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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Respectes gegen die Blutsbande, sein, wodurch ihm jeder Bluts¬
verwandte zu einem Geheiligten wird. So auch muß jedem
Gliede der Staatsgemeinde diese Gemeinde heilig, und der
Begriff, welcher dem Staate der höchste ist, gleichfalls der
höchste sein.

Welcher Begriff ist aber dem Staate der höchste? Doch
wohl der, eine wirklich menschliche Gesellschaft zu sein, eine
Gesellschaft, in welcher Jeder als Glied Aufnahme erhalten
kann, der wirklich Mensch, d. h. nicht Unmensch, ist. Gehe
die Toleranz eines Staates noch so weit, gegen einen Unmen¬
schen und gegen das Unmenschliche hört sie auf. Und doch
ist dieser "Unmensch" ein Mensch, doch ist das "Unmensch¬
liche" selbst etwas Menschliches, ja nur einem Menschen, kei¬
nem Thiere, möglich, ist eben etwas "Menschenmögliches".
Obgleich aber jeder Unmensch ein Mensch ist, so schließt ihn
doch der Staat aus, d. h. er sperrt ihn ein, oder verwandelt
ihn aus einem Staatsgenossen in einen Gefängnißgenossen
(Irrenhaus- oder Krankenhausgenossen nach dem Commu¬
nismus).

Mit dürren Worten zu sagen, was ein Unmensch sei, hält
nicht eben schwer: es ist ein Mensch, welcher dem Begriffe
Mensch nicht entspricht, wie das Unmenschliche ein Mensch¬
liches ist, welches dem Begriffe des Menschlichen nicht an¬
gemessen ist. Die Logik nennt dieß ein "widersinniges Urtheil".
Dürfte man wohl dieß Urtheil, daß einer Mensch sein könne,
ohne Mensch zu sein, aussprechen, wenn man nicht die Hypo¬
these gelten ließe, daß der Begriff des Menschen von der Exi¬
stenz, das Wesen von der Erscheinung getrennt sein könne?
Man sagt: der erscheint zwar als Mensch, ist aber kein
Mensch.

Reſpectes gegen die Blutsbande, ſein, wodurch ihm jeder Bluts¬
verwandte zu einem Geheiligten wird. So auch muß jedem
Gliede der Staatsgemeinde dieſe Gemeinde heilig, und der
Begriff, welcher dem Staate der höchſte iſt, gleichfalls der
höchſte ſein.

Welcher Begriff iſt aber dem Staate der höchſte? Doch
wohl der, eine wirklich menſchliche Geſellſchaft zu ſein, eine
Geſellſchaft, in welcher Jeder als Glied Aufnahme erhalten
kann, der wirklich Menſch, d. h. nicht Unmenſch, iſt. Gehe
die Toleranz eines Staates noch ſo weit, gegen einen Unmen¬
ſchen und gegen das Unmenſchliche hört ſie auf. Und doch
iſt dieſer „Unmenſch“ ein Menſch, doch iſt das „Unmenſch¬
liche“ ſelbſt etwas Menſchliches, ja nur einem Menſchen, kei¬
nem Thiere, möglich, iſt eben etwas „Menſchenmögliches“.
Obgleich aber jeder Unmenſch ein Menſch iſt, ſo ſchließt ihn
doch der Staat aus, d. h. er ſperrt ihn ein, oder verwandelt
ihn aus einem Staatsgenoſſen in einen Gefängnißgenoſſen
(Irrenhaus- oder Krankenhausgenoſſen nach dem Commu¬
nismus).

Mit dürren Worten zu ſagen, was ein Unmenſch ſei, hält
nicht eben ſchwer: es iſt ein Menſch, welcher dem Begriffe
Menſch nicht entſpricht, wie das Unmenſchliche ein Menſch¬
liches iſt, welches dem Begriffe des Menſchlichen nicht an¬
gemeſſen iſt. Die Logik nennt dieß ein „widerſinniges Urtheil“.
Dürfte man wohl dieß Urtheil, daß einer Menſch ſein könne,
ohne Menſch zu ſein, ausſprechen, wenn man nicht die Hypo¬
theſe gelten ließe, daß der Begriff des Menſchen von der Exi¬
ſtenz, das Weſen von der Erſcheinung getrennt ſein könne?
Man ſagt: der erſcheint zwar als Menſch, iſt aber kein
Menſch.

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[232/0240] Reſpectes gegen die Blutsbande, ſein, wodurch ihm jeder Bluts¬ verwandte zu einem Geheiligten wird. So auch muß jedem Gliede der Staatsgemeinde dieſe Gemeinde heilig, und der Begriff, welcher dem Staate der höchſte iſt, gleichfalls der höchſte ſein. Welcher Begriff iſt aber dem Staate der höchſte? Doch wohl der, eine wirklich menſchliche Geſellſchaft zu ſein, eine Geſellſchaft, in welcher Jeder als Glied Aufnahme erhalten kann, der wirklich Menſch, d. h. nicht Unmenſch, iſt. Gehe die Toleranz eines Staates noch ſo weit, gegen einen Unmen¬ ſchen und gegen das Unmenſchliche hört ſie auf. Und doch iſt dieſer „Unmenſch“ ein Menſch, doch iſt das „Unmenſch¬ liche“ ſelbſt etwas Menſchliches, ja nur einem Menſchen, kei¬ nem Thiere, möglich, iſt eben etwas „Menſchenmögliches“. Obgleich aber jeder Unmenſch ein Menſch iſt, ſo ſchließt ihn doch der Staat aus, d. h. er ſperrt ihn ein, oder verwandelt ihn aus einem Staatsgenoſſen in einen Gefängnißgenoſſen (Irrenhaus- oder Krankenhausgenoſſen nach dem Commu¬ nismus). Mit dürren Worten zu ſagen, was ein Unmenſch ſei, hält nicht eben ſchwer: es iſt ein Menſch, welcher dem Begriffe Menſch nicht entſpricht, wie das Unmenſchliche ein Menſch¬ liches iſt, welches dem Begriffe des Menſchlichen nicht an¬ gemeſſen iſt. Die Logik nennt dieß ein „widerſinniges Urtheil“. Dürfte man wohl dieß Urtheil, daß einer Menſch ſein könne, ohne Menſch zu ſein, ausſprechen, wenn man nicht die Hypo¬ theſe gelten ließe, daß der Begriff des Menſchen von der Exi¬ ſtenz, das Weſen von der Erſcheinung getrennt ſein könne? Man ſagt: der erſcheint zwar als Menſch, iſt aber kein Menſch.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/240>, abgerufen am 23.11.2024.