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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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Ein ungeheurer Himmel wie aus einem Edelsteine
gegossen war über der großen Rundsicht der Vorstädte,
nicht ein einziges Wölkchen war an ihm, und von
seinem Gipfel schien das Rund des Mondes lichtaus¬
gießend nieder. Wir wandelten an der Reihe der
Bäume, die den Fahrweg säumten, dahin, mancher
einzelne Wanderer und manches Paar begegnete uns.
Weil die Nacht so duftend und beinahe südlich war,
machten wir den Weg über den freien Raum noch
einmal hin und zurük, so daß wir endlich beinahe
die Lezten auf dem Plaze waren. Wir wendeten
uns nun auch, um nach Hause zu gehen. Als wir an
der Häuserreihe unserer Vorstadt hin gingen, und
uns kein Mensch mehr begegnete, merkten wir, daß
wir doch nicht die einzigen wären, welche von dieser
schönen Mondnacht angezogen würden, sondern daß
auch noch ein anderer von ihren Strahlen in seinem
Herzen erregt wäre; denn wir hörten in der allge¬
meinen Stille, die nur durch unsere Tritte und durch
manchen fernen Ruf einer Nachtigall unterbrochen
wurde, ein seltsames Flötenspiel. Wir hörten es
Anfangs ganz leise, dann da wir weiter kamen,
lauter. Wir blieben ein wenig stehen, um zu horchen.
Wenn es ein gewöhnliches Flötenspiel gewesen wäre,
würden wir wahrscheinlich bald weiter gegangen sein;

Ein ungeheurer Himmel wie aus einem Edelſteine
gegoſſen war über der großen Rundſicht der Vorſtädte,
nicht ein einziges Wölkchen war an ihm, und von
ſeinem Gipfel ſchien das Rund des Mondes lichtaus¬
gießend nieder. Wir wandelten an der Reihe der
Bäume, die den Fahrweg ſäumten, dahin, mancher
einzelne Wanderer und manches Paar begegnete uns.
Weil die Nacht ſo duftend und beinahe ſüdlich war,
machten wir den Weg über den freien Raum noch
einmal hin und zurük, ſo daß wir endlich beinahe
die Lezten auf dem Plaze waren. Wir wendeten
uns nun auch, um nach Hauſe zu gehen. Als wir an
der Häuſerreihe unſerer Vorſtadt hin gingen, und
uns kein Menſch mehr begegnete, merkten wir, daß
wir doch nicht die einzigen wären, welche von dieſer
ſchönen Mondnacht angezogen würden, ſondern daß
auch noch ein anderer von ihren Strahlen in ſeinem
Herzen erregt wäre; denn wir hörten in der allge¬
meinen Stille, die nur durch unſere Tritte und durch
manchen fernen Ruf einer Nachtigall unterbrochen
wurde, ein ſeltſames Flötenſpiel. Wir hörten es
Anfangs ganz leiſe, dann da wir weiter kamen,
lauter. Wir blieben ein wenig ſtehen, um zu horchen.
Wenn es ein gewöhnliches Flötenſpiel geweſen wäre,
würden wir wahrſcheinlich bald weiter gegangen ſein;

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[224/0237] Ein ungeheurer Himmel wie aus einem Edelſteine gegoſſen war über der großen Rundſicht der Vorſtädte, nicht ein einziges Wölkchen war an ihm, und von ſeinem Gipfel ſchien das Rund des Mondes lichtaus¬ gießend nieder. Wir wandelten an der Reihe der Bäume, die den Fahrweg ſäumten, dahin, mancher einzelne Wanderer und manches Paar begegnete uns. Weil die Nacht ſo duftend und beinahe ſüdlich war, machten wir den Weg über den freien Raum noch einmal hin und zurük, ſo daß wir endlich beinahe die Lezten auf dem Plaze waren. Wir wendeten uns nun auch, um nach Hauſe zu gehen. Als wir an der Häuſerreihe unſerer Vorſtadt hin gingen, und uns kein Menſch mehr begegnete, merkten wir, daß wir doch nicht die einzigen wären, welche von dieſer ſchönen Mondnacht angezogen würden, ſondern daß auch noch ein anderer von ihren Strahlen in ſeinem Herzen erregt wäre; denn wir hörten in der allge¬ meinen Stille, die nur durch unſere Tritte und durch manchen fernen Ruf einer Nachtigall unterbrochen wurde, ein ſeltſames Flötenſpiel. Wir hörten es Anfangs ganz leiſe, dann da wir weiter kamen, lauter. Wir blieben ein wenig ſtehen, um zu horchen. Wenn es ein gewöhnliches Flötenſpiel geweſen wäre, würden wir wahrſcheinlich bald weiter gegangen ſein;

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/237>, abgerufen am 30.04.2024.