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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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klaren und unverblendeten Blick, ein richtiges Urtheil über die
Welt hat, aber in der Welt eben nur die Welt, in den Ge¬
genständen nur die Gegenstände, kurz Alles prosaisch, wie es
ist, sieht, sondern ein Philosoph ist allein Derjenige, welcher
in der Welt den Himmel, in dem Irdischen das Ueberirdische,
in dem Weltlichen das -- Göttliche sieht und nachweist
oder beweist. Jener mag noch so verständig sein, es bleibt
doch dabei: Was kein Verstand der Verständigen sieht, das
übet in Einfalt ein kindlich Gemüth. Dies kindliche Gemüth
macht erst den Philosophen, dieses Auge für das Göttliche.
Jener hat nur ein "gemeines" Bewußtsein, wer aber das
Göttliche weiß und zu sagen weiß, der hat ein "wissenschaft¬
liches". Aus diesem Grunde verwies man den Baco aus dem
Reiche der Philosophen. Und weiter scheint allerdings Das¬
jenige, was man englische Philosophie nennt, es nicht gebracht
zu haben, als zu den Entdeckungen sogenannter "offener Köpfe",
wie Bacon und Hume waren. Die Einfalt des kindlichen
Gemüthes wußten die Engländer nicht zu philosophischer Be¬
deutung zu erheben, wußten nicht aus kindlichen Gemüthern
-- Philosophen zu machen. Dies heißt so viel als: ihre
Philosophie vermochte nicht, theologisch oder Theologie
zu werden, und doch kann sie nur als Theologie sich wirklich
ausleben, sich vollenden. In der Theologie ist die Wahl¬
statt ihres Todeskampfes. Bacon bekümmerte sich nicht um
die theologischen Fragen und Cardinalpunkte.

Am Leben hat das Erkennen seinen Gegenstand. Das
deutsche Denken sucht mehr als das der Uebrigen zu den An¬
fängen und Quellpunkten des Lebens zu gelangen, und sieht
im Erkennen selbst erst das Leben. Cartesius's cogito, ergo
sum
hat den Sinn: Man lebt nur, wenn man denkt. Den¬

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klaren und unverblendeten Blick, ein richtiges Urtheil über die
Welt hat, aber in der Welt eben nur die Welt, in den Ge¬
genſtänden nur die Gegenſtände, kurz Alles proſaiſch, wie es
iſt, ſieht, ſondern ein Philoſoph iſt allein Derjenige, welcher
in der Welt den Himmel, in dem Irdiſchen das Ueberirdiſche,
in dem Weltlichen das — Göttliche ſieht und nachweiſt
oder beweiſt. Jener mag noch ſo verſtändig ſein, es bleibt
doch dabei: Was kein Verſtand der Verſtändigen ſieht, das
übet in Einfalt ein kindlich Gemüth. Dies kindliche Gemüth
macht erſt den Philoſophen, dieſes Auge für das Göttliche.
Jener hat nur ein „gemeines“ Bewußtſein, wer aber das
Göttliche weiß und zu ſagen weiß, der hat ein „wiſſenſchaft¬
liches“. Aus dieſem Grunde verwies man den Baco aus dem
Reiche der Philoſophen. Und weiter ſcheint allerdings Das¬
jenige, was man engliſche Philoſophie nennt, es nicht gebracht
zu haben, als zu den Entdeckungen ſogenannter „offener Köpfe“,
wie Bacon und Hume waren. Die Einfalt des kindlichen
Gemüthes wußten die Engländer nicht zu philoſophiſcher Be¬
deutung zu erheben, wußten nicht aus kindlichen Gemüthern
— Philoſophen zu machen. Dies heißt ſo viel als: ihre
Philoſophie vermochte nicht, theologiſch oder Theologie
zu werden, und doch kann ſie nur als Theologie ſich wirklich
ausleben, ſich vollenden. In der Theologie iſt die Wahl¬
ſtatt ihres Todeskampfes. Bacon bekümmerte ſich nicht um
die theologiſchen Fragen und Cardinalpunkte.

Am Leben hat das Erkennen ſeinen Gegenſtand. Das
deutſche Denken ſucht mehr als das der Uebrigen zu den An¬
fängen und Quellpunkten des Lebens zu gelangen, und ſieht
im Erkennen ſelbſt erſt das Leben. Carteſius's cogito, ergo
sum
hat den Sinn: Man lebt nur, wenn man denkt. Den¬

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[113/0121] klaren und unverblendeten Blick, ein richtiges Urtheil über die Welt hat, aber in der Welt eben nur die Welt, in den Ge¬ genſtänden nur die Gegenſtände, kurz Alles proſaiſch, wie es iſt, ſieht, ſondern ein Philoſoph iſt allein Derjenige, welcher in der Welt den Himmel, in dem Irdiſchen das Ueberirdiſche, in dem Weltlichen das — Göttliche ſieht und nachweiſt oder beweiſt. Jener mag noch ſo verſtändig ſein, es bleibt doch dabei: Was kein Verſtand der Verſtändigen ſieht, das übet in Einfalt ein kindlich Gemüth. Dies kindliche Gemüth macht erſt den Philoſophen, dieſes Auge für das Göttliche. Jener hat nur ein „gemeines“ Bewußtſein, wer aber das Göttliche weiß und zu ſagen weiß, der hat ein „wiſſenſchaft¬ liches“. Aus dieſem Grunde verwies man den Baco aus dem Reiche der Philoſophen. Und weiter ſcheint allerdings Das¬ jenige, was man engliſche Philoſophie nennt, es nicht gebracht zu haben, als zu den Entdeckungen ſogenannter „offener Köpfe“, wie Bacon und Hume waren. Die Einfalt des kindlichen Gemüthes wußten die Engländer nicht zu philoſophiſcher Be¬ deutung zu erheben, wußten nicht aus kindlichen Gemüthern — Philoſophen zu machen. Dies heißt ſo viel als: ihre Philoſophie vermochte nicht, theologiſch oder Theologie zu werden, und doch kann ſie nur als Theologie ſich wirklich ausleben, ſich vollenden. In der Theologie iſt die Wahl¬ ſtatt ihres Todeskampfes. Bacon bekümmerte ſich nicht um die theologiſchen Fragen und Cardinalpunkte. Am Leben hat das Erkennen ſeinen Gegenſtand. Das deutſche Denken ſucht mehr als das der Uebrigen zu den An¬ fängen und Quellpunkten des Lebens zu gelangen, und ſieht im Erkennen ſelbſt erſt das Leben. Carteſius's cogito, ergo sum hat den Sinn: Man lebt nur, wenn man denkt. Den¬ 8

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/121>, abgerufen am 16.04.2024.