Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

Stelle verlangte. Beide schienen dasselbe Loos des
nicht verehlichten Lebens gezogen zu haben.

Aber wie die Schiksale der Menschen wandel¬
bar sind, der Verwalter gerieth noch in seinen vor¬
gerükteren Jahren in die Fallstrike eines Mädchens,
und heirathete es.

Nun kam ein ganz seltsames Verhältniß über den
Schloßherrn. So wie der Verwalter sich als Eigen¬
thümer des Gutes betrachtete, und selbes so behan¬
delte, so betrachtete sich der Schloßherr als verheira¬
thet. Wenn sein Verwalter immer auf den Feldern
Wiesen in den Wäldern war, und sagte: mein Haber
meine Bäume, mein Holz, mein neugekauftes Feld;
so war der andere immer in dem Schlosse, und sagte:
unser Kasten, unsere Aussicht, unsere neuen Geräthe,
unsere Kinder.

So wie der Verwalter und der Schloßherr früher
immer an demselben Tische gespeist hatten, so blieb
es auch jezt, und der Schloßherr speiste mit der Fa¬
milie des Verwalters. Da einmal Kinder kamen, da
zeigte es sich recht, wie sehr der Schloßherr zu dem
Familienleben geeignet gewesen wäre; denn er war
ein Kinderfreund, und die Kinder merkten das sehr
bald, und es kam die Thatsache zum Vorscheine, daß
alle viere zu dem Schloßherrn "du" sagten, es war

Stelle verlangte. Beide ſchienen dasſelbe Loos des
nicht verehlichten Lebens gezogen zu haben.

Aber wie die Schikſale der Menſchen wandel¬
bar ſind, der Verwalter gerieth noch in ſeinen vor¬
gerükteren Jahren in die Fallſtrike eines Mädchens,
und heirathete es.

Nun kam ein ganz ſeltſames Verhältniß über den
Schloßherrn. So wie der Verwalter ſich als Eigen¬
thümer des Gutes betrachtete, und ſelbes ſo behan¬
delte, ſo betrachtete ſich der Schloßherr als verheira¬
thet. Wenn ſein Verwalter immer auf den Feldern
Wieſen in den Wäldern war, und ſagte: mein Haber
meine Bäume, mein Holz, mein neugekauftes Feld;
ſo war der andere immer in dem Schloſſe, und ſagte:
unſer Kaſten, unſere Ausſicht, unſere neuen Geräthe,
unſere Kinder.

So wie der Verwalter und der Schloßherr früher
immer an demſelben Tiſche geſpeist hatten, ſo blieb
es auch jezt, und der Schloßherr ſpeiste mit der Fa¬
milie des Verwalters. Da einmal Kinder kamen, da
zeigte es ſich recht, wie ſehr der Schloßherr zu dem
Familienleben geeignet geweſen wäre; denn er war
ein Kinderfreund, und die Kinder merkten das ſehr
bald, und es kam die Thatſache zum Vorſcheine, daß
alle viere zu dem Schloßherrn „du“ ſagten, es war

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0234" n="223"/>
Stelle verlangte. Beide &#x017F;chienen das&#x017F;elbe Loos des<lb/>
nicht verehlichten Lebens gezogen zu haben.</p><lb/>
        <p>Aber wie die Schik&#x017F;ale der Men&#x017F;chen wandel¬<lb/>
bar &#x017F;ind, der Verwalter gerieth noch in &#x017F;einen vor¬<lb/>
gerükteren Jahren in die Fall&#x017F;trike eines Mädchens,<lb/>
und heirathete es.</p><lb/>
        <p>Nun kam ein ganz &#x017F;elt&#x017F;ames Verhältniß über den<lb/>
Schloßherrn. So wie der Verwalter &#x017F;ich als Eigen¬<lb/>
thümer des Gutes betrachtete, und &#x017F;elbes &#x017F;o behan¬<lb/>
delte, &#x017F;o betrachtete &#x017F;ich der Schloßherr als verheira¬<lb/>
thet. Wenn &#x017F;ein Verwalter immer auf den Feldern<lb/>
Wie&#x017F;en in den Wäldern war, und &#x017F;agte: mein Haber<lb/>
meine Bäume, mein Holz, mein neugekauftes Feld;<lb/>
&#x017F;o war der andere immer in dem Schlo&#x017F;&#x017F;e, und &#x017F;agte:<lb/>
un&#x017F;er Ka&#x017F;ten, un&#x017F;ere Aus&#x017F;icht, un&#x017F;ere neuen Geräthe,<lb/>
un&#x017F;ere Kinder.</p><lb/>
        <p>So wie der Verwalter und der Schloßherr früher<lb/>
immer an dem&#x017F;elben Ti&#x017F;che ge&#x017F;peist hatten, &#x017F;o blieb<lb/>
es auch jezt, und der Schloßherr &#x017F;peiste mit der Fa¬<lb/>
milie des Verwalters. Da einmal Kinder kamen, da<lb/>
zeigte es &#x017F;ich recht, wie &#x017F;ehr der Schloßherr zu dem<lb/>
Familienleben geeignet gewe&#x017F;en wäre; denn er war<lb/>
ein Kinderfreund, und die Kinder merkten das &#x017F;ehr<lb/>
bald, und es kam die That&#x017F;ache zum Vor&#x017F;cheine, daß<lb/>
alle viere zu dem Schloßherrn &#x201E;du&#x201C; &#x017F;agten, es war<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0234] Stelle verlangte. Beide ſchienen dasſelbe Loos des nicht verehlichten Lebens gezogen zu haben. Aber wie die Schikſale der Menſchen wandel¬ bar ſind, der Verwalter gerieth noch in ſeinen vor¬ gerükteren Jahren in die Fallſtrike eines Mädchens, und heirathete es. Nun kam ein ganz ſeltſames Verhältniß über den Schloßherrn. So wie der Verwalter ſich als Eigen¬ thümer des Gutes betrachtete, und ſelbes ſo behan¬ delte, ſo betrachtete ſich der Schloßherr als verheira¬ thet. Wenn ſein Verwalter immer auf den Feldern Wieſen in den Wäldern war, und ſagte: mein Haber meine Bäume, mein Holz, mein neugekauftes Feld; ſo war der andere immer in dem Schloſſe, und ſagte: unſer Kaſten, unſere Ausſicht, unſere neuen Geräthe, unſere Kinder. So wie der Verwalter und der Schloßherr früher immer an demſelben Tiſche geſpeist hatten, ſo blieb es auch jezt, und der Schloßherr ſpeiste mit der Fa¬ milie des Verwalters. Da einmal Kinder kamen, da zeigte es ſich recht, wie ſehr der Schloßherr zu dem Familienleben geeignet geweſen wäre; denn er war ein Kinderfreund, und die Kinder merkten das ſehr bald, und es kam die Thatſache zum Vorſcheine, daß alle viere zu dem Schloßherrn „du“ ſagten, es war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853/234
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853/234>, abgerufen am 28.11.2024.