Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

aus seinem Himmel zu ziehen und auf ewig bei sich zu be¬
halten. Ist das nicht ein Griff der letzten Verzweiflung, ein
Griff auf Leben und Tod, und ist es nicht zugleich die christ¬
liche Sehnsucht und Begierde nach dem Jenseits? Der Heros
will nicht in das Jenseits eingehen, sondern das Jenseits an
sich heranziehen, und zwingen, daß es zum Diesseits werde!
Und schreit seitdem nicht alle Welt, mit mehr oder weniger
Bewußtsein, aufs "Diesseits" komme es an, und der Himmel
müsse auf die Erde kommen und schon hier erlebt werden?

Stellen Wir in Kürze die theologische Ansicht Feuerbach's
und Unsern Widerspruch einander gegenüber! "Das Wesen
des Menschen ist des Menschen höchstes Wesen; das höchste
Wesen wird nun zwar von der Religion Gott genannt und
als ein gegenständliches Wesen betrachtet, in Wahrheit
aber ist es nur des Menschen eigenes Wesen, und deshalb
ist der Wendepunkt der Weltgeschichte der, daß fortan dem
Menschen nicht mehr Gott als Gott, sondern der Mensch
als Gott erscheinen soll. *)

Wir erwidern hieraus: "das höchste Wesen ist allerdings
das Wesen des Menschen, aber eben weil es sein Wesen
und nicht er selbst ist, so bleibt es sich ganz gleich, ob Wir
es außer ihm sehen und als "Gott" anschauen, oder in ihm
finden und "Wesen des Menschen" oder "der Mensch" nennen.
Ich bin weder Gott, noch der Mensch, weder das höchste
Wesen, noch Mein Wesen, und darum ist's in der Hauptsache
einerlei, ob Ich das Wesen in Mir oder außer Mir denke.
Ja Wir denken auch wirklich immer das höchste Wesen in

*) Vergl, z. B. Wesen des Christenthums S. 402.

aus ſeinem Himmel zu ziehen und auf ewig bei ſich zu be¬
halten. Iſt das nicht ein Griff der letzten Verzweiflung, ein
Griff auf Leben und Tod, und iſt es nicht zugleich die chriſt¬
liche Sehnſucht und Begierde nach dem Jenſeits? Der Heros
will nicht in das Jenſeits eingehen, ſondern das Jenſeits an
ſich heranziehen, und zwingen, daß es zum Diesſeits werde!
Und ſchreit ſeitdem nicht alle Welt, mit mehr oder weniger
Bewußtſein, aufs „Diesſeits“ komme es an, und der Himmel
müſſe auf die Erde kommen und ſchon hier erlebt werden?

Stellen Wir in Kürze die theologiſche Anſicht Feuerbach's
und Unſern Widerſpruch einander gegenüber! „Das Weſen
des Menſchen iſt des Menſchen höchſtes Weſen; das höchſte
Weſen wird nun zwar von der Religion Gott genannt und
als ein gegenſtändliches Weſen betrachtet, in Wahrheit
aber iſt es nur des Menſchen eigenes Weſen, und deshalb
iſt der Wendepunkt der Weltgeſchichte der, daß fortan dem
Menſchen nicht mehr Gott als Gott, ſondern der Menſch
als Gott erſcheinen ſoll. *)

Wir erwidern hieraus: „das höchſte Weſen iſt allerdings
das Weſen des Menſchen, aber eben weil es ſein Weſen
und nicht er ſelbſt iſt, ſo bleibt es ſich ganz gleich, ob Wir
es außer ihm ſehen und als „Gott“ anſchauen, oder in ihm
finden und „Weſen des Menſchen“ oder „der Menſch“ nennen.
Ich bin weder Gott, noch der Menſch, weder das höchſte
Weſen, noch Mein Weſen, und darum iſt's in der Hauptſache
einerlei, ob Ich das Weſen in Mir oder außer Mir denke.
Ja Wir denken auch wirklich immer das höchſte Weſen in

