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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Beide stehen auf dem "Rechtsboden", denn jeder von beiden
hat ein "Recht" gegen den Andern, der Eine das angeborene
oder natürliche, der Andere das erworbene oder "wohlerworbene".

Bleibt Ihr auf dem Rechtsboden, so bleibt Ihr bei der
-- Rechthaberei *). Der Andere kann Euch euer Recht nicht
geben, er kann Euch nicht "Recht widerfahren lassen". Wer
die Gewalt hat, der hat -- Recht; habt Ihr jene nicht, so
habt Ihr auch dieses nicht. Ist diese Weisheit so schwer zu
erlangen? Seht doch die Gewaltigen und ihr Thun an!
Wir reden hier natürlich nur von China und Japan. Ver¬
sucht's einmal, Ihr Chinesen und Japanesen, ihnen Unrecht
zu geben, und erfahrt's, wie sie Euch in den Kerker werfen.
(Verwechselt damit nur nicht die "wohlmeinenden Rathschläge",
die -- in China und Japan -- erlaubt sind, weil sie den
Gewaltigen nicht hemmen, sondern, möglicher Weise, fördern.)
Wer ihnen Unrecht geben wollte, dem stünde dazu nur Ein
Weg offen, der der Gewalt. Bringt er sie um ihre Gewalt,
dann hat er ihnen wirklich Unrecht gegeben, hat sie um ihr
Recht gebracht; im andern Falle kann er nichts, als ein
Fäustchen in der Tasche machen, oder als ein vorlauter Narr
zum Opfer fallen.

Kurz, fragtet Ihr Chinesen und Japanesen nicht nach dem
Rechte, fragtet namentlich nicht nach dem Rechte, "das mit
Euch geboren ist", dann brauchtet Ihr auch nichts nach den
wohlerworbenen Rechten zu fragen.

Ihr schreckt vor den Andern zurück, weil Ihr neben ihnen
das Gespenst des Rechtes zu sehen glaubt, das, wie in

*) "Ich bitte Dich, verschone meine Lunge! Wer Recht behalten will
und hat nur eine Zunge, behält's gewiß!"

Beide ſtehen auf dem „Rechtsboden“, denn jeder von beiden
hat ein „Recht“ gegen den Andern, der Eine das angeborene
oder natürliche, der Andere das erworbene oder „wohlerworbene“.

Bleibt Ihr auf dem Rechtsboden, ſo bleibt Ihr bei der
— Rechthaberei *). Der Andere kann Euch euer Recht nicht
geben, er kann Euch nicht „Recht widerfahren laſſen“. Wer
die Gewalt hat, der hat — Recht; habt Ihr jene nicht, ſo
habt Ihr auch dieſes nicht. Iſt dieſe Weisheit ſo ſchwer zu
erlangen? Seht doch die Gewaltigen und ihr Thun an!
Wir reden hier natürlich nur von China und Japan. Ver¬
ſucht's einmal, Ihr Chineſen und Japaneſen, ihnen Unrecht
zu geben, und erfahrt's, wie ſie Euch in den Kerker werfen.
(Verwechſelt damit nur nicht die „wohlmeinenden Rathſchläge“,
die — in China und Japan — erlaubt ſind, weil ſie den
Gewaltigen nicht hemmen, ſondern, möglicher Weiſe, fördern.)
Wer ihnen Unrecht geben wollte, dem ſtünde dazu nur Ein
Weg offen, der der Gewalt. Bringt er ſie um ihre Gewalt,
dann hat er ihnen wirklich Unrecht gegeben, hat ſie um ihr
Recht gebracht; im andern Falle kann er nichts, als ein
Fäuſtchen in der Taſche machen, oder als ein vorlauter Narr
zum Opfer fallen.

Kurz, fragtet Ihr Chineſen und Japaneſen nicht nach dem
Rechte, fragtet namentlich nicht nach dem Rechte, „das mit
Euch geboren iſt“, dann brauchtet Ihr auch nichts nach den
wohlerworbenen Rechten zu fragen.

Ihr ſchreckt vor den Andern zurück, weil Ihr neben ihnen
das Geſpenſt des Rechtes zu ſehen glaubt, das, wie in

*) „Ich bitte Dich, verſchone meine Lunge! Wer Recht behalten will
und hat nur eine Zunge, behält's gewiß!“
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[253/0261] Beide ſtehen auf dem „Rechtsboden“, denn jeder von beiden hat ein „Recht“ gegen den Andern, der Eine das angeborene oder natürliche, der Andere das erworbene oder „wohlerworbene“. Bleibt Ihr auf dem Rechtsboden, ſo bleibt Ihr bei der — Rechthaberei *). Der Andere kann Euch euer Recht nicht geben, er kann Euch nicht „Recht widerfahren laſſen“. Wer die Gewalt hat, der hat — Recht; habt Ihr jene nicht, ſo habt Ihr auch dieſes nicht. Iſt dieſe Weisheit ſo ſchwer zu erlangen? Seht doch die Gewaltigen und ihr Thun an! Wir reden hier natürlich nur von China und Japan. Ver¬ ſucht's einmal, Ihr Chineſen und Japaneſen, ihnen Unrecht zu geben, und erfahrt's, wie ſie Euch in den Kerker werfen. (Verwechſelt damit nur nicht die „wohlmeinenden Rathſchläge“, die — in China und Japan — erlaubt ſind, weil ſie den Gewaltigen nicht hemmen, ſondern, möglicher Weiſe, fördern.) Wer ihnen Unrecht geben wollte, dem ſtünde dazu nur Ein Weg offen, der der Gewalt. Bringt er ſie um ihre Gewalt, dann hat er ihnen wirklich Unrecht gegeben, hat ſie um ihr Recht gebracht; im andern Falle kann er nichts, als ein Fäuſtchen in der Taſche machen, oder als ein vorlauter Narr zum Opfer fallen. Kurz, fragtet Ihr Chineſen und Japaneſen nicht nach dem Rechte, fragtet namentlich nicht nach dem Rechte, „das mit Euch geboren iſt“, dann brauchtet Ihr auch nichts nach den wohlerworbenen Rechten zu fragen. Ihr ſchreckt vor den Andern zurück, weil Ihr neben ihnen das Geſpenſt des Rechtes zu ſehen glaubt, das, wie in *) „Ich bitte Dich, verſchone meine Lunge! Wer Recht behalten will und hat nur eine Zunge, behält's gewiß!“

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/261>, abgerufen am 30.11.2024.