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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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zelnen im Staate und an die Staatsgesetze. Warum aber
"Freiheit"? Weil man nicht mehr vom Staate durch Mit¬
telspersonen getrennt wird, sondern in directer und unmittel¬
barer Beziehung zu ihm steht, weil man -- Staatsbürger ist,
nicht Unterthan eines Andern, selbst nicht des Königs als einer
Person, sondern nur in seiner Eigenschaft als "Staatsober¬
haupt". Die politische Freiheit, diese Grundlehre des Libera¬
lismus, ist nichts als eine zweite Phase des -- Protestantis¬
mus und läuft mit der "religiösen Freiheit" ganz parallel. *)
Oder wäre etwa unter letzterer eine Freiheit von der Religion
zu verstehen? Nichts weniger als das. Nur die Freiheit
von Mittelspersonen soll damit ausgesprochen werden, die Frei¬
heit von vermittelnden Priestern, die Aufhebung der "Laien¬
schaft", also das directe und unmittelbare Verhältniß zur Re¬
ligion oder zu Gott. Nur unter der Voraussetzung, daß man
Religion habe, kann man Religionsfreiheit genießen, Religi¬
onsfreiheit heißt nicht Religionslosigkeit, sondern Glaubensin¬
nigkeit, unvermittelter Verkehr mit Gott. Wer "religiös frei"
ist, dem ist die Religion eine Herzens-Sache, ist ihm seine
eigene Sache, ist ihm ein "heiliger Ernst". So auch ist's
dem "politisch Freien" ein heiliger Ernst mit dem Staate, er
ist seine Herzenssache, seine Hauptsache, seine eigene Sache.

Politische Freiheit sagt dieß, daß die Polis, der Staat,
frei ist, Religionsfreiheit dieß, daß die Religion frei ist, wie
Gewissensfreiheit dieß bedeutet, daß das Gewissen frei ist;
also nicht, daß Ich vom Staate, von der Religion, vom Ge¬

*) Louis Blanc sagt (histoire des dix ans, I. p. 138) von der Zeit
der Restauration: Le protestantisme devint le fond des idees et des
moeurs.

zelnen im Staate und an die Staatsgeſetze. Warum aber
„Freiheit“? Weil man nicht mehr vom Staate durch Mit¬
telsperſonen getrennt wird, ſondern in directer und unmittel¬
barer Beziehung zu ihm ſteht, weil man — Staatsbürger iſt,
nicht Unterthan eines Andern, ſelbſt nicht des Königs als einer
Perſon, ſondern nur in ſeiner Eigenſchaft als „Staatsober¬
haupt“. Die politiſche Freiheit, dieſe Grundlehre des Libera¬
lismus, iſt nichts als eine zweite Phaſe des — Proteſtantis¬
mus und läuft mit der „religiöſen Freiheit“ ganz parallel. *)
Oder wäre etwa unter letzterer eine Freiheit von der Religion
zu verſtehen? Nichts weniger als das. Nur die Freiheit
von Mittelsperſonen ſoll damit ausgeſprochen werden, die Frei¬
heit von vermittelnden Prieſtern, die Aufhebung der „Laien¬
ſchaft“, alſo das directe und unmittelbare Verhältniß zur Re¬
ligion oder zu Gott. Nur unter der Vorausſetzung, daß man
Religion habe, kann man Religionsfreiheit genießen, Religi¬
onsfreiheit heißt nicht Religionsloſigkeit, ſondern Glaubenſin¬
nigkeit, unvermittelter Verkehr mit Gott. Wer „religiös frei“
iſt, dem iſt die Religion eine Herzens-Sache, iſt ihm ſeine
eigene Sache, iſt ihm ein „heiliger Ernſt“. So auch iſt's
dem „politiſch Freien“ ein heiliger Ernſt mit dem Staate, er
iſt ſeine Herzensſache, ſeine Hauptſache, ſeine eigene Sache.

Politiſche Freiheit ſagt dieß, daß die Polis, der Staat,
frei iſt, Religionsfreiheit dieß, daß die Religion frei iſt, wie
Gewiſſensfreiheit dieß bedeutet, daß das Gewiſſen frei iſt;
alſo nicht, daß Ich vom Staate, von der Religion, vom Ge¬

*) Louis Blanc ſagt (histoire des dix ans, I. p. 138) von der Zeit
der Reſtauration: Le protestantisme devint le fond des idées et des
moeurs.

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[140/0148] zelnen im Staate und an die Staatsgeſetze. Warum aber „Freiheit“? Weil man nicht mehr vom Staate durch Mit¬ telsperſonen getrennt wird, ſondern in directer und unmittel¬ barer Beziehung zu ihm ſteht, weil man — Staatsbürger iſt, nicht Unterthan eines Andern, ſelbſt nicht des Königs als einer Perſon, ſondern nur in ſeiner Eigenſchaft als „Staatsober¬ haupt“. Die politiſche Freiheit, dieſe Grundlehre des Libera¬ lismus, iſt nichts als eine zweite Phaſe des — Proteſtantis¬ mus und läuft mit der „religiöſen Freiheit“ ganz parallel. *) Oder wäre etwa unter letzterer eine Freiheit von der Religion zu verſtehen? Nichts weniger als das. Nur die Freiheit von Mittelsperſonen ſoll damit ausgeſprochen werden, die Frei¬ heit von vermittelnden Prieſtern, die Aufhebung der „Laien¬ ſchaft“, alſo das directe und unmittelbare Verhältniß zur Re¬ ligion oder zu Gott. Nur unter der Vorausſetzung, daß man Religion habe, kann man Religionsfreiheit genießen, Religi¬ onsfreiheit heißt nicht Religionsloſigkeit, ſondern Glaubenſin¬ nigkeit, unvermittelter Verkehr mit Gott. Wer „religiös frei“ iſt, dem iſt die Religion eine Herzens-Sache, iſt ihm ſeine eigene Sache, iſt ihm ein „heiliger Ernſt“. So auch iſt's dem „politiſch Freien“ ein heiliger Ernſt mit dem Staate, er iſt ſeine Herzensſache, ſeine Hauptſache, ſeine eigene Sache. Politiſche Freiheit ſagt dieß, daß die Polis, der Staat, frei iſt, Religionsfreiheit dieß, daß die Religion frei iſt, wie Gewiſſensfreiheit dieß bedeutet, daß das Gewiſſen frei iſt; alſo nicht, daß Ich vom Staate, von der Religion, vom Ge¬ *) Louis Blanc ſagt (histoire des dix ans, I. p. 138) von der Zeit der Reſtauration: Le protestantisme devint le fond des idées et des moeurs.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/148>, abgerufen am 28.03.2024.