Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Menschenliebe, Vernünftigkeit, Bürgertugend u. s. w. aus
einander schlug.

Kann Ich die Idee aber mein Eigenthum nennen, wenn
sie Idee der Menschheit ist, und kann Ich den Geist für über¬
wunden halten, wenn Ich ihm dienen, ihm "Mich opfern"
soll? Das endende Alterthum hatte an der Welt erst dann
sein Eigenthum gewonnen, als es ihre Uebermacht und
"Göttlichkeit" gebrochen, ihre Ohnmacht und "Eitelkeit" er¬
kannt hatte.

Entsprechend verhält es sich mit dem Geiste. Wenn
Ich ihn zu einem Spuk und seine Gewalt über Mich zu ei¬
nem Sparren herabgesetzt habe, dann ist er für entweiht,
entheiligt, entgöttert anzusehen, und dann gebrauche Ich
ihn, wie man die Natur unbedenklich nach Gefallen gebraucht.

Die "Natur der Sache", der "Begriff des Verhältnisses"
soll Mich in Behandlung derselben oder Schließung desselben leiten.
Als ob ein Begriff der Sache für sich existirte und nicht viel¬
mehr der Begriff wäre, welchen man sich von der Sache macht!
Als ob ein Verhältniß, welches Wir eingehen, nicht durch
die Einzigkeit der Eingehenden selbst einzig wäre! Als ob es
davon abhinge, wie Andere es rubriciren! Wie man aber
das "Wesen des Menschen" vom wirklichen Menschen trennte
und diesen nach jenem beurtheilte, so trennt man auch seine
Handlung von ihm und veranschlagt sie nach dem "menschli¬
chen Werthe". Begriffe sollen überall entscheiden, Begriffe
das Leben regeln, Begriffe herrschen. Das ist die religiöse
Welt, welcher Hegel einen systematischen Ausdruck gab, indem
er Methode in den Unsinn brachte und die Begriffssatzungen
zur runden, festgegründeten Dogmatik vollendete. Nach Be¬
griffen wird Alles abgeleiert, und der wirkliche Mensch, d. h.

Menſchenliebe, Vernünftigkeit, Bürgertugend u. ſ. w. aus
einander ſchlug.

Kann Ich die Idee aber mein Eigenthum nennen, wenn
ſie Idee der Menſchheit iſt, und kann Ich den Geiſt für über¬
wunden halten, wenn Ich ihm dienen, ihm „Mich opfern“
ſoll? Das endende Alterthum hatte an der Welt erſt dann
ſein Eigenthum gewonnen, als es ihre Uebermacht und
„Göttlichkeit“ gebrochen, ihre Ohnmacht und „Eitelkeit“ er¬
kannt hatte.

Entſprechend verhält es ſich mit dem Geiſte. Wenn
Ich ihn zu einem Spuk und ſeine Gewalt über Mich zu ei¬
nem Sparren herabgeſetzt habe, dann iſt er für entweiht,
entheiligt, entgöttert anzuſehen, und dann gebrauche Ich
ihn, wie man die Natur unbedenklich nach Gefallen gebraucht.