*) Vergl, z. B. Weſen des Chriſtenthums S. 402.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0052" n="44"/>
aus &#x017F;einem Himmel zu ziehen und auf ewig bei &#x017F;ich zu be¬<lb/>
halten. I&#x017F;t das nicht ein Griff der letzten Verzweiflung, ein<lb/>
Griff auf Leben und Tod, und i&#x017F;t es nicht zugleich die chri&#x017F;<lb/>
liche Sehn&#x017F;ucht und Begierde nach dem Jen&#x017F;eits? Der Heros<lb/>
will nicht in das Jen&#x017F;eits eingehen, &#x017F;ondern das Jen&#x017F;eits an<lb/>
&#x017F;ich heranziehen, und zwingen, daß es zum Dies&#x017F;eits werde!<lb/>
Und &#x017F;chreit &#x017F;eitdem nicht alle Welt, mit mehr oder weniger<lb/>
Bewußt&#x017F;ein, aufs &#x201E;Dies&#x017F;eits&#x201C; komme es an, und der Himmel<lb/>&#x017F;&#x017F;e auf die Erde kommen und &#x017F;chon hier erlebt werden?</p><lb/>
              <p>Stellen Wir in Kürze die theologi&#x017F;che An&#x017F;icht Feuerbach's<lb/>
und Un&#x017F;ern Wider&#x017F;pruch einander gegenüber! &#x201E;Das We&#x017F;en<lb/>
des Men&#x017F;chen i&#x017F;t des Men&#x017F;chen <hi rendition="#g">höch&#x017F;tes We&#x017F;en</hi>; das höch&#x017F;te<lb/>
We&#x017F;en wird nun zwar von der Religion <hi rendition="#g">Gott</hi> genannt und<lb/>
als ein <hi rendition="#g">gegen&#x017F;tändliches</hi> We&#x017F;en betrachtet, in Wahrheit<lb/>
aber i&#x017F;t es nur des Men&#x017F;chen eigenes We&#x017F;en, und deshalb<lb/>
i&#x017F;t der Wendepunkt der Weltge&#x017F;chichte der, daß fortan dem<lb/>
Men&#x017F;chen nicht mehr Gott als Gott, &#x017F;ondern der Men&#x017F;ch<lb/>
als Gott er&#x017F;cheinen &#x017F;oll. <note place="foot" n="*)"><lb/>
Vergl, z. B. We&#x017F;en des Chri&#x017F;tenthums S. 402.</note></p><lb/>
              <p>Wir erwidern hieraus: &#x201E;das höch&#x017F;te We&#x017F;en i&#x017F;t allerdings<lb/>
das We&#x017F;en des Men&#x017F;chen, aber eben weil es &#x017F;ein <hi rendition="#g">We&#x017F;en</hi><lb/>
und nicht er &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t, &#x017F;o bleibt es &#x017F;ich ganz gleich, ob Wir<lb/>
es außer ihm &#x017F;ehen und als &#x201E;Gott&#x201C; an&#x017F;chauen, oder in ihm<lb/>
finden und &#x201E;We&#x017F;en des Men&#x017F;chen&#x201C; oder &#x201E;der Men&#x017F;ch&#x201C; nennen.<lb/>
Ich bin weder Gott, noch der Men&#x017F;ch, weder das höch&#x017F;te<lb/>
We&#x017F;en, noch Mein We&#x017F;en, und darum i&#x017F;t's in der Haupt&#x017F;ache<lb/>
einerlei, ob Ich das We&#x017F;en in Mir oder außer Mir denke.<lb/>
Ja Wir denken auch wirklich immer das höch&#x017F;te We&#x017F;en in<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0052] aus ſeinem Himmel zu ziehen und auf ewig bei ſich zu be¬ halten. Iſt das nicht ein Griff der letzten Verzweiflung, ein Griff auf Leben und Tod, und iſt es nicht zugleich die chriſt¬ liche Sehnſucht und Begierde nach dem Jenſeits? Der Heros will nicht in das Jenſeits eingehen, ſondern das Jenſeits an ſich heranziehen, und zwingen, daß es zum Diesſeits werde! Und ſchreit ſeitdem nicht alle Welt, mit mehr oder weniger Bewußtſein, aufs „Diesſeits“ komme es an, und der Himmel müſſe auf die Erde kommen und ſchon hier erlebt werden? Stellen Wir in Kürze die theologiſche Anſicht Feuerbach's und Unſern Widerſpruch einander gegenüber! „Das Weſen des Menſchen iſt des Menſchen höchſtes Weſen; das höchſte Weſen wird nun zwar von der Religion Gott genannt und als ein gegenſtändliches Weſen betrachtet, in Wahrheit aber iſt es nur des Menſchen eigenes Weſen, und deshalb iſt der Wendepunkt der Weltgeſchichte der, daß fortan dem Menſchen nicht mehr Gott als Gott, ſondern der Menſch als Gott erſcheinen ſoll. *) Wir erwidern hieraus: „das höchſte Weſen iſt allerdings das Weſen des Menſchen, aber eben weil es ſein Weſen und nicht er ſelbſt iſt, ſo bleibt es ſich ganz gleich, ob Wir es außer ihm ſehen und als „Gott“ anſchauen, oder in ihm finden und „Weſen des Menſchen“ oder „der Menſch“ nennen. Ich bin weder Gott, noch der Menſch, weder das höchſte Weſen, noch Mein Weſen, und darum iſt's in der Hauptſache einerlei, ob Ich das Weſen in Mir oder außer Mir denke. Ja Wir denken auch wirklich immer das höchſte Weſen in *) Vergl, z. B. Weſen des Chriſtenthums S. 402.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/52
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/52>, abgerufen am 23.11.2024.