Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

lebendig am Staatswesen betheilige, d. h. wenn man nicht
Politiker sei. Darin hat er Recht; denn wenn der Staat für
den Hüter alles "Menschlichen" gilt, so können Wir nichts
Menschliches haben, ohne an ihm Theil zu nehmen. Was
ist aber damit gegen den Egoisten gesagt? Gar nichts, weil
der Egoist sich selbst der Hüter des Menschlichen ist und mit
dem Staate nur die Worte spricht: Geh' Mir aus der Sonne.
Nur wenn der Staat mit seiner Eigenheit in Berührung kommt,
nimmt der Egoist ein thätiges Interesse an ihm. Wenn den
Stubengelehrten der Zustand des Staates nicht drückt, soll er
sich mit ihm befassen, weil es seine "heiligste Pflicht" ist?
So lange der Staat es ihm nach Wunsche macht, was braucht
er da von seinen Studien aufzusehen? Mögen doch diejeni¬
gen, welche die Zustände aus eigenem Interesse anders haben
wollen, sich damit beschäftigen. Die "heilige Pflicht" wird
nun und nimmermehr die Leute dazu bringen, über den Staat
nachzudenken, so wenig als sie aus "heiliger Pflicht" Jünger
der Wissenschaft, Künstler u. s. w. werden. Der Egoismus
allein kann sie dazu antreiben, und er wird es, sobald es viel
schlechter geworden ist. Zeigtet Ihr den Leuten, daß ihr
Egoismus die Beschäftigung mit dem Staatswesen fordere, so
würdet Ihr sie nicht lange aufzurufen haben; appellirt Ihr
hingegen an ihre Vaterlandsliebe u. dergl., so werdet Ihr
lange zu diesem "Liebesdienste" tauben Heizen predigen. Frei¬
lich, in eurem Sinne werden sich die Egoisten überhaupt nicht
am Staatswesen betheiligen.

Eine ächt liberale Phrase bringt Nauwerk S. 16: "Der
Mensch erfüllt erst damit vollständig seinen Beruf, daß er sich
als Mitglied der Menschheit fühlt und weiß, und als solches
wirksam ist. Der Einzelne kann die Idee des Menschen¬

lebendig am Staatsweſen betheilige, d. h. wenn man nicht
Politiker ſei. Darin hat er Recht; denn wenn der Staat für
den Hüter alles „Menſchlichen“ gilt, ſo können Wir nichts
Menſchliches haben, ohne an ihm Theil zu nehmen. Was
iſt aber damit gegen den Egoiſten geſagt? Gar nichts, weil
der Egoiſt ſich ſelbſt der Hüter des Menſchlichen iſt und mit
dem Staate nur die Worte ſpricht: Geh' Mir aus der Sonne.
Nur wenn der Staat mit ſeiner Eigenheit in Berührung kommt,
nimmt der Egoiſt ein thätiges Intereſſe an ihm. Wenn den
Stubengelehrten der Zuſtand des Staates nicht drückt, ſoll er
ſich mit ihm befaſſen, weil es ſeine „heiligſte Pflicht“ iſt?
So lange der Staat es ihm nach Wunſche macht, was braucht
er da von ſeinen Studien aufzuſehen? Mögen doch diejeni¬
gen, welche die Zuſtände aus eigenem Intereſſe anders haben
wollen, ſich damit beſchäftigen. Die „heilige Pflicht“ wird
nun und nimmermehr die Leute dazu bringen, über den Staat
nachzudenken, ſo wenig als ſie aus „heiliger Pflicht“ Jünger
der Wiſſenſchaft, Künſtler u. ſ. w. werden. Der Egoismus
allein kann ſie dazu antreiben, und er wird es, ſobald es viel
ſchlechter geworden iſt. Zeigtet Ihr den Leuten, daß ihr
Egoismus die Beſchäftigung mit dem Staatsweſen fordere, ſo
würdet Ihr ſie nicht lange aufzurufen haben; appellirt Ihr
hingegen an ihre Vaterlandsliebe u. dergl., ſo werdet Ihr
lange zu dieſem „Liebesdienſte“ tauben Heizen predigen. Frei¬
lich, in eurem Sinne werden ſich die Egoiſten überhaupt nicht
am Staatsweſen betheiligen.

