es wohl, daß die gegebene (octroyirte) Freiheit doch keine Frei¬ heit ist, da nur die Freiheit, die man sich nimmt, also die Freiheit des Egoisten, mit vollen Segeln schifft. Geschenkte Freiheit streicht sogleich die Segel, sobald Sturm oder -- Windstille eintritt: sie muß immer -- gelinde und mittelmäßig angeblasen werden.
Hier liegt der Unterschied zwischen Selbstbefreiung und Emancipation (Freisprechung, Freilassung). Wer heutigen Ta¬ ges "in der Opposition steht", der lechzt und schreit nach "Freilassung". Die Fürsten sollen ihre Völker für "mündig erklären" d. h. emancipiren! Betragt Euch als mündig, so seid Ihr's ohne jene Mündigsprechung, und betragt Ihr Euch nicht darnach, so seid Ihr's nicht werth, und wäret auch durch Mündigsprechung nimmermehr mündig. Die mündigen Grie¬ chen jagten ihre Tyrannen fort, und der mündige Sohn macht sich vom Vater unabhängig. Hätten jene gewartet, bis ihre Tyrannen ihnen die Mündigkeit gnädigst bewilligten: sie konnten lange warten. Den Sohn, der nicht mündig werden will, wirft ein verständiger Vater aus dem Hause und behält das Haus allein; dem Lassen geschieht Recht.
Der Freigegebene ist eben nichts als ein Freigelassener, ein libertinus, ein Hund, der ein Stück Kette mitschleppt: er ist ein Unfreier im Gewande der Freiheit, wie der Esel in der Löwenhaut. Emancipirte Juden sind um nichts gebessert in sich, sondern nur erleichtert als Juden, obgleich, wer ihren Zustand erleichtert, allerdings mehr ist als ein kirchlicher Christ, da der Letztere dieß nicht ohne Inconsequenz vermag. Aber emancipirter Jude oder nicht emancipirter: Jude bleibt Jude; der Nicht-Selbstbefreite ist eben ein -- Emancipirter. Der protestantische Staat vermag allerdings die Katholiken freizu¬
es wohl, daß die gegebene (octroyirte) Freiheit doch keine Frei¬ heit iſt, da nur die Freiheit, die man ſich nimmt, alſo die Freiheit des Egoiſten, mit vollen Segeln ſchifft. Geſchenkte Freiheit ſtreicht ſogleich die Segel, ſobald Sturm oder — Windſtille eintritt: ſie muß immer — gelinde und mittelmäßig angeblaſen werden.
Hier liegt der Unterſchied zwiſchen Selbſtbefreiung und Emancipation (Freiſprechung, Freilaſſung). Wer heutigen Ta¬ ges „in der Oppoſition ſteht“, der lechzt und ſchreit nach „Freilaſſung“. Die Fürſten ſollen ihre Völker für „mündig erklären“ d. h. emancipiren! Betragt Euch als mündig, ſo ſeid Ihr's ohne jene Mündigſprechung, und betragt Ihr Euch nicht darnach, ſo ſeid Ihr's nicht werth, und wäret auch durch Mündigſprechung nimmermehr mündig. Die mündigen Grie¬ chen jagten ihre Tyrannen fort, und der mündige Sohn macht ſich vom Vater unabhängig. Hätten jene gewartet, bis ihre Tyrannen ihnen die Mündigkeit gnädigſt bewilligten: ſie konnten lange warten. Den Sohn, der nicht mündig werden will, wirft ein verſtändiger Vater aus dem Hauſe und behält das Haus allein; dem Laſſen geſchieht Recht.
