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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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funden, und die Versteigerung war in Hinsicht des
Testamentes eine merkwürdige geworden. Es tru¬
gen sich auffallende Begebenheiten bei derselben zu.
Ein Pfarrer kaufte einen unter den Kleidern des Ver¬
storbenen gefundenen Rok, der das Schlechteste war,
was man unter nicht zerrissenen Kleidern finden kann,
um einen ansehnlichen Kaufschilling. Die Gemeinde
des Kar erstand die Bibel, um sie in ihre Kirche zu
stiften. Selbst die hölzerne Bank, die man nicht ein¬
mal eingesperrt hatte, fand einen Käufer.

Auch ich erwarb etwas in der Versteigerung,
nehmlich das kleine aus Holz geschnizte Crucifix von
Nürnberg und sämmtliche noch übrigen so schönen
und feinen Leintücher und Tischtücher. Ich und meine
Gattin besizen die Sachen noch bis auf den heutigen
Tag, und haben die Wäsche sehr selten gebraucht.
Wir bewahren sie als ein Denkmal auf, daß der arme
Pfarrer diese Dinge aus einem tiefen dauernden und
zarten Gefühle behalten und nie benuzt hat. Zuweilen
läßt meine Gattin die Linnen durchwaschen, und
glätten, dann ergözt sie sich an der unbeschreiblichen
Schönheit und Reinheit, und dann werden die zusam¬
mengelegten Stüke mit den alten ausgebleichten roth¬
seidenen Bändchen, die noch vorhanden sind, umbun¬
den, und wieder in den Schrein gelegt. --

funden, und die Verſteigerung war in Hinſicht des
Teſtamentes eine merkwürdige geworden. Es tru¬
gen ſich auffallende Begebenheiten bei derſelben zu.
Ein Pfarrer kaufte einen unter den Kleidern des Ver¬
ſtorbenen gefundenen Rok, der das Schlechteſte war,
was man unter nicht zerriſſenen Kleidern finden kann,
um einen anſehnlichen Kaufſchilling. Die Gemeinde
des Kar erſtand die Bibel, um ſie in ihre Kirche zu
ſtiften. Selbſt die hölzerne Bank, die man nicht ein¬
mal eingeſperrt hatte, fand einen Käufer.

Auch ich erwarb etwas in der Verſteigerung,
nehmlich das kleine aus Holz geſchnizte Crucifix von
Nürnberg und ſämmtliche noch übrigen ſo ſchönen
und feinen Leintücher und Tiſchtücher. Ich und meine
Gattin beſizen die Sachen noch bis auf den heutigen
Tag, und haben die Wäſche ſehr ſelten gebraucht.
Wir bewahren ſie als ein Denkmal auf, daß der arme
Pfarrer dieſe Dinge aus einem tiefen dauernden und
zarten Gefühle behalten und nie benuzt hat. Zuweilen
läßt meine Gattin die Linnen durchwaſchen, und
glätten, dann ergözt ſie ſich an der unbeſchreiblichen
Schönheit und Reinheit, und dann werden die zuſam¬
mengelegten Stüke mit den alten ausgebleichten roth¬
ſeidenen Bändchen, die noch vorhanden ſind, umbun¬
den, und wieder in den Schrein gelegt. —

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[191/0204] funden, und die Verſteigerung war in Hinſicht des Teſtamentes eine merkwürdige geworden. Es tru¬ gen ſich auffallende Begebenheiten bei derſelben zu. Ein Pfarrer kaufte einen unter den Kleidern des Ver¬ ſtorbenen gefundenen Rok, der das Schlechteſte war, was man unter nicht zerriſſenen Kleidern finden kann, um einen anſehnlichen Kaufſchilling. Die Gemeinde des Kar erſtand die Bibel, um ſie in ihre Kirche zu ſtiften. Selbſt die hölzerne Bank, die man nicht ein¬ mal eingeſperrt hatte, fand einen Käufer. Auch ich erwarb etwas in der Verſteigerung, nehmlich das kleine aus Holz geſchnizte Crucifix von Nürnberg und ſämmtliche noch übrigen ſo ſchönen und feinen Leintücher und Tiſchtücher. Ich und meine Gattin beſizen die Sachen noch bis auf den heutigen Tag, und haben die Wäſche ſehr ſelten gebraucht. Wir bewahren ſie als ein Denkmal auf, daß der arme Pfarrer dieſe Dinge aus einem tiefen dauernden und zarten Gefühle behalten und nie benuzt hat. Zuweilen läßt meine Gattin die Linnen durchwaſchen, und glätten, dann ergözt ſie ſich an der unbeſchreiblichen Schönheit und Reinheit, und dann werden die zuſam¬ mengelegten Stüke mit den alten ausgebleichten roth¬ ſeidenen Bändchen, die noch vorhanden ſind, umbun¬ den, und wieder in den Schrein gelegt. —

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/204>, abgerufen am 30.04.2024.