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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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wissen frei, oder daß Ich sie los bin. Sie bedeutet nicht
Meine Freiheit, sondern die Freiheit einer Mich beherrschenden
und bezwingenden Macht; sie bedeutet, daß einer Meiner
Zwingherrn, wie Staat, Religion, Gewissen, frei sind.
Staat, Religion, Gewissen, diese Zwingherrn, machen Mich
zum Sklaven, und ihre Freiheit ist Meine Sklaverei. Daß
sie dabei nothwendig dem Grundsatze "der Zweck heiligt die
Mittel" folgen, versteht sich von selbst. Ist das Staatswohl
Zweck, so ist der Krieg ein geheiligtes Mittel; ist die Gerech¬
tigkeit Staatszweck, so ist der Todschlag ein geheiligtes Mittel
und heißt mit seinem heiligen Namen: "Hinrichtung" u. s. w.
der heilige Staat heiligt alles, was ihm frommt.

Die "individuelle Freiheit", über welche der bürgerliche
Liberalismus eifersüchtig wacht, bedeutet keineswegs eine voll¬
kommen freie Selbstbestimmung, wodurch die Handlungen ganz
die Meinigen werden, sondern nur Unabhängigkeit Per¬
sonen. Individuell frei ist, wer keinem Menschen verant¬
wortlich ist. In diesem Sinne gefaßt -- und man darf sie
nicht anders verstehen -- ist nicht bloß der Herrscher indivi¬
duell frei d. i. unverantwortlich gegen Menschen ("vor
Gott" bekennt er sich ja verantwortlich), sondern Alle, welche
"nur dem Gesetze verantwortlich sind". Diese Art der Freiheit
wurde durch die revolutionaire Bewegung des Jahrhunderts
errungen, die Unabhängigkeit nämlich vom Belieben, vom tel
est notre plaisir
. Daher mußte der constitutionelle Fürst selbst
aller Persönlichkeit entkleidet, alles individuellen Beschließens
beraubt werden, um nicht als Person, als individueller
Mensch, die "individuelle Freiheit" Anderer zu verletzen. Der
persönliche Herrscherwille ist im constitutionellen Fürsten
verschwunden; mit richtigem Gefühl wehren sich daher die ab¬

wiſſen frei, oder daß Ich ſie los bin. Sie bedeutet nicht
Meine Freiheit, ſondern die Freiheit einer Mich beherrſchenden
und bezwingenden Macht; ſie bedeutet, daß einer Meiner
Zwingherrn, wie Staat, Religion, Gewiſſen, frei ſind.
Staat, Religion, Gewiſſen, dieſe Zwingherrn, machen Mich
zum Sklaven, und ihre Freiheit iſt Meine Sklaverei. Daß
ſie dabei nothwendig dem Grundſatze „der Zweck heiligt die
Mittel“ folgen, verſteht ſich von ſelbſt. Iſt das Staatswohl
Zweck, ſo iſt der Krieg ein geheiligtes Mittel; iſt die Gerech¬
tigkeit Staatszweck, ſo iſt der Todſchlag ein geheiligtes Mittel
und heißt mit ſeinem heiligen Namen: „Hinrichtung“ u. ſ. w.
der heilige Staat heiligt alles, was ihm frommt.

Die „individuelle Freiheit“, über welche der bürgerliche
Liberalismus eiferſüchtig wacht, bedeutet keineswegs eine voll¬
kommen freie Selbſtbeſtimmung, wodurch die Handlungen ganz
die Meinigen werden, ſondern nur Unabhängigkeit Per¬
ſonen. Individuell frei iſt, wer keinem Menſchen verant¬
wortlich iſt. In dieſem Sinne gefaßt — und man darf ſie
nicht anders verſtehen — iſt nicht bloß der Herrſcher indivi¬
duell frei d. i. unverantwortlich gegen Menſchen („vor
Gott“ bekennt er ſich ja verantwortlich), ſondern Alle, welche
„nur dem Geſetze verantwortlich ſind“. Dieſe Art der Freiheit
wurde durch die revolutionaire Bewegung des Jahrhunderts
errungen, die Unabhängigkeit nämlich vom Belieben, vom tel
est notre plaisir
. Daher mußte der conſtitutionelle Fürſt ſelbſt
aller Perſönlichkeit entkleidet, alles individuellen Beſchließens
beraubt werden, um nicht als Perſon, als individueller
Menſch, die „individuelle Freiheit“ Anderer zu verletzen. Der
perſönliche Herrſcherwille iſt im conſtitutionellen Fürſten
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[141/0149] wiſſen frei, oder daß Ich ſie los bin. Sie bedeutet nicht Meine Freiheit, ſondern die Freiheit einer Mich beherrſchenden und bezwingenden Macht; ſie bedeutet, daß einer Meiner Zwingherrn, wie Staat, Religion, Gewiſſen, frei ſind. Staat, Religion, Gewiſſen, dieſe Zwingherrn, machen Mich zum Sklaven, und ihre Freiheit iſt Meine Sklaverei. Daß ſie dabei nothwendig dem Grundſatze „der Zweck heiligt die Mittel“ folgen, verſteht ſich von ſelbſt. Iſt das Staatswohl Zweck, ſo iſt der Krieg ein geheiligtes Mittel; iſt die Gerech¬ tigkeit Staatszweck, ſo iſt der Todſchlag ein geheiligtes Mittel und heißt mit ſeinem heiligen Namen: „Hinrichtung“ u. ſ. w. der heilige Staat heiligt alles, was ihm frommt. Die „individuelle Freiheit“, über welche der bürgerliche Liberalismus eiferſüchtig wacht, bedeutet keineswegs eine voll¬ kommen freie Selbſtbeſtimmung, wodurch die Handlungen ganz die Meinigen werden, ſondern nur Unabhängigkeit Per¬ ſonen. Individuell frei iſt, wer keinem Menſchen verant¬ wortlich iſt. In dieſem Sinne gefaßt — und man darf ſie nicht anders verſtehen — iſt nicht bloß der Herrſcher indivi¬ duell frei d. i. unverantwortlich gegen Menſchen („vor Gott“ bekennt er ſich ja verantwortlich), ſondern Alle, welche „nur dem Geſetze verantwortlich ſind“. Dieſe Art der Freiheit wurde durch die revolutionaire Bewegung des Jahrhunderts errungen, die Unabhängigkeit nämlich vom Belieben, vom tel est notre plaisir. Daher mußte der conſtitutionelle Fürſt ſelbſt aller Perſönlichkeit entkleidet, alles individuellen Beſchließens beraubt werden, um nicht als Perſon, als individueller Menſch, die „individuelle Freiheit“ Anderer zu verletzen. Der perſönliche Herrſcherwille iſt im conſtitutionellen Fürſten verſchwunden; mit richtigem Gefühl wehren ſich daher die ab¬

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/149>, abgerufen am 27.11.2024.