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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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keit" nicht. Ich bin Mensch, gerade so, wie die Erde Stern
ist. So lächerlich es wäre der Erde die Aufgabe zu stellen,
ein "rechter Stern" zu sein, so lächerlich ist's, Mir als Beruf
aufzubürden, ein "rechter Mensch" zu sein.

Wenn Fichte sagt: "Das Ich ist Alles", so scheint dieß
mit meinen Aufstellungen vollkommen zu harmoniren. Allein
nicht das Ich ist Alles, sondern das Ich zerstört Alles, und
nur das sich selbst auflösende Ich, das nie seiende Ich, das
-- endliche Ich ist wirklich Ich. Fichte spricht vom "abso¬
luten" Ich, Ich aber spreche von Mir, dem vergänglichen Ich.

Wie nahe liegt die Meinung, daß Mensch und Ich
dasselbe sagen, und doch sieht man z. B. an Feuerbach, daß
der Ausdruck "Mensch" das absolute Ich, die Gattung, be¬
zeichnen soll, nicht das vergängliche, einzelne Ich. Egoismus
und Menschlichkeit (Humanität) müßten das Gleiche bedeuten,
aber nach Feuerbach kann der Einzelne (das "Individuum")
"sich nur über die Schranken seiner Individualität erheben,
aber nicht über die Gesetze, die positiven Wesensbestimmungen
seiner Gattung". *)Allein die Gattung ist nichts, und wenn
der Einzelne sich über die Schranken seiner Individualität er¬
hebt, so ist dieß vielmehr gerade Er selbst als Einzelner, er ist
nur, indem er sich erhebt, er ist nur, indem er nicht bleibt,
was er ist: sonst wäre er fertig, todt. Der Mensch ist nur
ein Ideal, die Gattung nur ein Gedachtes. Ein Mensch sein,
heißt nicht das Ideal des Menschen erfüllen, sondern sich,
den Einzelnen, darstellen. Nicht, wie Ich das allgemein
Menschliche
realisire, braucht meine Ausgabe zu sein, son¬
dern wie Ich Mir selbst genüge. Ich bin meine Gattung,

*) Wesen d. Christenth., zweite Auflage. S. 401

keit“ nicht. Ich bin Menſch, gerade ſo, wie die Erde Stern
iſt. So lächerlich es wäre der Erde die Aufgabe zu ſtellen,
ein „rechter Stern“ zu ſein, ſo lächerlich iſt's, Mir als Beruf
aufzubürden, ein „rechter Menſch“ zu ſein.

Wenn Fichte ſagt: „Das Ich iſt Alles“, ſo ſcheint dieß
mit meinen Aufſtellungen vollkommen zu harmoniren. Allein
nicht das Ich iſt Alles, ſondern das Ich zerſtört Alles, und
nur das ſich ſelbſt auflöſende Ich, das nie ſeiende Ich, das
endliche Ich iſt wirklich Ich. Fichte ſpricht vom „abſo¬
luten“ Ich, Ich aber ſpreche von Mir, dem vergänglichen Ich.

Wie nahe liegt die Meinung, daß Menſch und Ich
daſſelbe ſagen, und doch ſieht man z. B. an Feuerbach, daß
der Ausdruck „Menſch“ das abſolute Ich, die Gattung, be¬
zeichnen ſoll, nicht das vergängliche, einzelne Ich. Egoismus
und Menſchlichkeit (Humanität) müßten das Gleiche bedeuten,
aber nach Feuerbach kann der Einzelne (das „Individuum“)
„ſich nur über die Schranken ſeiner Individualität erheben,
aber nicht über die Geſetze, die poſitiven Weſensbeſtimmungen
ſeiner Gattung“. *)Allein die Gattung iſt nichts, und wenn
der Einzelne ſich über die Schranken ſeiner Individualität er¬
hebt, ſo iſt dieß vielmehr gerade Er ſelbſt als Einzelner, er iſt
nur, indem er ſich erhebt, er iſt nur, indem er nicht bleibt,
was er iſt: ſonſt wäre er fertig, todt. Der Menſch iſt nur
ein Ideal, die Gattung nur ein Gedachtes. Ein Menſch ſein,
heißt nicht das Ideal des Menſchen erfüllen, ſondern ſich,
den Einzelnen, darſtellen. Nicht, wie Ich das allgemein
Menſchliche
realiſire, braucht meine Ausgabe zu ſein, ſon¬
dern wie Ich Mir ſelbſt genüge. Ich bin meine Gattung,

*) Weſen d. Chriſtenth., zweite Auflage. S. 401
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[239/0247] keit“ nicht. Ich bin Menſch, gerade ſo, wie die Erde Stern iſt. So lächerlich es wäre der Erde die Aufgabe zu ſtellen, ein „rechter Stern“ zu ſein, ſo lächerlich iſt's, Mir als Beruf aufzubürden, ein „rechter Menſch“ zu ſein. Wenn Fichte ſagt: „Das Ich iſt Alles“, ſo ſcheint dieß mit meinen Aufſtellungen vollkommen zu harmoniren. Allein nicht das Ich iſt Alles, ſondern das Ich zerſtört Alles, und nur das ſich ſelbſt auflöſende Ich, das nie ſeiende Ich, das — endliche Ich iſt wirklich Ich. Fichte ſpricht vom „abſo¬ luten“ Ich, Ich aber ſpreche von Mir, dem vergänglichen Ich. Wie nahe liegt die Meinung, daß Menſch und Ich daſſelbe ſagen, und doch ſieht man z. B. an Feuerbach, daß der Ausdruck „Menſch“ das abſolute Ich, die Gattung, be¬ zeichnen ſoll, nicht das vergängliche, einzelne Ich. Egoismus und Menſchlichkeit (Humanität) müßten das Gleiche bedeuten, aber nach Feuerbach kann der Einzelne (das „Individuum“) „ſich nur über die Schranken ſeiner Individualität erheben, aber nicht über die Geſetze, die poſitiven Weſensbeſtimmungen ſeiner Gattung“. *)Allein die Gattung iſt nichts, und wenn der Einzelne ſich über die Schranken ſeiner Individualität er¬ hebt, ſo iſt dieß vielmehr gerade Er ſelbſt als Einzelner, er iſt nur, indem er ſich erhebt, er iſt nur, indem er nicht bleibt, was er iſt: ſonſt wäre er fertig, todt. Der Menſch iſt nur ein Ideal, die Gattung nur ein Gedachtes. Ein Menſch ſein, heißt nicht das Ideal des Menſchen erfüllen, ſondern ſich, den Einzelnen, darſtellen. Nicht, wie Ich das allgemein Menſchliche realiſire, braucht meine Ausgabe zu ſein, ſon¬ dern wie Ich Mir ſelbſt genüge. Ich bin meine Gattung, *) Weſen d. Chriſtenth., zweite Auflage. S. 401

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/247>, abgerufen am 27.11.2024.