raler mit veralteten Liberalen vorhanden ist, ein Streit derer, welche die "Freiheit" in kleinem Maaße verstehen, und derer, welche das "volle Maaß" der Freiheit wollen, also der Ge¬ mäßigten und Maaßlosen. Alles dreht sich um die Frage: Wie frei muß der Mensch sein? Daß der Mensch frei sein müsse, daran glauben Alle; darum sind auch Alle liberal. Aber der Unmensch, der doch in jedem Einzelnen steckt, wie dämmt man den? Wie stellt man's an, daß man nicht mit dem Menschen zugleich den Unmenschen frei läßt?
Der gesammte Liberalismus hat einen Todfeind, einen unüberwindlichen Gegensatz, wie Gott den Teufel: dem Men¬ schen steht der Unmensch, der Einzelne, der Egoist stets zur Seite. Staat, Gesellschaft, Menschheit bewältigen diesen Teufel nicht.
Der humane Liberalismus verfolgt die Aufgabe, den an¬ dern Liberalen zu zeigen, daß sie immer noch nicht die "Frei¬ heit" wollen.
Hatten die andern Liberalen nur vereinzelten Egoismus vor Augen, und waren für sie den größten Theil blind, so hat der radicale Liberalismus den Egoismus "in Masse" gegen sich, wirft Alle, die nicht die Sache der Freiheit, wie er, zur eigenen machen, unter die Masse, so daß jetzt Mensch und Unmensch streng geschieden als Feinde gegen einander stehen, nämlich die "Masse" und die "Kritik"*); und zwar die "freie, menschliche Kritik", wie sie (Judenfrage S. 114) genannt wird, gegenüber der rohen, z.B. religiösen Kritik.
Die Kritik spricht die Hoffnung aus, daß sie über die ganze Masse siegen und ihr "ein allgemeines Armuthszeugniß
*) Lit. Ztg. V. 23; dazu V, 12 ff.
raler mit veralteten Liberalen vorhanden iſt, ein Streit derer, welche die „Freiheit“ in kleinem Maaße verſtehen, und derer, welche das „volle Maaß“ der Freiheit wollen, alſo der Ge¬ mäßigten und Maaßloſen. Alles dreht ſich um die Frage: Wie frei muß der Menſch ſein? Daß der Menſch frei ſein müſſe, daran glauben Alle; darum ſind auch Alle liberal. Aber der Unmenſch, der doch in jedem Einzelnen ſteckt, wie dämmt man den? Wie ſtellt man's an, daß man nicht mit dem Menſchen zugleich den Unmenſchen frei läßt?
Der geſammte Liberalismus hat einen Todfeind, einen unüberwindlichen Gegenſatz, wie Gott den Teufel: dem Men¬ ſchen ſteht der Unmenſch, der Einzelne, der Egoiſt ſtets zur Seite. Staat, Geſellſchaft, Menſchheit bewältigen dieſen Teufel nicht.
Der humane Liberalismus verfolgt die Aufgabe, den an¬ dern Liberalen zu zeigen, daß ſie immer noch nicht die „Frei¬ heit“ wollen.
Hatten die andern Liberalen nur vereinzelten Egoismus vor Augen, und waren für ſie den größten Theil blind, ſo hat der radicale Liberalismus den Egoismus „in Maſſe“ gegen ſich, wirft Alle, die nicht die Sache der Freiheit, wie er, zur eigenen machen, unter die Maſſe, ſo daß jetzt Menſch und Unmenſch ſtreng geſchieden als Feinde gegen einander ſtehen, nämlich die „Maſſe“ und die „Kritik“*); und zwar die „freie, menſchliche Kritik“, wie ſie (Judenfrage S. 114) genannt wird, gegenüber der rohen, z.B. religiöſen Kritik.
Die Kritik ſpricht die Hoffnung aus, daß ſie über die ganze Maſſe ſiegen und ihr „ein allgemeines Armuthszeugniß
*) Lit. Ztg. V. 23; dazu V, 12 ff.
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raler mit veralteten Liberalen vorhanden iſt, ein Streit derer,
welche die „Freiheit“ in kleinem Maaße verſtehen, und derer,
welche das „volle Maaß“ der Freiheit wollen, alſo der Ge¬
mäßigten und Maaßloſen. Alles dreht ſich um die Frage:
Wie frei muß der Menſch ſein? Daß der Menſch frei
ſein müſſe, daran glauben Alle; darum ſind auch Alle liberal.
Aber der Unmenſch, der doch in jedem Einzelnen ſteckt, wie
dämmt man den? Wie ſtellt man's an, daß man nicht mit
dem Menſchen zugleich den Unmenſchen frei läßt?
Der geſammte Liberalismus hat einen Todfeind, einen
unüberwindlichen Gegenſatz, wie Gott den Teufel: dem Men¬
ſchen ſteht der Unmenſch, der Einzelne, der Egoiſt ſtets zur
Seite. Staat, Geſellſchaft, Menſchheit bewältigen dieſen
Teufel nicht.
Der humane Liberalismus verfolgt die Aufgabe, den an¬
dern Liberalen zu zeigen, daß ſie immer noch nicht die „Frei¬
heit“ wollen.
Hatten die andern Liberalen nur vereinzelten Egoismus
vor Augen, und waren für ſie den größten Theil blind, ſo
hat der radicale Liberalismus den Egoismus „in Maſſe“
gegen ſich, wirft Alle, die nicht die Sache der Freiheit, wie
er, zur eigenen machen, unter die Maſſe, ſo daß jetzt Menſch
und Unmenſch ſtreng geſchieden als Feinde gegen einander
ſtehen, nämlich die „Maſſe“ und die „Kritik“ *); und zwar
die „freie, menſchliche Kritik“, wie ſie (Judenfrage S. 114)
genannt wird, gegenüber der rohen, z.B. religiöſen Kritik.
Die Kritik ſpricht die Hoffnung aus, daß ſie über die
ganze Maſſe ſiegen und ihr „ein allgemeines Armuthszeugniß
*)
Lit. Ztg. V. 23; dazu V, 12 ff.
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/193>, abgerufen am 24.11.2024.
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