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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853.

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fen hatten, waren sie doch durch den Morgen gestärkt,
wie das immer so ist. Der Knabe hing sich das
Kalbfellränzchen um, und machte das Pelzjäkchen an
Sanna fester zu. Dann führte er sie aus der Höhle.

Weil sie nach ihrer Meinung nur über den Berg
hinab zu laufen hatten, dachten sie an kein Essen, und
untersuchten das Ränzchen nicht, ob noch Weißbrode
oder andere Eßwaaren darinnen seien.

Von dem Berge wollte nun Konrad, weil der
Himmel ganz heiter war, in die Thäler hinab schauen,
um das Gschaider Thal zu erkennen, und in dasselbe
hinunter zu gehen. Aber er sah gar keine Thäler.
Es war nicht, als ob sie sich auf einem Berge befän¬
den, von dem man hinab sieht, sondern in einer
fremden seltsamen Gegend, in der lauter unbekannte
Gegenstände sind. Sie sahen heute auch in größerer
Entfernung furchtbare Felsen aus dem Schnee empor
stehen, die sie gestern nicht gesehen hatten, sie sahen
das Eis, sie sahen Hügel und Schneelehnen empor
starren, und hinter diesen war entweder der Himmel,
oder es ragte die blaue Spize eines sehr fernen Berges
am Schneerande hervor.

In diesem Augenblike ging die Sonne auf.

Eine riesengroße blutrothe Scheibe erhob sich an
dem Schneesaume in den Himmel, und in dem Augen¬

fen hatten, waren ſie doch durch den Morgen geſtärkt,
wie das immer ſo iſt. Der Knabe hing ſich das
Kalbfellränzchen um, und machte das Pelzjäkchen an
Sanna feſter zu. Dann führte er ſie aus der Höhle.

Weil ſie nach ihrer Meinung nur über den Berg
hinab zu laufen hatten, dachten ſie an kein Eſſen, und
unterſuchten das Ränzchen nicht, ob noch Weißbrode
oder andere Eßwaaren darinnen ſeien.

Von dem Berge wollte nun Konrad, weil der
Himmel ganz heiter war, in die Thäler hinab ſchauen,
um das Gſchaider Thal zu erkennen, und in dasſelbe
hinunter zu gehen. Aber er ſah gar keine Thäler.
Es war nicht, als ob ſie ſich auf einem Berge befän¬
den, von dem man hinab ſieht, ſondern in einer
fremden ſeltſamen Gegend, in der lauter unbekannte
Gegenſtände ſind. Sie ſahen heute auch in größerer
Entfernung furchtbare Felſen aus dem Schnee empor
ſtehen, die ſie geſtern nicht geſehen hatten, ſie ſahen
das Eis, ſie ſahen Hügel und Schneelehnen empor
ſtarren, und hinter dieſen war entweder der Himmel,
oder es ragte die blaue Spize eines ſehr fernen Berges
am Schneerande hervor.

In dieſem Augenblike ging die Sonne auf.

Eine rieſengroße blutrothe Scheibe erhob ſich an
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[76/0087] fen hatten, waren ſie doch durch den Morgen geſtärkt, wie das immer ſo iſt. Der Knabe hing ſich das Kalbfellränzchen um, und machte das Pelzjäkchen an Sanna feſter zu. Dann führte er ſie aus der Höhle. Weil ſie nach ihrer Meinung nur über den Berg hinab zu laufen hatten, dachten ſie an kein Eſſen, und unterſuchten das Ränzchen nicht, ob noch Weißbrode oder andere Eßwaaren darinnen ſeien. Von dem Berge wollte nun Konrad, weil der Himmel ganz heiter war, in die Thäler hinab ſchauen, um das Gſchaider Thal zu erkennen, und in dasſelbe hinunter zu gehen. Aber er ſah gar keine Thäler. Es war nicht, als ob ſie ſich auf einem Berge befän¬ den, von dem man hinab ſieht, ſondern in einer fremden ſeltſamen Gegend, in der lauter unbekannte Gegenſtände ſind. Sie ſahen heute auch in größerer Entfernung furchtbare Felſen aus dem Schnee empor ſtehen, die ſie geſtern nicht geſehen hatten, ſie ſahen das Eis, ſie ſahen Hügel und Schneelehnen empor ſtarren, und hinter dieſen war entweder der Himmel, oder es ragte die blaue Spize eines ſehr fernen Berges am Schneerande hervor. In dieſem Augenblike ging die Sonne auf. Eine rieſengroße blutrothe Scheibe erhob ſich an dem Schneeſaume in den Himmel, und in dem Augen¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853/87>, abgerufen am 24.11.2024.