Eine ächt liberale Phraſe bringt Nauwerk S. 16: „Der
Menſch erfüllt erſt damit vollſtändig ſeinen Beruf, daß er ſich
als Mitglied der Menſchheit fühlt und weiß, und als ſolches
wirkſam iſt. Der Einzelne kann die Idee des Menſchen¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0316" n="308"/>
lebendig am Staatswe&#x017F;en betheilige, d. h. wenn man nicht<lb/>
Politiker &#x017F;ei. Darin hat er Recht; denn wenn der Staat für<lb/>
den Hüter alles &#x201E;Men&#x017F;chlichen&#x201C; gilt, &#x017F;o können Wir nichts<lb/>
Men&#x017F;chliches haben, ohne an ihm Theil zu nehmen. Was<lb/>
i&#x017F;t aber damit gegen den Egoi&#x017F;ten ge&#x017F;agt? Gar nichts, weil<lb/>
der Egoi&#x017F;t &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t der Hüter des Men&#x017F;chlichen i&#x017F;t und mit<lb/>
dem Staate nur die Worte &#x017F;pricht: Geh' Mir aus der Sonne.<lb/>
Nur wenn der Staat mit &#x017F;einer Eigenheit in Berührung kommt,<lb/>
nimmt der Egoi&#x017F;t ein thätiges Intere&#x017F;&#x017F;e an ihm. Wenn den<lb/>
Stubengelehrten der Zu&#x017F;tand des Staates nicht drückt, &#x017F;oll er<lb/>
&#x017F;ich mit ihm befa&#x017F;&#x017F;en, weil es &#x017F;eine &#x201E;heilig&#x017F;te Pflicht&#x201C; i&#x017F;t?<lb/>
So lange der Staat es ihm nach Wun&#x017F;che macht, was braucht<lb/>
er da von &#x017F;einen Studien aufzu&#x017F;ehen? Mögen doch diejeni¬<lb/>
gen, welche die Zu&#x017F;tände aus eigenem Intere&#x017F;&#x017F;e anders haben<lb/>
wollen, &#x017F;ich damit be&#x017F;chäftigen. Die &#x201E;heilige Pflicht&#x201C; wird<lb/>
nun und nimmermehr die Leute dazu bringen, über den Staat<lb/>
nachzudenken, &#x017F;o wenig als &#x017F;ie aus &#x201E;heiliger Pflicht&#x201C; Jünger<lb/>
der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, Kün&#x017F;tler u. &#x017F;. w. werden. Der Egoismus<lb/>
allein kann &#x017F;ie dazu antreiben, und er wird es, &#x017F;obald es viel<lb/>
&#x017F;chlechter geworden i&#x017F;t. Zeigtet Ihr den Leuten, daß ihr<lb/>
Egoismus die Be&#x017F;chäftigung mit dem Staatswe&#x017F;en fordere, &#x017F;o<lb/>
würdet Ihr &#x017F;ie nicht lange aufzurufen haben; appellirt Ihr<lb/>
hingegen an ihre Vaterlandsliebe u. dergl., &#x017F;o werdet Ihr<lb/>
lange zu die&#x017F;em &#x201E;Liebesdien&#x017F;te&#x201C; tauben Heizen predigen. Frei¬<lb/>
lich, in eurem Sinne werden &#x017F;ich die Egoi&#x017F;ten überhaupt nicht<lb/>
am Staatswe&#x017F;en betheiligen.</p><lb/>
            <p>Eine ächt liberale Phra&#x017F;e bringt Nauwerk S. 16: &#x201E;Der<lb/>
Men&#x017F;ch erfüllt er&#x017F;t damit voll&#x017F;tändig &#x017F;einen Beruf, daß er &#x017F;ich<lb/>
als Mitglied der Men&#x017F;chheit fühlt und weiß, und als &#x017F;olches<lb/>
wirk&#x017F;am i&#x017F;t. Der Einzelne kann die Idee des <hi rendition="#g">Men&#x017F;chen¬<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0316] lebendig am Staatsweſen betheilige, d. h. wenn man nicht Politiker ſei. Darin hat er Recht; denn wenn der Staat für den Hüter alles „Menſchlichen“ gilt, ſo können Wir nichts Menſchliches haben, ohne an ihm Theil zu nehmen. Was iſt aber damit gegen den Egoiſten geſagt? Gar nichts, weil der Egoiſt ſich ſelbſt der Hüter des Menſchlichen iſt und mit dem Staate nur die Worte ſpricht: Geh' Mir aus der Sonne. Nur wenn der Staat mit ſeiner Eigenheit in Berührung kommt, nimmt der Egoiſt ein thätiges Intereſſe an ihm. Wenn den Stubengelehrten der Zuſtand des Staates nicht drückt, ſoll er ſich mit ihm befaſſen, weil es ſeine „heiligſte Pflicht“ iſt? So lange der Staat es ihm nach Wunſche macht, was braucht er da von ſeinen Studien aufzuſehen? Mögen doch diejeni¬ gen, welche die Zuſtände aus eigenem Intereſſe anders haben wollen, ſich damit beſchäftigen. Die „heilige Pflicht“ wird nun und nimmermehr die Leute dazu bringen, über den Staat nachzudenken, ſo wenig als ſie aus „heiliger Pflicht“ Jünger der Wiſſenſchaft, Künſtler u. ſ. w. werden. Der Egoismus allein kann ſie dazu antreiben, und er wird es, ſobald es viel ſchlechter geworden iſt. Zeigtet Ihr den Leuten, daß ihr Egoismus die Beſchäftigung mit dem Staatsweſen fordere, ſo würdet Ihr ſie nicht lange aufzurufen haben; appellirt Ihr hingegen an ihre Vaterlandsliebe u. dergl., ſo werdet Ihr lange zu dieſem „Liebesdienſte“ tauben Heizen predigen. Frei¬ lich, in eurem Sinne werden ſich die Egoiſten überhaupt nicht am Staatsweſen betheiligen. Eine ächt liberale Phraſe bringt Nauwerk S. 16: „Der Menſch erfüllt erſt damit vollſtändig ſeinen Beruf, daß er ſich als Mitglied der Menſchheit fühlt und weiß, und als ſolches wirkſam iſt. Der Einzelne kann die Idee des Menſchen¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/316
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/316>, abgerufen am 23.11.2024.