Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

kann. Freilich kann Ich nicht denken, wenn Ich nicht sinn¬
lich existire. Allein zum Denken wie zum Empfinden, also
zum Abstracten wie zum Sinnlichen brauche Ich vor allen
Dingen Mich, und zwar Mich, diesen ganz Bestimmten,
Mich diesen Einzigen. Wäre Ich nicht dieser, z. B. Hegel,
so schaute Ich die Welt nicht so an, wie Ich sie anschaue,
Ich fände aus ihr nicht dasjenige philosophische System heraus,
welches gerade Ich als Hegel finde u. s. w. Ich hätte zwar
Sinne wie die andern Leute auch, aber Ich benutzte sie nicht
so, wie Ich es thue.

So wird von Feuerbach gegen Hegel der Vorwurf auf¬
gebracht *), daß er die Sprache mißbrauche, indem er anderes
unter manchen Worten verstehe, als wofür das natürliche Be¬
wußtsein sie nehme, und doch begeht auch er denselben Fehler,
wenn er dem "Sinnlichen" einen so eminenten Sinn giebt,
wie er nicht gebräuchlich ist. So heißt es S. 69: "das
Sinnliche sei nicht das Profane, Gedankenlose, das auf plat¬
ter Hand Liegende, das sich von selbst Verstehende". Ist es
aber das Heilige, das Gedankenvolle, das verborgen Liegende,
das nur durch Vermittlung Verständliche -- nun so ist es
nicht mehr das, was man das Sinnliche nennt. Das Sinn¬
liche ist nur dasjenige, was für die Sinne ist; was hin¬
gegen nur denjenigen genießbar ist, die mit mehr als den
Sinnen genießen, die über den Sinnengenuß oder die Sin¬
nenempfängniß hinausgehen, das ist höchstens durch die Sinne
vermittelt oder zugeführt, d. h. die Sinne machen zur Er¬
langung desselben eine Bedingung aus, aber es ist nichts
Sinnliches mehr. Das Sinnliche, was es auch sei, in Mich

*) S. 47 ff.

kann. Freilich kann Ich nicht denken, wenn Ich nicht ſinn¬
lich exiſtire. Allein zum Denken wie zum Empfinden, alſo
zum Abſtracten wie zum Sinnlichen brauche Ich vor allen
Dingen Mich, und zwar Mich, dieſen ganz Beſtimmten,
Mich dieſen Einzigen. Wäre Ich nicht dieſer, z. B. Hegel,
ſo ſchaute Ich die Welt nicht ſo an, wie Ich ſie anſchaue,
Ich fände aus ihr nicht dasjenige philoſophiſche Syſtem heraus,
welches gerade Ich als Hegel finde u. ſ. w. Ich hätte zwar
Sinne wie die andern Leute auch, aber Ich benutzte ſie nicht
ſo, wie Ich es thue.

So wird von Feuerbach gegen Hegel der Vorwurf auf¬
gebracht *), daß er die Sprache mißbrauche, indem er anderes
unter manchen Worten verſtehe, als wofür das natürliche Be¬
wußtſein ſie nehme, und doch begeht auch er denſelben Fehler,
wenn er dem „Sinnlichen“ einen ſo eminenten Sinn giebt,
wie er nicht gebräuchlich iſt. So heißt es S. 69: „das
Sinnliche ſei nicht das Profane, Gedankenloſe, das auf plat¬
ter Hand Liegende, das ſich von ſelbſt Verſtehende“. Iſt es
aber das Heilige, das Gedankenvolle, das verborgen Liegende,
das nur durch Vermittlung Verſtändliche — nun ſo iſt es
nicht mehr das, was man das Sinnliche nennt. Das Sinn¬
liche iſt nur dasjenige, was für die Sinne iſt; was hin¬
gegen nur denjenigen genießbar iſt, die mit mehr als den
Sinnen genießen, die über den Sinnengenuß oder die Sin¬
nenempfängniß hinausgehen, das iſt höchſtens durch die Sinne
vermittelt oder zugeführt, d. h. die Sinne machen zur Er¬
langung deſſelben eine Bedingung aus, aber es iſt nichts
Sinnliches mehr. Das Sinnliche, was es auch ſei, in Mich

