Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Lebensbedürfnissen nachhängt, ist gleichgültig gegen jene Gei¬
ster; weil er aber auch schwach gegen dieselben ist, so unter¬
liegt er ihrer Macht, und wird beherrscht von -- Gedanken.
Dieß ist der Sinn der Hierarchie.

Hierarchie ist Gedankenherrschaft, Herrschaft
des Geistes
!

Hierarchisch sind Wir bis auf den heutigen Tag, unter¬
drückt von denen, welche sich auf Gedanken stützen. Gedanken
sind das Heilige.

Immer aber stoßen Beide an einander, der Gebildete an
den Ungebildeten, wie umgekehrt, und zwar nicht bloß im An¬
rennen zweier Menschen, sondern in ein und demselben Men¬
schen. Denn kein Gebildeter ist so gebildet, daß er nicht auch
an den Dingen Freude fände, mithin ungebildet wäre, und
kein Ungebildeter ist ganz ohne Gedanken. Bei Hegel kommt
endlich zu Tage, welche Sehnsucht gerade der Gebildetste nach
den Dingen hat, und welchen Abscheu er vor jeder "hohlen
Theorie" hegt. Da soll dem Gedanken ganz und gar die
Wirklichkeit, die Welt der Dinge, entsprechen, und kein Begriff
ohne Realität sein. Dieß verschaffte Hegel's System den
Namen des objectivsten, als feierten darin Gedanke und Ding
ihre Vereinigung. Aber es war dieß eben nur die äußerste
Gewaltsamkeit des Denkens, die höchste Despotie und Allein¬
herrschaft desselben, der Triumph des Geistes, und mit ihm
der Triumph der Philosophie. Höheres kann die Philo¬
sophie nicht mehr leisten, denn ihr Höchstes ist die Allge¬
walt des Geistes
, die Allmacht des Geistes *).

*) Rousseau, die Philanthropen und Andere feindeten die Bildung
und Intelligenz an, aber sie übersahen, daß diese in allen Christen¬
7

Lebensbedürfniſſen nachhängt, iſt gleichgültig gegen jene Gei¬
ſter; weil er aber auch ſchwach gegen dieſelben iſt, ſo unter¬
liegt er ihrer Macht, und wird beherrſcht von — Gedanken.
Dieß iſt der Sinn der Hierarchie.

Hierarchie iſt Gedankenherrſchaft, Herrſchaft
des Geiſtes
!

Hierarchiſch ſind Wir bis auf den heutigen Tag, unter¬
drückt von denen, welche ſich auf Gedanken ſtützen. Gedanken
ſind das Heilige.

Immer aber ſtoßen Beide an einander, der Gebildete an
den Ungebildeten, wie umgekehrt, und zwar nicht bloß im An¬
rennen zweier Menſchen, ſondern in ein und demſelben Men¬
ſchen. Denn kein Gebildeter iſt ſo gebildet, daß er nicht auch
an den Dingen Freude fände, mithin ungebildet wäre, und
kein Ungebildeter iſt ganz ohne Gedanken. Bei Hegel kommt
endlich zu Tage, welche Sehnſucht gerade der Gebildetſte nach
den Dingen hat, und welchen Abſcheu er vor jeder „hohlen
Theorie“ hegt. Da ſoll dem Gedanken ganz und gar die
Wirklichkeit, die Welt der Dinge, entſprechen, und kein Begriff
ohne Realität ſein. Dieß verſchaffte Hegel's Syſtem den
Namen des objectivſten, als feierten darin Gedanke und Ding
ihre Vereinigung. Aber es war dieß eben nur die äußerſte
Gewaltſamkeit des Denkens, die höchſte Despotie und Allein¬
herrſchaft deſſelben, der Triumph des Geiſtes, und mit ihm
der Triumph der Philoſophie. Höheres kann die Philo¬
ſophie nicht mehr leiſten, denn ihr Höchſtes iſt die Allge¬
walt des Geiſtes
, die Allmacht des Geiſtes *).