Der Freigegebene iſt eben nichts als ein Freigelaſſener, ein libertinus, ein Hund, der ein Stück Kette mitſchleppt: er iſt ein Unfreier im Gewande der Freiheit, wie der Eſel in der Löwenhaut. Emancipirte Juden ſind um nichts gebeſſert in ſich, ſondern nur erleichtert als Juden, obgleich, wer ihren Zuſtand erleichtert, allerdings mehr iſt als ein kirchlicher Chriſt, da der Letztere dieß nicht ohne Inconſequenz vermag. Aber emancipirter Jude oder nicht emancipirter: Jude bleibt Jude; der Nicht-Selbſtbefreite iſt eben ein — Emancipirter. Der proteſtantiſche Staat vermag allerdings die Katholiken freizu¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0229"n="221"/>
es wohl, daß die gegebene (octroyirte) Freiheit doch keine Frei¬<lb/>
heit iſt, da nur die Freiheit, die man ſich <hirendition="#g">nimmt</hi>, alſo die<lb/>
Freiheit des Egoiſten, mit vollen Segeln ſchifft. Geſchenkte<lb/>
Freiheit ſtreicht ſogleich die Segel, ſobald Sturm oder —<lb/>
Windſtille eintritt: ſie muß immer — gelinde und mittelmäßig<lb/>
angeblaſen werden.</p><lb/><p>Hier liegt der Unterſchied zwiſchen Selbſtbefreiung und<lb/>
Emancipation (Freiſprechung, Freilaſſung). Wer heutigen Ta¬<lb/>
ges „in der Oppoſition ſteht“, der lechzt und ſchreit nach<lb/>„Freilaſſung“. Die Fürſten ſollen ihre Völker für „mündig<lb/>
erklären“ d. h. emancipiren! Betragt Euch als mündig, ſo<lb/>ſeid Ihr's ohne jene Mündigſprechung, und betragt Ihr Euch<lb/>
nicht darnach, ſo ſeid Ihr's nicht werth, und wäret auch durch<lb/>
Mündigſprechung nimmermehr mündig. Die mündigen Grie¬<lb/>
chen jagten ihre Tyrannen fort, und der mündige Sohn macht<lb/>ſich vom Vater unabhängig. Hätten jene gewartet, bis ihre<lb/>
Tyrannen ihnen die Mündigkeit gnädigſt bewilligten: ſie konnten<lb/>
lange warten. Den Sohn, der nicht mündig werden will,<lb/>
wirft ein verſtändiger Vater aus dem Hauſe und behält das<lb/>
Haus allein; dem Laſſen geſchieht Recht.</p><lb/><p>Der Freigegebene iſt eben nichts als ein Freigelaſſener,<lb/>
ein <hirendition="#aq">libertinus</hi>, ein Hund, der ein Stück Kette mitſchleppt: er<lb/>
iſt ein Unfreier im Gewande der Freiheit, wie der Eſel in der<lb/>
Löwenhaut. Emancipirte Juden ſind um nichts gebeſſert in<lb/>ſich, ſondern nur erleichtert als Juden, obgleich, wer ihren<lb/>
Zuſtand erleichtert, allerdings mehr iſt als ein kirchlicher Chriſt,<lb/>
da der Letztere dieß nicht ohne Inconſequenz vermag. Aber<lb/>
emancipirter Jude oder nicht emancipirter: Jude bleibt Jude;<lb/>
der Nicht-Selbſtbefreite iſt eben ein — Emancipirter. Der<lb/>
proteſtantiſche Staat vermag allerdings die Katholiken freizu¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[221/0229]
es wohl, daß die gegebene (octroyirte) Freiheit doch keine Frei¬
heit iſt, da nur die Freiheit, die man ſich nimmt, alſo die
Freiheit des Egoiſten, mit vollen Segeln ſchifft. Geſchenkte
Freiheit ſtreicht ſogleich die Segel, ſobald Sturm oder —
Windſtille eintritt: ſie muß immer — gelinde und mittelmäßig
angeblaſen werden.
Hier liegt der Unterſchied zwiſchen Selbſtbefreiung und
Emancipation (Freiſprechung, Freilaſſung). Wer heutigen Ta¬
ges „in der Oppoſition ſteht“, der lechzt und ſchreit nach
„Freilaſſung“. Die Fürſten ſollen ihre Völker für „mündig
erklären“ d. h. emancipiren! Betragt Euch als mündig, ſo
ſeid Ihr's ohne jene Mündigſprechung, und betragt Ihr Euch
nicht darnach, ſo ſeid Ihr's nicht werth, und wäret auch durch
Mündigſprechung nimmermehr mündig. Die mündigen Grie¬
chen jagten ihre Tyrannen fort, und der mündige Sohn macht
ſich vom Vater unabhängig. Hätten jene gewartet, bis ihre
Tyrannen ihnen die Mündigkeit gnädigſt bewilligten: ſie konnten
lange warten. Den Sohn, der nicht mündig werden will,
wirft ein verſtändiger Vater aus dem Hauſe und behält das
Haus allein; dem Laſſen geſchieht Recht.
Der Freigegebene iſt eben nichts als ein Freigelaſſener,
ein libertinus, ein Hund, der ein Stück Kette mitſchleppt: er
iſt ein Unfreier im Gewande der Freiheit, wie der Eſel in der
Löwenhaut. Emancipirte Juden ſind um nichts gebeſſert in
ſich, ſondern nur erleichtert als Juden, obgleich, wer ihren
Zuſtand erleichtert, allerdings mehr iſt als ein kirchlicher Chriſt,
da der Letztere dieß nicht ohne Inconſequenz vermag. Aber
emancipirter Jude oder nicht emancipirter: Jude bleibt Jude;
der Nicht-Selbſtbefreite iſt eben ein — Emancipirter. Der
proteſtantiſche Staat vermag allerdings die Katholiken freizu¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/229>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.