͤr-
bare Stimme und aufmerkſame Zuhoͤrer; ſtatt
von jenen verdraͤngt zu werden, erhielt ſie hier
den Platz der oberſten Gottheit.
In allen großen Staͤdten ſind oͤffentliche
Promenaden vorhanden, die als allgemeine
Vergnuͤgungsoͤrter betrachtet werden koͤnnen.
Auch St. Petersburg hat deren mehrere, zum
Theil ſehr anziehende; aber ſie werden, in
Vergleichung mit den Spazierplaͤtzen anderer
großen Staͤdte, nur ſehr wenig beſucht. Der
kurze Sommer, die kothigen oder ſtaubigen
Gaſſen, die Weitlaͤuftigkeit der Reſidenz machen
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/314>, abgerufen am 23.11.2024.
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