Staatssache ist allerdings alles, was das Princip der Sittlichkeit angeht. Daher mischt sich der chinesische Staat so sehr in die Familienangelegenheit, und man ist da nichts, wenn man nicht vor Allem ein gutes Kind seiner Aeltern ist. Die Familienangelegenheit ist durchaus auch bei Uns Staatsange¬ legenheit, nur daß unser Staat in die Familien ohne ängstliche Aufsicht -- Vertrauen setzt: durch den Ehebund hält er die Familie gebunden, und ohne ihn kann dieser Bund nicht gelöst werden.
Daß der Staat Mich aber für meine Principien verant¬ wortlich macht und gewisse von Mir fordert, das könnte Mich fragen lassen: Was geht ihn mein "Sparren" (Princip) an? Sehr viel, denn er ist das -- herrschende Princip. Man meint, in der Ehescheidungssache, überhaupt im Eherechte, handle sich's um das Maaß von Recht zwischen Kirche und Staat. Vielmehr handelt sich's darum, ob ein Heiliges über den Menschen herrschen solle, heiße dieß nun Glaube oder Sittengesetz (Sittlichkeit). Der Staat beträgt sich als derselbe Herrscher wie die Kirche es that. Diese ruht auf Frömmigkeit, jener auf Sittlichkeit.
Man spricht von der Toleranz, dem Freilassen der entge¬ gengesetzten Richtungen u. dgl, wodurch die civilisirten Staaten sich auszeichnen. Allerdings sind einige stark genug, um selbst den ungebundensten Meetings zuzusehen, indeß andere ihren Schergen auftragen, auf Tabackspfeifen Jagd zu machen. Allein für einen Staat wie für den anderen ist das Spiel der Individuen untereinander, ihr Hin- und Hersummen, ihr täg¬ liches Leben, eine Zufälligkeit, die er wohl ihnen selbst überlassen muß, weil er damit nichts anfangen kann. Manche seigen freilich noch Mücken und verschlucken Kameele, während
Staatsſache iſt allerdings alles, was das Princip der Sittlichkeit angeht. Daher miſcht ſich der chineſiſche Staat ſo ſehr in die Familienangelegenheit, und man iſt da nichts, wenn man nicht vor Allem ein gutes Kind ſeiner Aeltern iſt. Die Familienangelegenheit iſt durchaus auch bei Uns Staatsange¬ legenheit, nur daß unſer Staat in die Familien ohne ängſtliche Aufſicht — Vertrauen ſetzt: durch den Ehebund hält er die Familie gebunden, und ohne ihn kann dieſer Bund nicht gelöſt werden.
Daß der Staat Mich aber für meine Principien verant¬ wortlich macht und gewiſſe von Mir fordert, das könnte Mich fragen laſſen: Was geht ihn mein „Sparren“ (Princip) an? Sehr viel, denn er iſt das — herrſchende Princip. Man meint, in der Eheſcheidungsſache, überhaupt im Eherechte, handle ſich's um das Maaß von Recht zwiſchen Kirche und Staat. Vielmehr handelt ſich's darum, ob ein Heiliges über den Menſchen herrſchen ſolle, heiße dieß nun Glaube oder Sittengeſetz (Sittlichkeit). Der Staat beträgt ſich als derſelbe Herrſcher wie die Kirche es that. Dieſe ruht auf Frömmigkeit, jener auf Sittlichkeit.