*) Rouſſeau, die Philanthropen und Andere feindeten die Bildung
und Intelligenz an, aber ſie überſahen, daß dieſe in allen Chriſten¬
7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0105" n="97"/>
Lebensbedürfni&#x017F;&#x017F;en nachhängt, i&#x017F;t gleichgültig gegen jene Gei¬<lb/>
&#x017F;ter; weil er aber auch &#x017F;chwach gegen die&#x017F;elben i&#x017F;t, &#x017F;o unter¬<lb/>
liegt er ihrer Macht, und wird beherr&#x017F;cht von &#x2014; Gedanken.<lb/>
Dieß i&#x017F;t der Sinn der Hierarchie.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Hierarchie i&#x017F;t Gedankenherr&#x017F;chaft</hi>, <hi rendition="#g">Herr&#x017F;chaft<lb/>
des Gei&#x017F;tes</hi>!</p><lb/>
              <p>Hierarchi&#x017F;ch &#x017F;ind Wir bis auf den heutigen Tag, unter¬<lb/>
drückt von denen, welche &#x017F;ich auf Gedanken &#x017F;tützen. Gedanken<lb/>
&#x017F;ind das Heilige.</p><lb/>
              <p>Immer aber &#x017F;toßen Beide an einander, der Gebildete an<lb/>
den Ungebildeten, wie umgekehrt, und zwar nicht bloß im An¬<lb/>
rennen zweier Men&#x017F;chen, &#x017F;ondern in ein und dem&#x017F;elben Men¬<lb/>
&#x017F;chen. Denn kein Gebildeter i&#x017F;t &#x017F;o gebildet, daß er nicht auch<lb/>
an den Dingen Freude fände, mithin ungebildet wäre, und<lb/>
kein Ungebildeter i&#x017F;t ganz ohne Gedanken. Bei Hegel kommt<lb/>
endlich zu Tage, welche Sehn&#x017F;ucht gerade der Gebildet&#x017F;te nach<lb/>
den <hi rendition="#g">Dingen</hi> hat, und welchen Ab&#x017F;cheu er vor jeder &#x201E;hohlen<lb/>
Theorie&#x201C; hegt. Da &#x017F;oll dem Gedanken ganz und gar die<lb/>
Wirklichkeit, die Welt der Dinge, ent&#x017F;prechen, und kein Begriff<lb/>
ohne Realität &#x017F;ein. Dieß ver&#x017F;chaffte Hegel's Sy&#x017F;tem den<lb/>
Namen des objectiv&#x017F;ten, als feierten darin Gedanke und Ding<lb/>
ihre Vereinigung. Aber es war dieß eben nur die äußer&#x017F;te<lb/>
Gewalt&#x017F;amkeit des Denkens, die höch&#x017F;te Despotie und Allein¬<lb/>
herr&#x017F;chaft de&#x017F;&#x017F;elben, der Triumph des Gei&#x017F;tes, und mit ihm<lb/>
der Triumph der <hi rendition="#g">Philo&#x017F;ophie</hi>. Höheres kann die Philo¬<lb/>
&#x017F;ophie nicht mehr lei&#x017F;ten, denn ihr Höch&#x017F;tes i&#x017F;t die <hi rendition="#g">Allge¬<lb/>
walt des Gei&#x017F;tes</hi>, die Allmacht des Gei&#x017F;tes <note xml:id="note-0105" next="#note-0106" place="foot" n="*)">Rou&#x017F;&#x017F;eau, die Philanthropen und Andere feindeten die Bildung<lb/>
und Intelligenz an, aber &#x017F;ie über&#x017F;ahen, daß die&#x017F;e in <hi rendition="#g">allen</hi> Chri&#x017F;ten¬<lb/></note>.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">7<lb/></fw>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0105] Lebensbedürfniſſen nachhängt, iſt gleichgültig gegen jene Gei¬ ſter; weil er aber auch ſchwach gegen dieſelben iſt, ſo unter¬ liegt er ihrer Macht, und wird beherrſcht von — Gedanken. Dieß iſt der Sinn der Hierarchie. Hierarchie iſt Gedankenherrſchaft, Herrſchaft des Geiſtes! Hierarchiſch ſind Wir bis auf den heutigen Tag, unter¬ drückt von denen, welche ſich auf Gedanken ſtützen. Gedanken ſind das Heilige. Immer aber ſtoßen Beide an einander, der Gebildete an den Ungebildeten, wie umgekehrt, und zwar nicht bloß im An¬ rennen zweier Menſchen, ſondern in ein und demſelben Men¬ ſchen. Denn kein Gebildeter iſt ſo gebildet, daß er nicht auch an den Dingen Freude fände, mithin ungebildet wäre, und kein Ungebildeter iſt ganz ohne Gedanken. Bei Hegel kommt endlich zu Tage, welche Sehnſucht gerade der Gebildetſte nach den Dingen hat, und welchen Abſcheu er vor jeder „hohlen Theorie“ hegt. Da ſoll dem Gedanken ganz und gar die Wirklichkeit, die Welt der Dinge, entſprechen, und kein Begriff ohne Realität ſein. Dieß verſchaffte Hegel's Syſtem den Namen des objectivſten, als feierten darin Gedanke und Ding ihre Vereinigung. Aber es war dieß eben nur die äußerſte Gewaltſamkeit des Denkens, die höchſte Despotie und Allein¬ herrſchaft deſſelben, der Triumph des Geiſtes, und mit ihm der Triumph der Philoſophie. Höheres kann die Philo¬ ſophie nicht mehr leiſten, denn ihr Höchſtes iſt die Allge¬ walt des Geiſtes, die Allmacht des Geiſtes *). *) Rouſſeau, die Philanthropen und Andere feindeten die Bildung und Intelligenz an, aber ſie überſahen, daß dieſe in allen Chriſten¬ 7

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/105
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/105>, abgerufen am 19.04.2024.