Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

wandelt, ist die Gewalt das -- Recht. Diese verewigte
Gewalt erlischt selbst mit meinem Tode nicht, sondern wird
übertragen oder "vererbt".

Die Dinge gehören nun wirklich nicht Mir, sondern dem
Rechte.

Andererseits ist dieß weiter nichts, als eine Verblendung.
Denn die Gewalt des Einzelnen wird allein dadurch perma¬
nent und ein Recht, daß Andere ihre Gewalt mit der seinigen
verbinden. Der Wahn besteht darin, daß sie ihre Gewalt
nicht wieder zurückziehen zu können glauben. Wiederum die¬
selbe Erscheinung, daß die Gewalt von Mir getrennt wird.
Ich kann die Gewalt, welche Ich dem Besitzer gab, nicht wie¬
der nehmen. Man hat "bevollmächtigt", hat die Macht weg¬
gegeben, hat dem entsagt, sich eines Besseren zu besinnen.

Der Eigenthümer kann seine Gewalt und sein Recht an
eine Sache aufgeben, indem er sie verschenkt, verschleudert
u. dergl. Und Wir könnten die Gewalt, welche Wir jenem
liehen, nicht gleichfalls fahren lassen?

Der rechtliche Mensch, der Gerechte, begehrt nichts sein
eigen zu nennen, was er nicht "mit Recht" oder wozu er nicht
das Recht hat, also nur rechtmäßiges Eigenthum.

Wer soll nun Richter sein und ihm sein Recht zusprechen?
Zuletzt doch der Mensch, der ihm die Menschenrechte ertheilt:
dann kann er in einem unendlich weiteren Sinne als Terenz
sagen: humani nihil a me alienum puto, d. h. das Mensch¬
liche ist mein Eigenthum
. Er mag es anstellen, wie er
will, von einem Richter kommt er auf diesem Standpunkte
nicht los, und in unserer Zeit sind die mancherlei Richter,
welche man sich erwählt hatte, in zwei todfeindliche Personen
gegen einander getreten, nämlich in den Gott und den Men¬

wandelt, iſt die Gewalt das — Recht. Dieſe verewigte
Gewalt erliſcht ſelbſt mit meinem Tode nicht, ſondern wird
übertragen oder „vererbt“.

Die Dinge gehören nun wirklich nicht Mir, ſondern dem
Rechte.

Andererſeits iſt dieß weiter nichts, als eine Verblendung.
Denn die Gewalt des Einzelnen wird allein dadurch perma¬
nent und ein Recht, daß Andere ihre Gewalt mit der ſeinigen
verbinden. Der Wahn beſteht darin, daß ſie ihre Gewalt
nicht wieder zurückziehen zu können glauben. Wiederum die¬
ſelbe Erſcheinung, daß die Gewalt von Mir getrennt wird.
Ich kann die Gewalt, welche Ich dem Beſitzer gab, nicht wie¬
der nehmen. Man hat „bevollmächtigt“, hat die Macht weg¬
gegeben, hat dem entſagt, ſich eines Beſſeren zu beſinnen.

Der Eigenthümer kann ſeine Gewalt und ſein Recht an
eine Sache aufgeben, indem er ſie verſchenkt, verſchleudert
u. dergl. Und Wir könnten die Gewalt, welche Wir jenem
liehen, nicht gleichfalls fahren laſſen?

Der rechtliche Menſch, der Gerechte, begehrt nichts ſein
eigen zu nennen, was er nicht „mit Recht“ oder wozu er nicht
das Recht hat, alſo nur rechtmäßiges Eigenthum.

