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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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ich für das des Mädchens hielt, saß die Dohle, denn
eine solche kein Rabe war es gewesen, was Alfred
hatte fangen wollen. Der Vogel nikte mit dem
Kopfe, und sprach schier Laute, die aber unverständ¬
lich verstümmelt und kaum menschenähnlich waren.
Auf dem Tische, der nicht weit von dem Size des
Mädchens stand, sah ich die Flöte liegen.

Ich wollte, während die Männer die Leiche besa¬
hen, und auf dem Bette in eine anständige Lage zu
bringen suchten, das Mädchen ansprechen, wollte es
zutraulich machen, und es dann mit mir nehmen,
um es aus der traurigen Umgebung zu bringen. Ich
näherte mich, und sprach es an, wobei ich die höf¬
lichste aber einfachste Sprache versuchte. Das Mäd¬
chen antwortete mir zu meinem Erstaunen in der
reinsten Schriftsprache, aber was es sagte, war kaum
zu verstehen. Die Gedanken waren so seltsam, so von
Allem, was sich immer und täglich in unserem Um¬
gange ausspricht, verschieden, daß man das Ganze
für blödsinnig hätte halten können, wenn es nicht
zum Theile wieder sehr verständig gewesen wäre.

Ich hatte zufällig in meinem Mantel einige
Stüke Zukerbäkerei und etwas Obst. Ich nahm ein
Stükchen Bakwerk heraus, und both es dem Mädchen
an. Es langte darnach, aß es, und zeigte in den

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ich für das des Mädchens hielt, ſaß die Dohle, denn
eine ſolche kein Rabe war es geweſen, was Alfred
hatte fangen wollen. Der Vogel nikte mit dem
Kopfe, und ſprach ſchier Laute, die aber unverſtänd¬
lich verſtümmelt und kaum menſchenähnlich waren.
Auf dem Tiſche, der nicht weit von dem Size des
Mädchens ſtand, ſah ich die Flöte liegen.

Ich wollte, während die Männer die Leiche beſa¬
hen, und auf dem Bette in eine anſtändige Lage zu
bringen ſuchten, das Mädchen anſprechen, wollte es
zutraulich machen, und es dann mit mir nehmen,
um es aus der traurigen Umgebung zu bringen. Ich
näherte mich, und ſprach es an, wobei ich die höf¬
lichſte aber einfachſte Sprache verſuchte. Das Mäd¬
chen antwortete mir zu meinem Erſtaunen in der
reinſten Schriftſprache, aber was es ſagte, war kaum
zu verſtehen. Die Gedanken waren ſo ſeltſam, ſo von
Allem, was ſich immer und täglich in unſerem Um¬
gange ausſpricht, verſchieden, daß man das Ganze
für blödſinnig hätte halten können, wenn es nicht
zum Theile wieder ſehr verſtändig geweſen wäre.

Ich hatte zufällig in meinem Mantel einige
Stüke Zukerbäkerei und etwas Obſt. Ich nahm ein
Stükchen Bakwerk heraus, und both es dem Mädchen
an. Es langte darnach, aß es, und zeigte in den

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[243/0256] ich für das des Mädchens hielt, ſaß die Dohle, denn eine ſolche kein Rabe war es geweſen, was Alfred hatte fangen wollen. Der Vogel nikte mit dem Kopfe, und ſprach ſchier Laute, die aber unverſtänd¬ lich verſtümmelt und kaum menſchenähnlich waren. Auf dem Tiſche, der nicht weit von dem Size des Mädchens ſtand, ſah ich die Flöte liegen. Ich wollte, während die Männer die Leiche beſa¬ hen, und auf dem Bette in eine anſtändige Lage zu bringen ſuchten, das Mädchen anſprechen, wollte es zutraulich machen, und es dann mit mir nehmen, um es aus der traurigen Umgebung zu bringen. Ich näherte mich, und ſprach es an, wobei ich die höf¬ lichſte aber einfachſte Sprache verſuchte. Das Mäd¬ chen antwortete mir zu meinem Erſtaunen in der reinſten Schriftſprache, aber was es ſagte, war kaum zu verſtehen. Die Gedanken waren ſo ſeltſam, ſo von Allem, was ſich immer und täglich in unſerem Um¬ gange ausſpricht, verſchieden, daß man das Ganze für blödſinnig hätte halten können, wenn es nicht zum Theile wieder ſehr verſtändig geweſen wäre. Ich hatte zufällig in meinem Mantel einige Stüke Zukerbäkerei und etwas Obſt. Ich nahm ein Stükchen Bakwerk heraus, und both es dem Mädchen an. Es langte darnach, aß es, und zeigte in den l6*

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/256>, abgerufen am 23.11.2024.