*) S. 47 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0463" n="455"/>
kann. Freilich kann Ich nicht denken, wenn Ich nicht &#x017F;inn¬<lb/>
lich exi&#x017F;tire. Allein zum Denken wie zum Empfinden, al&#x017F;o<lb/>
zum Ab&#x017F;tracten wie zum Sinnlichen brauche Ich vor allen<lb/>
Dingen <hi rendition="#g">Mich</hi>, und zwar Mich, die&#x017F;en ganz Be&#x017F;timmten,<lb/>
Mich die&#x017F;en <hi rendition="#g">Einzigen</hi>. Wäre Ich nicht die&#x017F;er, z. B. Hegel,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chaute Ich die Welt nicht &#x017F;o an, wie Ich &#x017F;ie an&#x017F;chaue,<lb/>
Ich fände aus ihr nicht dasjenige philo&#x017F;ophi&#x017F;che Sy&#x017F;tem heraus,<lb/>
welches gerade Ich als Hegel finde u. &#x017F;. w. Ich hätte zwar<lb/>
Sinne wie die andern Leute auch, aber Ich benutzte &#x017F;ie nicht<lb/>
&#x017F;o, wie Ich es thue.</p><lb/>
            <p>So wird von Feuerbach gegen Hegel der Vorwurf auf¬<lb/>
gebracht <note place="foot" n="*)"><lb/>
S. 47 ff.</note>, daß er die Sprache mißbrauche, indem er anderes<lb/>
unter manchen Worten ver&#x017F;tehe, als wofür das natürliche Be¬<lb/>
wußt&#x017F;ein &#x017F;ie nehme, und doch begeht auch er den&#x017F;elben Fehler,<lb/>
wenn er dem &#x201E;Sinnlichen&#x201C; einen &#x017F;o eminenten Sinn giebt,<lb/>
wie er nicht gebräuchlich i&#x017F;t. So heißt es S. 69: &#x201E;das<lb/>
Sinnliche &#x017F;ei nicht das Profane, Gedankenlo&#x017F;e, das auf plat¬<lb/>
ter Hand Liegende, das &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t Ver&#x017F;tehende&#x201C;. I&#x017F;t es<lb/>
aber das Heilige, das Gedankenvolle, das verborgen Liegende,<lb/>
das nur durch Vermittlung Ver&#x017F;tändliche &#x2014; nun &#x017F;o i&#x017F;t es<lb/>
nicht mehr das, was man das Sinnliche nennt. Das Sinn¬<lb/>
liche i&#x017F;t nur dasjenige, was für <hi rendition="#g">die Sinne</hi> i&#x017F;t; was hin¬<lb/>
gegen nur denjenigen genießbar i&#x017F;t, die mit <hi rendition="#g">mehr</hi> als den<lb/>
Sinnen genießen, die über den Sinnengenuß oder die Sin¬<lb/>
nenempfängniß hinausgehen, das i&#x017F;t höch&#x017F;tens durch die Sinne<lb/>
vermittelt oder zugeführt, d. h. die Sinne machen zur Er¬<lb/>
langung de&#x017F;&#x017F;elben eine <hi rendition="#g">Bedingung</hi> aus, aber es i&#x017F;t nichts<lb/>
Sinnliches mehr. Das Sinnliche, was es auch &#x017F;ei, in Mich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[455/0463] kann. Freilich kann Ich nicht denken, wenn Ich nicht ſinn¬ lich exiſtire. Allein zum Denken wie zum Empfinden, alſo zum Abſtracten wie zum Sinnlichen brauche Ich vor allen Dingen Mich, und zwar Mich, dieſen ganz Beſtimmten, Mich dieſen Einzigen. Wäre Ich nicht dieſer, z. B. Hegel, ſo ſchaute Ich die Welt nicht ſo an, wie Ich ſie anſchaue, Ich fände aus ihr nicht dasjenige philoſophiſche Syſtem heraus, welches gerade Ich als Hegel finde u. ſ. w. Ich hätte zwar Sinne wie die andern Leute auch, aber Ich benutzte ſie nicht ſo, wie Ich es thue. So wird von Feuerbach gegen Hegel der Vorwurf auf¬ gebracht *), daß er die Sprache mißbrauche, indem er anderes unter manchen Worten verſtehe, als wofür das natürliche Be¬ wußtſein ſie nehme, und doch begeht auch er denſelben Fehler, wenn er dem „Sinnlichen“ einen ſo eminenten Sinn giebt, wie er nicht gebräuchlich iſt. So heißt es S. 69: „das Sinnliche ſei nicht das Profane, Gedankenloſe, das auf plat¬ ter Hand Liegende, das ſich von ſelbſt Verſtehende“. Iſt es aber das Heilige, das Gedankenvolle, das verborgen Liegende, das nur durch Vermittlung Verſtändliche — nun ſo iſt es nicht mehr das, was man das Sinnliche nennt. Das Sinn¬ liche iſt nur dasjenige, was für die Sinne iſt; was hin¬ gegen nur denjenigen genießbar iſt, die mit mehr als den Sinnen genießen, die über den Sinnengenuß oder die Sin¬ nenempfängniß hinausgehen, das iſt höchſtens durch die Sinne vermittelt oder zugeführt, d. h. die Sinne machen zur Er¬ langung deſſelben eine Bedingung aus, aber es iſt nichts Sinnliches mehr. Das Sinnliche, was es auch ſei, in Mich *) S. 47 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/463
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/463>, abgerufen am 09.05.2024.