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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

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wir in den Russen jener Zeit nur ein kriegeri-
sches aber rohes Volk, dem Wissenschaften und
Künste fremd waren. Die Spuren einer hö-
heren Kultur, die sich in den Annalisten vor-
finden und welche der Fleiß neuerer Geschichts-
forscher zu Tage gefördert hat, widerlegen die-
ses alte Vorurtheil, und begründen die Wahr-
scheinlichkeit, daß es schon vor der bekannten
Unterjochung von den Tataren einen Zeitpunkt
gegeben hat, da die russische Nation ein civi-
lisirtes Volk genannt zu werden verdiente. Die
Kenntniß und der Gebrauch der cyrillischen
Schrift und die slawonische Uebersetzung der
Bibel im neunten Jahrhunderte; die Schu-
len, welche späterhin der Großfürst Wolodi-
mer
stiftete; die Liebe dieses Fürsten zu den
schönen Künsten; die poetische Nachahmung
der Psalmen, welche schon um diese Zeit in
den Kirchen gesungen ward; das bürgerliche
Gesetzbuch, welches Jaroslaw Wladimi-
rowitsch
um 1019 den Nowogradern gab;
der Glanz seines Hofes, dessen selbst ausländi-
sche Geschichtschreiber unter den Zeitgenossen
mit Erstaunen erwähnen; endlich die Denkmä-
ler der Malerey, einer Kunst, die in Rußland

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wir in den Ruſſen jener Zeit nur ein kriegeri-
ſches aber rohes Volk, dem Wiſſenſchaften und
Kuͤnſte fremd waren. Die Spuren einer hoͤ-
heren Kultur, die ſich in den Annaliſten vor-
finden und welche der Fleiß neuerer Geſchichts-
forſcher zu Tage gefoͤrdert hat, widerlegen die-
ſes alte Vorurtheil, und begruͤnden die Wahr-
ſcheinlichkeit, daß es ſchon vor der bekannten
Unterjochung von den Tataren einen Zeitpunkt
gegeben hat, da die ruſſiſche Nation ein civi-
liſirtes Volk genannt zu werden verdiente. Die
Kenntniß und der Gebrauch der cyrilliſchen
Schrift und die ſlawoniſche Ueberſetzung der
Bibel im neunten Jahrhunderte; die Schu-
len, welche ſpaͤterhin der Großfuͤrſt Wolodi-
mer
ſtiftete; die Liebe dieſes Fuͤrſten zu den
ſchoͤnen Kuͤnſten; die poetiſche Nachahmung
der Pſalmen, welche ſchon um dieſe Zeit in
den Kirchen geſungen ward; das buͤrgerliche
Geſetzbuch, welches Jaroslaw Wladimi-
rowitſch
um 1019 den Nowogradern gab;
der Glanz ſeines Hofes, deſſen ſelbſt auslaͤndi-
ſche Geſchichtſchreiber unter den Zeitgenoſſen
mit Erſtaunen erwaͤhnen; endlich die Denkmaͤ-
ler der Malerey, einer Kunſt, die in Rußland

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[165/0181] wir in den Ruſſen jener Zeit nur ein kriegeri- ſches aber rohes Volk, dem Wiſſenſchaften und Kuͤnſte fremd waren. Die Spuren einer hoͤ- heren Kultur, die ſich in den Annaliſten vor- finden und welche der Fleiß neuerer Geſchichts- forſcher zu Tage gefoͤrdert hat, widerlegen die- ſes alte Vorurtheil, und begruͤnden die Wahr- ſcheinlichkeit, daß es ſchon vor der bekannten Unterjochung von den Tataren einen Zeitpunkt gegeben hat, da die ruſſiſche Nation ein civi- liſirtes Volk genannt zu werden verdiente. Die Kenntniß und der Gebrauch der cyrilliſchen Schrift und die ſlawoniſche Ueberſetzung der Bibel im neunten Jahrhunderte; die Schu- len, welche ſpaͤterhin der Großfuͤrſt Wolodi- mer ſtiftete; die Liebe dieſes Fuͤrſten zu den ſchoͤnen Kuͤnſten; die poetiſche Nachahmung der Pſalmen, welche ſchon um dieſe Zeit in den Kirchen geſungen ward; das buͤrgerliche Geſetzbuch, welches Jaroslaw Wladimi- rowitſch um 1019 den Nowogradern gab; der Glanz ſeines Hofes, deſſen ſelbſt auslaͤndi- ſche Geſchichtſchreiber unter den Zeitgenoſſen mit Erſtaunen erwaͤhnen; endlich die Denkmaͤ- ler der Malerey, einer Kunſt, die in Rußland L 3

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/181>, abgerufen am 23.11.2024.