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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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men," fuhr er fort, "die von der Sache nichts wissen
und die die Vergangenheit verachten, die Einhegungen
sind verloren gegangen, die Stellen haben sich mit
gewöhnlichem Grase überzogen. Die Menschen ver¬
gessen gerne die alte Noth, und halten die Gesundheit
für ein Gut, das ihnen Gott schuldig sei, und das
sie in blühenden Tagen verschleudern. Sie achten
nicht der Pläze, wo die Todten ruhen, und sagen
den Beinamen Pest mit leichtfertiger Zunge, als ob
sie einen andern Namen sagten wie etwa Hagedorn
oder Eiben."

Wir waren unterdessen wieder durch den Hohl¬
weg auf den Kamm der Anhöhe gekommen, und hat¬
ten die Wälder, zu denen wir uns im Heraufgehen
umwenden mußten, um sie zu sehen, jezt in unserem
Angesichte, und die Sonne neigte sich in großem Ge¬
pränge über ihnen dem Untergange zu.

"Wenn nicht so die Abendsonne gegen uns schiene,"
sagte der Großvater, "und alles in einem feurigen
Rauche schwebte, würde ich dir die Stelle zeigen kön¬
nen, von der ich jezt reden werde, und die in unsere
Erzählung gehört. Sie ist viele Wegestunden von
hier, sie ist uns gerade gegenüber, wo die Sonne
untersinkt, und dort sind erst die rechten Wälder. Dort
stehen die Tannen und Fichten, es stehen die Erlen

men,“ fuhr er fort, „die von der Sache nichts wiſſen
und die die Vergangenheit verachten, die Einhegungen
ſind verloren gegangen, die Stellen haben ſich mit
gewöhnlichem Graſe überzogen. Die Menſchen ver¬
geſſen gerne die alte Noth, und halten die Geſundheit
für ein Gut, das ihnen Gott ſchuldig ſei, und das
ſie in blühenden Tagen verſchleudern. Sie achten
nicht der Pläze, wo die Todten ruhen, und ſagen
den Beinamen Peſt mit leichtfertiger Zunge, als ob
ſie einen andern Namen ſagten wie etwa Hagedorn
oder Eiben.“

Wir waren unterdeſſen wieder durch den Hohl¬
weg auf den Kamm der Anhöhe gekommen, und hat¬
ten die Wälder, zu denen wir uns im Heraufgehen
umwenden mußten, um ſie zu ſehen, jezt in unſerem
Angeſichte, und die Sonne neigte ſich in großem Ge¬
pränge über ihnen dem Untergange zu.

„Wenn nicht ſo die Abendſonne gegen uns ſchiene,“
ſagte der Großvater, „und alles in einem feurigen
Rauche ſchwebte, würde ich dir die Stelle zeigen kön¬
nen, von der ich jezt reden werde, und die in unſere
Erzählung gehört. Sie iſt viele Wegeſtunden von
hier, ſie iſt uns gerade gegenüber, wo die Sonne
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[54/0067] men,“ fuhr er fort, „die von der Sache nichts wiſſen und die die Vergangenheit verachten, die Einhegungen ſind verloren gegangen, die Stellen haben ſich mit gewöhnlichem Graſe überzogen. Die Menſchen ver¬ geſſen gerne die alte Noth, und halten die Geſundheit für ein Gut, das ihnen Gott ſchuldig ſei, und das ſie in blühenden Tagen verſchleudern. Sie achten nicht der Pläze, wo die Todten ruhen, und ſagen den Beinamen Peſt mit leichtfertiger Zunge, als ob ſie einen andern Namen ſagten wie etwa Hagedorn oder Eiben.“ Wir waren unterdeſſen wieder durch den Hohl¬ weg auf den Kamm der Anhöhe gekommen, und hat¬ ten die Wälder, zu denen wir uns im Heraufgehen umwenden mußten, um ſie zu ſehen, jezt in unſerem Angeſichte, und die Sonne neigte ſich in großem Ge¬ pränge über ihnen dem Untergange zu. „Wenn nicht ſo die Abendſonne gegen uns ſchiene,“ ſagte der Großvater, „und alles in einem feurigen Rauche ſchwebte, würde ich dir die Stelle zeigen kön¬ nen, von der ich jezt reden werde, und die in unſere Erzählung gehört. Sie iſt viele Wegeſtunden von hier, ſie iſt uns gerade gegenüber, wo die Sonne unterſinkt, und dort ſind erſt die rechten Wälder. Dort ſtehen die Tannen und Fichten, es ſtehen die Erlen

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/67>, abgerufen am 30.04.2024.