Die „Natur der Sache“, der „Begriff des Verhältniſſes“
ſoll Mich in Behandlung derſelben oder Schließung deſſelben leiten.
Als ob ein Begriff der Sache für ſich exiſtirte und nicht viel¬
mehr der Begriff wäre, welchen man ſich von der Sache macht!
Als ob ein Verhältniß, welches Wir eingehen, nicht durch
die Einzigkeit der Eingehenden ſelbſt einzig wäre! Als ob es
davon abhinge, wie Andere es rubriciren! Wie man aber
das „Weſen des Menſchen“ vom wirklichen Menſchen trennte
und dieſen nach jenem beurtheilte, ſo trennt man auch ſeine
Handlung von ihm und veranſchlagt ſie nach dem „menſchli¬
chen Werthe“. Begriffe ſollen überall entſcheiden, Begriffe
das Leben regeln, Begriffe herrſchen. Das iſt die religiöſe
Welt, welcher Hegel einen ſyſtematiſchen Ausdruck gab, indem
er Methode in den Unſinn brachte und die Begriffsſatzungen
zur runden, feſtgegründeten Dogmatik vollendete. Nach Be¬
griffen wird Alles abgeleiert, und der wirkliche Menſch, d. h.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0134" n="126"/>
Men&#x017F;chenliebe, Vernünftigkeit, Bürgertugend u. &#x017F;. w. aus<lb/>
einander &#x017F;chlug.</p><lb/>
              <p>Kann Ich die Idee aber mein Eigenthum nennen, wenn<lb/>
&#x017F;ie Idee der Men&#x017F;chheit i&#x017F;t, und kann Ich den Gei&#x017F;t für über¬<lb/>
wunden halten, wenn Ich ihm dienen, ihm &#x201E;Mich opfern&#x201C;<lb/>
&#x017F;oll? Das endende Alterthum hatte an der Welt er&#x017F;t dann<lb/>
&#x017F;ein Eigenthum gewonnen, als es ihre Uebermacht und<lb/>
&#x201E;Göttlichkeit&#x201C; gebrochen, ihre Ohnmacht und &#x201E;Eitelkeit&#x201C; er¬<lb/>
kannt hatte.</p><lb/>
              <p>Ent&#x017F;prechend verhält es &#x017F;ich mit dem <hi rendition="#g">Gei&#x017F;te</hi>. Wenn<lb/>
Ich ihn zu einem <hi rendition="#g">Spuk</hi> und &#x017F;eine Gewalt über Mich zu ei¬<lb/>
nem <hi rendition="#g">Sparren</hi> herabge&#x017F;etzt habe, dann i&#x017F;t er für entweiht,<lb/>
entheiligt, entgöttert anzu&#x017F;ehen, und dann <hi rendition="#g">gebrauche</hi> Ich<lb/>
ihn, wie man die <hi rendition="#g">Natur</hi> unbedenklich nach Gefallen gebraucht.</p><lb/>
              <p>Die &#x201E;Natur der Sache&#x201C;, der &#x201E;Begriff des Verhältni&#x017F;&#x017F;es&#x201C;<lb/>
&#x017F;oll Mich in Behandlung der&#x017F;elben oder Schließung de&#x017F;&#x017F;elben leiten.<lb/>
Als ob ein Begriff der Sache für &#x017F;ich exi&#x017F;tirte und nicht viel¬<lb/>
mehr der Begriff wäre, welchen man &#x017F;ich von der Sache macht!<lb/>
Als ob ein Verhältniß, welches Wir eingehen, nicht durch<lb/>
die Einzigkeit der Eingehenden &#x017F;elb&#x017F;t einzig wäre! Als ob es<lb/>
davon abhinge, wie Andere es rubriciren! Wie man aber<lb/>
das &#x201E;We&#x017F;en des Men&#x017F;chen&#x201C; vom wirklichen Men&#x017F;chen trennte<lb/>
und die&#x017F;en nach jenem beurtheilte, &#x017F;o trennt man auch &#x017F;eine<lb/>
Handlung von ihm und veran&#x017F;chlagt &#x017F;ie nach dem &#x201E;men&#x017F;chli¬<lb/>
chen Werthe&#x201C;. <hi rendition="#g">Begriffe</hi> &#x017F;ollen überall ent&#x017F;cheiden, Begriffe<lb/>
das Leben regeln, Begriffe <hi rendition="#g">herr&#x017F;chen</hi>. Das i&#x017F;t die religiö&#x017F;e<lb/>
Welt, welcher Hegel einen &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Ausdruck gab, indem<lb/>
er Methode in den Un&#x017F;inn brachte und die Begriffs&#x017F;atzungen<lb/>
zur runden, fe&#x017F;tgegründeten Dogmatik vollendete. Nach Be¬<lb/>
griffen wird Alles abgeleiert, und der wirkliche Men&#x017F;ch, d. h.<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0134] Menſchenliebe, Vernünftigkeit, Bürgertugend u. ſ. w. aus einander ſchlug. Kann Ich die Idee aber mein Eigenthum nennen, wenn ſie Idee der Menſchheit iſt, und kann Ich den Geiſt für über¬ wunden halten, wenn Ich ihm dienen, ihm „Mich opfern“ ſoll? Das endende Alterthum hatte an der Welt erſt dann ſein Eigenthum gewonnen, als es ihre Uebermacht und „Göttlichkeit“ gebrochen, ihre Ohnmacht und „Eitelkeit“ er¬ kannt hatte. Entſprechend verhält es ſich mit dem Geiſte. Wenn Ich ihn zu einem Spuk und ſeine Gewalt über Mich zu ei¬ nem Sparren herabgeſetzt habe, dann iſt er für entweiht, entheiligt, entgöttert anzuſehen, und dann gebrauche Ich ihn, wie man die Natur unbedenklich nach Gefallen gebraucht. Die „Natur der Sache“, der „Begriff des Verhältniſſes“ ſoll Mich in Behandlung derſelben oder Schließung deſſelben leiten. Als ob ein Begriff der Sache für ſich exiſtirte und nicht viel¬ mehr der Begriff wäre, welchen man ſich von der Sache macht! Als ob ein Verhältniß, welches Wir eingehen, nicht durch die Einzigkeit der Eingehenden ſelbſt einzig wäre! Als ob es davon abhinge, wie Andere es rubriciren! Wie man aber das „Weſen des Menſchen“ vom wirklichen Menſchen trennte und dieſen nach jenem beurtheilte, ſo trennt man auch ſeine Handlung von ihm und veranſchlagt ſie nach dem „menſchli¬ chen Werthe“. Begriffe ſollen überall entſcheiden, Begriffe das Leben regeln, Begriffe herrſchen. Das iſt die religiöſe Welt, welcher Hegel einen ſyſtematiſchen Ausdruck gab, indem er Methode in den Unſinn brachte und die Begriffsſatzungen zur runden, feſtgegründeten Dogmatik vollendete. Nach Be¬ griffen wird Alles abgeleiert, und der wirkliche Menſch, d. h.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/134
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/134>, abgerufen am 29.03.2024.