Man ſpricht von der Toleranz, dem Freilaſſen der entge¬ gengeſetzten Richtungen u. dgl, wodurch die civiliſirten Staaten ſich auszeichnen. Allerdings ſind einige ſtark genug, um ſelbſt den ungebundenſten Meetings zuzuſehen, indeß andere ihren Schergen auftragen, auf Tabackspfeifen Jagd zu machen. Allein für einen Staat wie für den anderen iſt das Spiel der Individuen untereinander, ihr Hin- und Herſummen, ihr täg¬ liches Leben, eine Zufälligkeit, die er wohl ihnen ſelbſt überlaſſen muß, weil er damit nichts anfangen kann. Manche ſeigen freilich noch Mücken und verſchlucken Kameele, während
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0305"n="297"/><p>Staatsſache iſt allerdings alles, was das Princip der<lb/>
Sittlichkeit angeht. Daher miſcht ſich der chineſiſche Staat ſo<lb/>ſehr in die Familienangelegenheit, und man iſt da nichts, wenn<lb/>
man nicht vor Allem ein gutes Kind ſeiner Aeltern iſt. Die<lb/>
Familienangelegenheit iſt durchaus auch bei Uns Staatsange¬<lb/>
legenheit, nur daß unſer Staat in die Familien ohne ängſtliche<lb/>
Aufſicht — Vertrauen ſetzt: durch den Ehebund hält er die<lb/>
Familie gebunden, und ohne ihn kann dieſer Bund nicht gelöſt<lb/>
werden.</p><lb/><p>Daß der Staat Mich aber für meine Principien verant¬<lb/>
wortlich macht und gewiſſe von Mir fordert, das könnte Mich<lb/>
fragen laſſen: Was geht ihn mein „Sparren“ (Princip) an?<lb/>
Sehr viel, denn er iſt das —<hirendition="#g">herrſchende Princip</hi>.<lb/>
Man meint, in der Eheſcheidungsſache, überhaupt im Eherechte,<lb/>
handle ſich's um das Maaß von Recht zwiſchen Kirche und<lb/>
Staat. Vielmehr handelt ſich's darum, ob ein Heiliges<lb/>
über den Menſchen herrſchen ſolle, heiße dieß nun Glaube<lb/>
oder Sittengeſetz (Sittlichkeit). Der Staat beträgt ſich als<lb/>
derſelbe Herrſcher wie die Kirche es that. Dieſe ruht auf<lb/>
Frömmigkeit, jener auf Sittlichkeit.</p><lb/><p>Man ſpricht von der Toleranz, dem Freilaſſen der entge¬<lb/>
gengeſetzten Richtungen u. dgl, wodurch die civiliſirten Staaten<lb/>ſich auszeichnen. Allerdings ſind einige ſtark genug, um ſelbſt<lb/>
den ungebundenſten Meetings zuzuſehen, indeß andere ihren<lb/>
Schergen auftragen, auf Tabackspfeifen Jagd zu machen.<lb/>
Allein für einen Staat wie für den anderen iſt das Spiel der<lb/>
Individuen untereinander, ihr Hin- und Herſummen, ihr täg¬<lb/>
liches Leben, eine <hirendition="#g">Zufälligkeit</hi>, die er wohl ihnen ſelbſt<lb/>
überlaſſen muß, weil er damit nichts anfangen kann. Manche<lb/>ſeigen freilich noch Mücken und verſchlucken Kameele, während<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[297/0305]
Staatsſache iſt allerdings alles, was das Princip der
Sittlichkeit angeht. Daher miſcht ſich der chineſiſche Staat ſo
ſehr in die Familienangelegenheit, und man iſt da nichts, wenn
man nicht vor Allem ein gutes Kind ſeiner Aeltern iſt. Die
Familienangelegenheit iſt durchaus auch bei Uns Staatsange¬
legenheit, nur daß unſer Staat in die Familien ohne ängſtliche
Aufſicht — Vertrauen ſetzt: durch den Ehebund hält er die
Familie gebunden, und ohne ihn kann dieſer Bund nicht gelöſt
werden.
Daß der Staat Mich aber für meine Principien verant¬
wortlich macht und gewiſſe von Mir fordert, das könnte Mich
fragen laſſen: Was geht ihn mein „Sparren“ (Princip) an?
Sehr viel, denn er iſt das — herrſchende Princip.
Man meint, in der Eheſcheidungsſache, überhaupt im Eherechte,
handle ſich's um das Maaß von Recht zwiſchen Kirche und
Staat. Vielmehr handelt ſich's darum, ob ein Heiliges
über den Menſchen herrſchen ſolle, heiße dieß nun Glaube
oder Sittengeſetz (Sittlichkeit). Der Staat beträgt ſich als
derſelbe Herrſcher wie die Kirche es that. Dieſe ruht auf
Frömmigkeit, jener auf Sittlichkeit.
Man ſpricht von der Toleranz, dem Freilaſſen der entge¬
gengeſetzten Richtungen u. dgl, wodurch die civiliſirten Staaten
ſich auszeichnen. Allerdings ſind einige ſtark genug, um ſelbſt
den ungebundenſten Meetings zuzuſehen, indeß andere ihren
Schergen auftragen, auf Tabackspfeifen Jagd zu machen.
Allein für einen Staat wie für den anderen iſt das Spiel der
Individuen untereinander, ihr Hin- und Herſummen, ihr täg¬
liches Leben, eine Zufälligkeit, die er wohl ihnen ſelbſt
überlaſſen muß, weil er damit nichts anfangen kann. Manche
ſeigen freilich noch Mücken und verſchlucken Kameele, während
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/305>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.