schen an? Und wie, wenn die Neigung des einen schwindet, und das andere trostlos ist? oder wenn sie in beiden ermattet, und eine Leere hinter sich läßt? Ihr werdet beide sagen, das sei bei euch nicht möglich. Ich weiß, daß ihr jezt so fühlt, ich weiß, daß es bei euch vielleicht auch nicht möglich ist; allein ich habe oft gesehen, daß Neigungen aufhörten und sich än¬ derten, ja daß die stärksten Gefühle, welche allen Gewalten trozten, dann, da sie keinen andern Wider¬ stand mehr hatten als die zähe immer dauernde auf¬ reibende Zeit, dieser stillen und unscheinbaren Ge¬ walt unterlegen sind. Soll Mathilde -- ich will sagen eure Mathilde -- dieser Möglichkeit anheim gegeben werden? Ist ihr das Leben, in das sie jezt mit frischer Seele hinein sieht, nicht zu gönnen? Es ist größere Liebe, auf die eigene Seligkeit nicht achten, ja die gegenwärtige Seligkeit des geliebten Gegenstandes auch nicht achten, aber dafür das ruhige feste und dauernde Glück desselben begründen. Das, glaube ich, ist eure und ist Mathildens Pflicht. Ihr könnt mir nicht einwenden, daß dieses Glück durch eine Ver¬ bindung, die sogleich geschlossen wird, zu begründen sei. Wenn auch Mathildens Vermögen so groß wäre, daß daraus ein Familienbesizstand gegründet werden
ſchen an? Und wie, wenn die Neigung des einen ſchwindet, und das andere troſtlos iſt? oder wenn ſie in beiden ermattet, und eine Leere hinter ſich läßt? Ihr werdet beide ſagen, das ſei bei euch nicht möglich. Ich weiß, daß ihr jezt ſo fühlt, ich weiß, daß es bei euch vielleicht auch nicht möglich iſt; allein ich habe oft geſehen, daß Neigungen aufhörten und ſich än¬ derten, ja daß die ſtärkſten Gefühle, welche allen Gewalten trozten, dann, da ſie keinen andern Wider¬ ſtand mehr hatten als die zähe immer dauernde auf¬ reibende Zeit, dieſer ſtillen und unſcheinbaren Ge¬ walt unterlegen ſind. Soll Mathilde — ich will ſagen eure Mathilde — dieſer Möglichkeit anheim gegeben werden? Iſt ihr das Leben, in das ſie jezt mit friſcher Seele hinein ſieht, nicht zu gönnen? Es iſt größere Liebe, auf die eigene Seligkeit nicht achten, ja die gegenwärtige Seligkeit des geliebten Gegenſtandes auch nicht achten, aber dafür das ruhige feſte und dauernde Glück desſelben begründen. Das, glaube ich, iſt eure und iſt Mathildens Pflicht. Ihr könnt mir nicht einwenden, daß dieſes Glück durch eine Ver¬ bindung, die ſogleich geſchloſſen wird, zu begründen ſei. Wenn auch Mathildens Vermögen ſo groß wäre, daß daraus ein Familienbeſizſtand gegründet werden
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ſchen an? Und wie, wenn die Neigung des einen
ſchwindet, und das andere troſtlos iſt? oder wenn ſie
in beiden ermattet, und eine Leere hinter ſich läßt? Ihr
werdet beide ſagen, das ſei bei euch nicht möglich. Ich
weiß, daß ihr jezt ſo fühlt, ich weiß, daß es bei euch
vielleicht auch nicht möglich iſt; allein ich habe oft
geſehen, daß Neigungen aufhörten und ſich än¬
derten, ja daß die ſtärkſten Gefühle, welche allen
Gewalten trozten, dann, da ſie keinen andern Wider¬
ſtand mehr hatten als die zähe immer dauernde auf¬
reibende Zeit, dieſer ſtillen und unſcheinbaren Ge¬
walt unterlegen ſind. Soll Mathilde — ich will ſagen
eure Mathilde — dieſer Möglichkeit anheim gegeben
werden? Iſt ihr das Leben, in das ſie jezt mit friſcher
Seele hinein ſieht, nicht zu gönnen? Es iſt größere
Liebe, auf die eigene Seligkeit nicht achten, ja die
gegenwärtige Seligkeit des geliebten Gegenſtandes
auch nicht achten, aber dafür das ruhige feſte und
dauernde Glück desſelben begründen. Das, glaube
ich, iſt eure und iſt Mathildens Pflicht. Ihr könnt
mir nicht einwenden, daß dieſes Glück durch eine Ver¬
bindung, die ſogleich geſchloſſen wird, zu begründen
ſei. Wenn auch Mathildens Vermögen ſo groß wäre,
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/323>, abgerufen am 22.11.2024.
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