Als mein Gefühl ist sie mein; als Grundsatz, dem Ich meine Seele weihe und "verschwöre", ist sie Gebieterin und göttlich, wie der Haß als Grundsatz teuflisch ist: eins nicht besser als das andere. Kurz die egoistische Liebe, d. h. meine Liebe ist weder heilig noch unheilig, weder göttlich noch teuflisch.
"Eine Liebe, die durch den Glauben beschränkt ist, ist eine unwahre Liebe. Die einzige dem Wesen der Liebe nicht widersprechende Beschränkung ist die Selbstbeschränkung der Liebe durch die Vernunft, die Intelligenz. Liebe, die die Strenge, das Gesetz der Intelligenz verschmäht, ist theoretisch eine falsche, praktisch eine verderbliche Liebe." *)Also die Liebe ist ihrem Wesen nach vernünftig! So denkt Feuerbach; der Gläu¬ bige hingegen denkt: die Liebe ist ihrem Wesen nach gläubig. Jener eifert gegen die unvernünftige, dieser gegen die un¬ gläubige Liebe. Beiden kann sie höchstens für ein splen¬ didum vitium gelten. Lassen nicht beide die Liebe bestehen, auch in der Form der Unvernunft und Ungläubigkeit? Sie wagen nicht zu sagen: unvernünftige oder ungläubige Liebe ist ein Unsinn, ist nicht Liebe, so wenig sie sagen mögen: un¬ vernünftige oder ungläubige Thränen sind keine Thränen. Muß aber auch die unvernünftige u. s. w. Liebe für Liebe gelten, und sollen sie gleichwohl des Menschen unwürdig sein, so folgt einfach nur dieß: Liebe ist nicht das Höchste, sondern Vernunft oder Glaube; lieben kann auch der Unvernünftige und der Ungläubige; Werth hat die Liebe aber nur, wenn sie die eines Vernünftigen oder Gläubigen ist. Es ist ein Blend¬ werk, wenn Feuerbach die Vernünftigkeit der Liebe ihre "Selbst¬ beschränkung" nennt; der Gläubige könnte mit demselben Rechte
*) Feuerbach, Wesen d. Chr. 394.
Als mein Gefühl iſt ſie mein; als Grundſatz, dem Ich meine Seele weihe und „verſchwöre“, iſt ſie Gebieterin und göttlich, wie der Haß als Grundſatz teufliſch iſt: eins nicht beſſer als das andere. Kurz die egoiſtiſche Liebe, d. h. meine Liebe iſt weder heilig noch unheilig, weder göttlich noch teufliſch.
„Eine Liebe, die durch den Glauben beſchränkt iſt, iſt eine unwahre Liebe. Die einzige dem Weſen der Liebe nicht widerſprechende Beſchränkung iſt die Selbſtbeſchränkung der Liebe durch die Vernunft, die Intelligenz. Liebe, die die Strenge, das Geſetz der Intelligenz verſchmäht, iſt theoretiſch eine falſche, praktiſch eine verderbliche Liebe.“ *)Alſo die Liebe iſt ihrem Weſen nach vernünftig! So denkt Feuerbach; der Gläu¬ bige hingegen denkt: die Liebe iſt ihrem Weſen nach gläubig. Jener eifert gegen die unvernünftige, dieſer gegen die un¬ gläubige Liebe. Beiden kann ſie höchſtens für ein splen¬ didum vitium gelten. Laſſen nicht beide die Liebe beſtehen, auch in der Form der Unvernunft und Ungläubigkeit? Sie wagen nicht zu ſagen: unvernünftige oder ungläubige Liebe iſt ein Unſinn, iſt nicht Liebe, ſo wenig ſie ſagen mögen: un¬ vernünftige oder ungläubige Thränen ſind keine Thränen. Muß aber auch die unvernünftige u. ſ. w. Liebe für Liebe gelten, und ſollen ſie gleichwohl des Menſchen unwürdig ſein, ſo folgt einfach nur dieß: Liebe iſt nicht das Höchſte, ſondern Vernunft oder Glaube; lieben kann auch der Unvernünftige und der Ungläubige; Werth hat die Liebe aber nur, wenn ſie die eines Vernünftigen oder Gläubigen iſt. Es iſt ein Blend¬ werk, wenn Feuerbach die Vernünftigkeit der Liebe ihre „Selbſt¬ beſchränkung“ nennt; der Gläubige könnte mit demſelben Rechte
*) Feuerbach, Weſen d. Chr. 394.
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Als mein Gefühl iſt ſie mein; als Grundſatz, dem Ich meine
Seele weihe und „verſchwöre“, iſt ſie Gebieterin und göttlich,
wie der Haß als Grundſatz teufliſch iſt: eins nicht beſſer
als das andere. Kurz die egoiſtiſche Liebe, d. h. meine Liebe
iſt weder heilig noch unheilig, weder göttlich noch teufliſch.
„Eine Liebe, die durch den Glauben beſchränkt iſt, iſt
eine unwahre Liebe. Die einzige dem Weſen der Liebe nicht
widerſprechende Beſchränkung iſt die Selbſtbeſchränkung der
Liebe durch die Vernunft, die Intelligenz. Liebe, die die Strenge,
das Geſetz der Intelligenz verſchmäht, iſt theoretiſch eine falſche,
praktiſch eine verderbliche Liebe.“ *)Alſo die Liebe iſt ihrem
Weſen nach vernünftig! So denkt Feuerbach; der Gläu¬
bige hingegen denkt: die Liebe iſt ihrem Weſen nach gläubig.
Jener eifert gegen die unvernünftige, dieſer gegen die un¬
gläubige Liebe. Beiden kann ſie höchſtens für ein splen¬
didum vitium gelten. Laſſen nicht beide die Liebe beſtehen,
auch in der Form der Unvernunft und Ungläubigkeit? Sie
wagen nicht zu ſagen: unvernünftige oder ungläubige Liebe
iſt ein Unſinn, iſt nicht Liebe, ſo wenig ſie ſagen mögen: un¬
vernünftige oder ungläubige Thränen ſind keine Thränen.
Muß aber auch die unvernünftige u. ſ. w. Liebe für Liebe
gelten, und ſollen ſie gleichwohl des Menſchen unwürdig ſein,
ſo folgt einfach nur dieß: Liebe iſt nicht das Höchſte, ſondern
Vernunft oder Glaube; lieben kann auch der Unvernünftige
und der Ungläubige; Werth hat die Liebe aber nur, wenn ſie
die eines Vernünftigen oder Gläubigen iſt. Es iſt ein Blend¬
werk, wenn Feuerbach die Vernünftigkeit der Liebe ihre „Selbſt¬
beſchränkung“ nennt; der Gläubige könnte mit demſelben Rechte
*)
Feuerbach, Weſen d. Chr. 394.
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/400>, abgerufen am 23.11.2024.
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