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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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sie keine "Gewaltigen" sind! Die Gewalt ist eine schöne
Sache, und zu vielen Dingen nütze; denn "man kommt mit
einer Hand voll Gewalt weiter, als mit einem Sack voll Recht".
Ihr sehnt Euch nach der Freiheit? Ihr Thoren! Nähmet
Ihr die Gewalt, so käme die Freiheit von selbst. Seht, wer
die Gewalt hat, der "steht über dem Gesetze". Wie schmeckt
Euch diese Aussicht, Ihr "gesetzlichen" Leute? Ihr habt aber
keinen Geschmack!

Laut erschallt ringsum der Ruf nach "Freiheit". Fühlt
und weiß man aber, was eine geschenkte oder octroyirte Frei¬
heit zu bedeuten hat? Man erkennt es nicht in der ganzen
Fülle des Wortes, daß alle Freiheit wesentlich -- Selbstbe¬
freiung sei, d. h. daß Ich nur so viel Freiheit haben kann,
als Ich durch meine Eigenheit Mir verschaffe. Was nützt
den Schaafen, daß ihnen Niemand die Redefreiheit verkürzt?
Sie bleiben beim Blöken. Gebt einem, der innerlich ein Mu¬
hamedaner, ein Jude oder ein Christ ist, die Erlaubniß zu
sprechen, was er mag: er wird doch nur bornirtes Zeug vor¬
bringen. Rauben Euch dagegen gewisse Andere die Rede-
und Hörfreiheit, so verstehen sie sich ganz richtig auf ihren
zeitweiligen Vortheil, da Ihr vielleicht etwas zu sagen und zu
hören vermöchtet, wodurch jene "Gewissen" um ihren Credit
kämen.

Wenn sie Euch dennoch Freiheit geben, so sind sie eben
Schelme, die mehr geben, als sie haben. Sie geben Euch
dann nämlich nichts von ihrem Eigenen, sondern gestohlene
Waare, geben Euch eure eigene Freiheit, die Freiheit, welche
Ihr Euch selbst nehmen müßtet; und sie geben sie Euch nur,
damit Ihr sie nicht nehmet, und die Diebe und Betrüger oben¬
ein zur Verantwortung zieht. In ihrer Schlauheit wissen sie

ſie keine „Gewaltigen“ ſind! Die Gewalt iſt eine ſchöne
Sache, und zu vielen Dingen nütze; denn „man kommt mit
einer Hand voll Gewalt weiter, als mit einem Sack voll Recht“.
Ihr ſehnt Euch nach der Freiheit? Ihr Thoren! Nähmet
Ihr die Gewalt, ſo käme die Freiheit von ſelbſt. Seht, wer
die Gewalt hat, der „ſteht über dem Geſetze“. Wie ſchmeckt
Euch dieſe Ausſicht, Ihr „geſetzlichen“ Leute? Ihr habt aber
keinen Geſchmack!

Laut erſchallt ringsum der Ruf nach „Freiheit“. Fühlt
und weiß man aber, was eine geſchenkte oder octroyirte Frei¬
heit zu bedeuten hat? Man erkennt es nicht in der ganzen
Fülle des Wortes, daß alle Freiheit weſentlich — Selbſtbe¬
freiung ſei, d. h. daß Ich nur ſo viel Freiheit haben kann,
als Ich durch meine Eigenheit Mir verſchaffe. Was nützt
den Schaafen, daß ihnen Niemand die Redefreiheit verkürzt?
Sie bleiben beim Blöken. Gebt einem, der innerlich ein Mu¬
hamedaner, ein Jude oder ein Chriſt iſt, die Erlaubniß zu
ſprechen, was er mag: er wird doch nur bornirtes Zeug vor¬
bringen. Rauben Euch dagegen gewiſſe Andere die Rede-
und Hörfreiheit, ſo verſtehen ſie ſich ganz richtig auf ihren
zeitweiligen Vortheil, da Ihr vielleicht etwas zu ſagen und zu
hören vermöchtet, wodurch jene „Gewiſſen“ um ihren Credit
kämen.

Wenn ſie Euch dennoch Freiheit geben, ſo ſind ſie eben
Schelme, die mehr geben, als ſie haben. Sie geben Euch
dann nämlich nichts von ihrem Eigenen, ſondern geſtohlene
Waare, geben Euch eure eigene Freiheit, die Freiheit, welche
Ihr Euch ſelbſt nehmen müßtet; und ſie geben ſie Euch nur,
damit Ihr ſie nicht nehmet, und die Diebe und Betrüger oben¬
ein zur Verantwortung zieht. In ihrer Schlauheit wiſſen ſie

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[220/0228] ſie keine „Gewaltigen“ ſind! Die Gewalt iſt eine ſchöne Sache, und zu vielen Dingen nütze; denn „man kommt mit einer Hand voll Gewalt weiter, als mit einem Sack voll Recht“. Ihr ſehnt Euch nach der Freiheit? Ihr Thoren! Nähmet Ihr die Gewalt, ſo käme die Freiheit von ſelbſt. Seht, wer die Gewalt hat, der „ſteht über dem Geſetze“. Wie ſchmeckt Euch dieſe Ausſicht, Ihr „geſetzlichen“ Leute? Ihr habt aber keinen Geſchmack! Laut erſchallt ringsum der Ruf nach „Freiheit“. Fühlt und weiß man aber, was eine geſchenkte oder octroyirte Frei¬ heit zu bedeuten hat? Man erkennt es nicht in der ganzen Fülle des Wortes, daß alle Freiheit weſentlich — Selbſtbe¬ freiung ſei, d. h. daß Ich nur ſo viel Freiheit haben kann, als Ich durch meine Eigenheit Mir verſchaffe. Was nützt den Schaafen, daß ihnen Niemand die Redefreiheit verkürzt? Sie bleiben beim Blöken. Gebt einem, der innerlich ein Mu¬ hamedaner, ein Jude oder ein Chriſt iſt, die Erlaubniß zu ſprechen, was er mag: er wird doch nur bornirtes Zeug vor¬ bringen. Rauben Euch dagegen gewiſſe Andere die Rede- und Hörfreiheit, ſo verſtehen ſie ſich ganz richtig auf ihren zeitweiligen Vortheil, da Ihr vielleicht etwas zu ſagen und zu hören vermöchtet, wodurch jene „Gewiſſen“ um ihren Credit kämen. Wenn ſie Euch dennoch Freiheit geben, ſo ſind ſie eben Schelme, die mehr geben, als ſie haben. Sie geben Euch dann nämlich nichts von ihrem Eigenen, ſondern geſtohlene Waare, geben Euch eure eigene Freiheit, die Freiheit, welche Ihr Euch ſelbſt nehmen müßtet; und ſie geben ſie Euch nur, damit Ihr ſie nicht nehmet, und die Diebe und Betrüger oben¬ ein zur Verantwortung zieht. In ihrer Schlauheit wiſſen ſie

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/228>, abgerufen am 27.11.2024.