Wer ſoll nun Richter ſein und ihm ſein Recht zuſprechen?
Zuletzt doch der Menſch, der ihm die Menſchenrechte ertheilt:
dann kann er in einem unendlich weiteren Sinne als Terenz
ſagen: humani nihil a me alienum puto, d. h. das Menſch¬
liche iſt mein Eigenthum
. Er mag es anſtellen, wie er
will, von einem Richter kommt er auf dieſem Standpunkte
nicht los, und in unſerer Zeit ſind die mancherlei Richter,
welche man ſich erwählt hatte, in zwei todfeindliche Perſonen
gegen einander getreten, nämlich in den Gott und den Men¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0375" n="367"/>
wandelt, i&#x017F;t die Gewalt das &#x2014; <hi rendition="#g">Recht</hi>. Die&#x017F;e <hi rendition="#g">verewigte</hi><lb/>
Gewalt erli&#x017F;cht &#x017F;elb&#x017F;t mit meinem Tode nicht, &#x017F;ondern wird<lb/>
übertragen oder &#x201E;vererbt&#x201C;.</p><lb/>
            <p>Die Dinge gehören nun wirklich nicht Mir, &#x017F;ondern dem<lb/>
Rechte.</p><lb/>
            <p>Anderer&#x017F;eits i&#x017F;t dieß weiter nichts, als eine Verblendung.<lb/>
Denn die Gewalt des Einzelnen wird allein dadurch perma¬<lb/>
nent und ein Recht, daß Andere ihre Gewalt mit der &#x017F;einigen<lb/>
verbinden. Der Wahn be&#x017F;teht darin, daß &#x017F;ie ihre Gewalt<lb/>
nicht wieder zurückziehen zu können glauben. Wiederum die¬<lb/>
&#x017F;elbe Er&#x017F;cheinung, daß die Gewalt von Mir getrennt wird.<lb/>
Ich kann die Gewalt, welche Ich dem Be&#x017F;itzer gab, nicht wie¬<lb/>
der nehmen. Man hat &#x201E;bevollmächtigt&#x201C;, hat die Macht weg¬<lb/>
gegeben, hat dem ent&#x017F;agt, &#x017F;ich eines Be&#x017F;&#x017F;eren zu be&#x017F;innen.</p><lb/>
            <p>Der Eigenthümer kann &#x017F;eine Gewalt und &#x017F;ein Recht an<lb/>
eine Sache aufgeben, indem er &#x017F;ie ver&#x017F;chenkt, ver&#x017F;chleudert<lb/>
u. dergl. Und Wir könnten die Gewalt, welche Wir jenem<lb/>
liehen, nicht gleichfalls fahren la&#x017F;&#x017F;en?</p><lb/>
            <p>Der rechtliche Men&#x017F;ch, der <hi rendition="#g">Gerechte</hi>, begehrt nichts &#x017F;ein<lb/>
eigen zu nennen, was er nicht &#x201E;mit Recht&#x201C; oder wozu er nicht<lb/>
das Recht hat, al&#x017F;o nur <hi rendition="#g">rechtmäßiges Eigenthum</hi>.</p><lb/>
            <p>Wer &#x017F;oll nun Richter &#x017F;ein und ihm &#x017F;ein Recht zu&#x017F;prechen?<lb/>
Zuletzt doch der Men&#x017F;ch, der ihm die Men&#x017F;chenrechte ertheilt:<lb/>
dann kann er in einem unendlich weiteren Sinne als Terenz<lb/>
&#x017F;agen: <hi rendition="#aq">humani nihil a me alienum puto</hi>, d. h. <hi rendition="#g">das Men&#x017F;ch¬<lb/>
liche i&#x017F;t mein Eigenthum</hi>. Er mag es an&#x017F;tellen, wie er<lb/>
will, von einem Richter kommt er auf die&#x017F;em Standpunkte<lb/>
nicht los, und in un&#x017F;erer Zeit &#x017F;ind die mancherlei Richter,<lb/>
welche man &#x017F;ich erwählt hatte, in zwei todfeindliche Per&#x017F;onen<lb/>
gegen einander getreten, nämlich in den Gott und den Men¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[367/0375] wandelt, iſt die Gewalt das — Recht. Dieſe verewigte Gewalt erliſcht ſelbſt mit meinem Tode nicht, ſondern wird übertragen oder „vererbt“. Die Dinge gehören nun wirklich nicht Mir, ſondern dem Rechte. Andererſeits iſt dieß weiter nichts, als eine Verblendung. Denn die Gewalt des Einzelnen wird allein dadurch perma¬ nent und ein Recht, daß Andere ihre Gewalt mit der ſeinigen verbinden. Der Wahn beſteht darin, daß ſie ihre Gewalt nicht wieder zurückziehen zu können glauben. Wiederum die¬ ſelbe Erſcheinung, daß die Gewalt von Mir getrennt wird. Ich kann die Gewalt, welche Ich dem Beſitzer gab, nicht wie¬ der nehmen. Man hat „bevollmächtigt“, hat die Macht weg¬ gegeben, hat dem entſagt, ſich eines Beſſeren zu beſinnen. Der Eigenthümer kann ſeine Gewalt und ſein Recht an eine Sache aufgeben, indem er ſie verſchenkt, verſchleudert u. dergl. Und Wir könnten die Gewalt, welche Wir jenem liehen, nicht gleichfalls fahren laſſen? Der rechtliche Menſch, der Gerechte, begehrt nichts ſein eigen zu nennen, was er nicht „mit Recht“ oder wozu er nicht das Recht hat, alſo nur rechtmäßiges Eigenthum. Wer ſoll nun Richter ſein und ihm ſein Recht zuſprechen? Zuletzt doch der Menſch, der ihm die Menſchenrechte ertheilt: dann kann er in einem unendlich weiteren Sinne als Terenz ſagen: humani nihil a me alienum puto, d. h. das Menſch¬ liche iſt mein Eigenthum. Er mag es anſtellen, wie er will, von einem Richter kommt er auf dieſem Standpunkte nicht los, und in unſerer Zeit ſind die mancherlei Richter, welche man ſich erwählt hatte, in zwei todfeindliche Perſonen gegen einander getreten, nämlich in den Gott und den Men¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/375
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/375>, abgerufen am 23.11.2024.