Der Kritiker ist der wahre "Wortführer der Masse", der ihr den "einfachen Begriff und die Redensart" des Egoismus giebt, wogegen die Wortführer, welchen Lit. Ztg. V, 24 der Triumph abgesprochen wird, nur Stümper waren. Er ist ihr Fürst und Feldherr in dem Freiheitskriege gegen den Egoismus; wogegen er kämpft, dagegen kämpft auch sie. Er ist aber zu¬ gleich auch ihr Feind, nur nicht der Feind vor ihr, sondern der befreundete Feind, der die Knute hinter den Zaghaften führt, um ihnen Muth zu erzwingen.
Dadurch reducirt sich der Gegensatz der Kritik und der Masse auf folgende Gegenrede: "Ihr seid Egoisten!" -- ""Nein, Wir sind's nicht!"" -- "Ich will's Euch beweisen!" -- ""Du sollst unsere Rechtfertigung erfahren!"" --
Nehmen Wir denn beide, wofür sie sich ausgeben, für Nichtegoisten, und wofür sie einander nehmen, für Egoisten. Sie sind Egoisten und sind's nicht.
Die Kritik sagt eigentlich: Du mußt dein Ich so gänz¬ lich von aller Beschränktheit befreien, daß es ein menschli¬ ches Ich wird. Ich sage: Befreie Dich so weit Du kannst, so hast Du das Deinige gethan; denn nicht Jedem ist es ge¬ geben, alle Schranken zu durchbrechen, oder sprechender: Nicht Jedem ist das eine Schranke, was für den Andern eine ist. Folglich mühe Dich nicht an den Schranken Anderer ab; ge¬ nug, wenn Du die deinigen niererreißest. Wem ist es jemals gelungen, auch nur eine Schranke für alle Menschen nie¬ derzureißen? Laufen nicht heute wie zu jeder Zeit Unzählige mit allen "Schranken der Menschheit" herum? Wer eine sei¬ ner Schranken umwirft, der kann Andern Weg und Mittel gezeigt haben; das Umwerfen ihrer Schranken bleibt ihre Sache. Auch thut Keiner etwas Anderes. Den Leuten zu¬
Der Kritiker iſt der wahre „Wortführer der Maſſe“, der ihr den „einfachen Begriff und die Redensart“ des Egoismus giebt, wogegen die Wortführer, welchen Lit. Ztg. V, 24 der Triumph abgeſprochen wird, nur Stümper waren. Er iſt ihr Fürſt und Feldherr in dem Freiheitskriege gegen den Egoismus; wogegen er kämpft, dagegen kämpft auch ſie. Er iſt aber zu¬ gleich auch ihr Feind, nur nicht der Feind vor ihr, ſondern der befreundete Feind, der die Knute hinter den Zaghaften führt, um ihnen Muth zu erzwingen.
Dadurch reducirt ſich der Gegenſatz der Kritik und der Maſſe auf folgende Gegenrede: „Ihr ſeid Egoiſten!“ — „„Nein, Wir ſind's nicht!““ — „Ich will's Euch beweiſen!“ — „„Du ſollſt unſere Rechtfertigung erfahren!““ —
Nehmen Wir denn beide, wofür ſie ſich ausgeben, für Nichtegoiſten, und wofür ſie einander nehmen, für Egoiſten. Sie ſind Egoiſten und ſind's nicht.
Die Kritik ſagt eigentlich: Du mußt dein Ich ſo gänz¬ lich von aller Beſchränktheit befreien, daß es ein menſchli¬ ches Ich wird. Ich ſage: Befreie Dich ſo weit Du kannſt, ſo haſt Du das Deinige gethan; denn nicht Jedem iſt es ge¬ geben, alle Schranken zu durchbrechen, oder ſprechender: Nicht Jedem iſt das eine Schranke, was für den Andern eine iſt. Folglich mühe Dich nicht an den Schranken Anderer ab; ge¬ nug, wenn Du die deinigen niererreißeſt. Wem iſt es jemals gelungen, auch nur eine Schranke für alle Menſchen nie¬ derzureißen? Laufen nicht heute wie zu jeder Zeit Unzählige mit allen „Schranken der Menſchheit“ herum? Wer eine ſei¬ ner Schranken umwirft, der kann Andern Weg und Mittel gezeigt haben; das Umwerfen ihrer Schranken bleibt ihre Sache. Auch thut Keiner etwas Anderes. Den Leuten zu¬
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Der Kritiker iſt der wahre „Wortführer der Maſſe“, der
ihr den „einfachen Begriff und die Redensart“ des Egoismus
giebt, wogegen die Wortführer, welchen Lit. Ztg. V, 24 der
Triumph abgeſprochen wird, nur Stümper waren. Er iſt ihr
Fürſt und Feldherr in dem Freiheitskriege gegen den Egoismus;
wogegen er kämpft, dagegen kämpft auch ſie. Er iſt aber zu¬
gleich auch ihr Feind, nur nicht der Feind vor ihr, ſondern
der befreundete Feind, der die Knute hinter den Zaghaften
führt, um ihnen Muth zu erzwingen.
Dadurch reducirt ſich der Gegenſatz der Kritik und der
Maſſe auf folgende Gegenrede: „Ihr ſeid Egoiſten!“ —
„„Nein, Wir ſind's nicht!““ — „Ich will's Euch beweiſen!“
— „„Du ſollſt unſere Rechtfertigung erfahren!““ —
Nehmen Wir denn beide, wofür ſie ſich ausgeben, für
Nichtegoiſten, und wofür ſie einander nehmen, für Egoiſten.
Sie ſind Egoiſten und ſind's nicht.
Die Kritik ſagt eigentlich: Du mußt dein Ich ſo gänz¬
lich von aller Beſchränktheit befreien, daß es ein menſchli¬
ches Ich wird. Ich ſage: Befreie Dich ſo weit Du kannſt,
ſo haſt Du das Deinige gethan; denn nicht Jedem iſt es ge¬
geben, alle Schranken zu durchbrechen, oder ſprechender: Nicht
Jedem iſt das eine Schranke, was für den Andern eine iſt.
Folglich mühe Dich nicht an den Schranken Anderer ab; ge¬
nug, wenn Du die deinigen niererreißeſt. Wem iſt es jemals
gelungen, auch nur eine Schranke für alle Menſchen nie¬
derzureißen? Laufen nicht heute wie zu jeder Zeit Unzählige
mit allen „Schranken der Menſchheit“ herum? Wer eine ſei¬
ner Schranken umwirft, der kann Andern Weg und Mittel
gezeigt haben; das Umwerfen ihrer Schranken bleibt ihre
Sache. Auch thut Keiner etwas Anderes. Den Leuten zu¬
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/195>, abgerufen am 24.11.2024.
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