dessen, was sich etwa an dem Hahne oder durch das Lokern des Zapfens an den untern Faßdauben ange¬ sammelt hatte, hatte er einen langen schmalen flachen Löffel mit kurzem Stiele. Er nahm mit dem Löffel geschikt jedes Restchen Flüssigkeit, das sich in einer Fuge oder in einem Winkel verstekt hatte, heraus, und strich es bei den scharfen Rändern des Spund¬ loches hinein. Ich saß, da er dieses that, auf dem Steine, und sah ihm zu. Aus Zufall hatte ich bloße Füße, wie es öfter geschah, und hatte Höschen an, die mit der Zeit zu kurz geworden waren. Plözlich sah er von seiner Arbeit zu mir herzu, und sagte: "Willst du die Füsse eingeschmiert haben?"
Ich hatte den Mann stets für eine große Merk¬ würdigkeit gehalten, fühlte mich durch seine Vertrau¬ lichkeit geehrt, und hielt beide Füsse hin. Er fuhr mit seinem Löffel in das Spundloch, langte damit herzu, und that einen langsamen Strich auf jeden der beiden Füsse. Die Flüssigkeit breitete sich schön auf der Haut aus, hatte eine außerordentlich klare, goldbraune Farbe, und sandte die angenehmen Harzdüfte zu mir empor. Sie zog sich ihrer Natur nach allmählich um die Rundung meiner Füsse herum, und an ihnen hinab. Der Mann fuhr indessen in seinem Geschäfte fort, er hatte ein paar Male lächelnd auf mich herzu
deſſen, was ſich etwa an dem Hahne oder durch das Lokern des Zapfens an den untern Faßdauben ange¬ ſammelt hatte, hatte er einen langen ſchmalen flachen Löffel mit kurzem Stiele. Er nahm mit dem Löffel geſchikt jedes Reſtchen Flüſſigkeit, das ſich in einer Fuge oder in einem Winkel verſtekt hatte, heraus, und ſtrich es bei den ſcharfen Rändern des Spund¬ loches hinein. Ich ſaß, da er dieſes that, auf dem Steine, und ſah ihm zu. Aus Zufall hatte ich bloße Füße, wie es öfter geſchah, und hatte Höschen an, die mit der Zeit zu kurz geworden waren. Plözlich ſah er von ſeiner Arbeit zu mir herzu, und ſagte: „Willſt du die Füſſe eingeſchmiert haben?“
Ich hatte den Mann ſtets für eine große Merk¬ würdigkeit gehalten, fühlte mich durch ſeine Vertrau¬ lichkeit geehrt, und hielt beide Füſſe hin. Er fuhr mit ſeinem Löffel in das Spundloch, langte damit herzu, und that einen langſamen Strich auf jeden der beiden Füſſe. Die Flüſſigkeit breitete ſich ſchön auf der Haut aus, hatte eine außerordentlich klare, goldbraune Farbe, und ſandte die angenehmen Harzdüfte zu mir empor. Sie zog ſich ihrer Natur nach allmählich um die Rundung meiner Füſſe herum, und an ihnen hinab. Der Mann fuhr indeſſen in ſeinem Geſchäfte fort, er hatte ein paar Male lächelnd auf mich herzu
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deſſen, was ſich etwa an dem Hahne oder durch das
Lokern des Zapfens an den untern Faßdauben ange¬
ſammelt hatte, hatte er einen langen ſchmalen flachen
Löffel mit kurzem Stiele. Er nahm mit dem Löffel
geſchikt jedes Reſtchen Flüſſigkeit, das ſich in einer
Fuge oder in einem Winkel verſtekt hatte, heraus,
und ſtrich es bei den ſcharfen Rändern des Spund¬
loches hinein. Ich ſaß, da er dieſes that, auf dem
Steine, und ſah ihm zu. Aus Zufall hatte ich bloße
Füße, wie es öfter geſchah, und hatte Höschen an,
die mit der Zeit zu kurz geworden waren. Plözlich ſah
er von ſeiner Arbeit zu mir herzu, und ſagte: „Willſt
du die Füſſe eingeſchmiert haben?“
Ich hatte den Mann ſtets für eine große Merk¬
würdigkeit gehalten, fühlte mich durch ſeine Vertrau¬
lichkeit geehrt, und hielt beide Füſſe hin. Er fuhr mit
ſeinem Löffel in das Spundloch, langte damit herzu,
und that einen langſamen Strich auf jeden der beiden
Füſſe. Die Flüſſigkeit breitete ſich ſchön auf der Haut
aus, hatte eine außerordentlich klare, goldbraune
Farbe, und ſandte die angenehmen Harzdüfte zu mir
empor. Sie zog ſich ihrer Natur nach allmählich um
die Rundung meiner Füſſe herum, und an ihnen
hinab. Der Mann fuhr indeſſen in ſeinem Geſchäfte
fort, er hatte ein paar Male lächelnd auf mich herzu
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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/36>, abgerufen am 21.11.2024.
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