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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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"Als die Stunde vorüber war, ging ich in das
Besuchzimmer der Mutter Mathildens. Sie erwar¬
tete mich schon. Sie saß an ihrem Tische, um den
wir uns so oft versammelt hatten. Sie both mir auch
einen Stuhl an. Nachdem ich mich gesezt hatte, sagte
sie: ""Mein Gatte ist mit mir gleicher Ansicht. Wir
haben euch ein Vertrauen geschenkt, das so groß war,
daß wir es nicht verantworten können. Ihr gabet uns
Grund zu diesem Vertrauen. Wir wollen nicht wei¬
ter darüber rechten. Aber eins muß gesprochen wer¬
den. Die Verbindung, welche ihr beide geschlossen
habt, ist ohne Ziel, wenigstens ist jezt ein Ziel nicht
abzusehen. Ihr mögt wohl beide einen gleichen An¬
theil an der Schließung dieses Bundes haben. Aber
beide dürftet ihr vielleicht an seine Folgen nicht gedacht
haben, sonst könnten wir euch schwerer entschuldigen.
Ihr habt euch nur eurem Gefühle hingegeben. Ich
begreife das. Ich kann mir nur nicht erklären, daß
ich es nicht schon früher begriffen habe. Ich habe euch
so -- so sehr vertraut. Hört mich aber jezt an. Ma¬
thilde ist noch ein Kind, es muß eine Reihe von Jah¬
ren vergehen, in denen sie noch lernen muß, was ihr
für ihren einstigen Beruf noth thut, es muß noch eine
Reihe von Jahren vergehen, ehe sie nur begreift, was

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„Als die Stunde vorüber war, ging ich in das
Beſuchzimmer der Mutter Mathildens. Sie erwar¬
tete mich ſchon. Sie ſaß an ihrem Tiſche, um den
wir uns ſo oft verſammelt hatten. Sie both mir auch
einen Stuhl an. Nachdem ich mich geſezt hatte, ſagte
ſie: „„Mein Gatte iſt mit mir gleicher Anſicht. Wir
haben euch ein Vertrauen geſchenkt, das ſo groß war,
daß wir es nicht verantworten können. Ihr gabet uns
Grund zu dieſem Vertrauen. Wir wollen nicht wei¬
ter darüber rechten. Aber eins muß geſprochen wer¬
den. Die Verbindung, welche ihr beide geſchloſſen
habt, iſt ohne Ziel, wenigſtens iſt jezt ein Ziel nicht
abzuſehen. Ihr mögt wohl beide einen gleichen An¬
theil an der Schließung dieſes Bundes haben. Aber
beide dürftet ihr vielleicht an ſeine Folgen nicht gedacht
haben, ſonſt könnten wir euch ſchwerer entſchuldigen.
Ihr habt euch nur eurem Gefühle hingegeben. Ich
begreife das. Ich kann mir nur nicht erklären, daß
ich es nicht ſchon früher begriffen habe. Ich habe euch
ſo — ſo ſehr vertraut. Hört mich aber jezt an. Ma¬
thilde iſt noch ein Kind, es muß eine Reihe von Jah¬
ren vergehen, in denen ſie noch lernen muß, was ihr
für ihren einſtigen Beruf noth thut, es muß noch eine
Reihe von Jahren vergehen, ehe ſie nur begreift, was

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[307/0321] „Als die Stunde vorüber war, ging ich in das Beſuchzimmer der Mutter Mathildens. Sie erwar¬ tete mich ſchon. Sie ſaß an ihrem Tiſche, um den wir uns ſo oft verſammelt hatten. Sie both mir auch einen Stuhl an. Nachdem ich mich geſezt hatte, ſagte ſie: „„Mein Gatte iſt mit mir gleicher Anſicht. Wir haben euch ein Vertrauen geſchenkt, das ſo groß war, daß wir es nicht verantworten können. Ihr gabet uns Grund zu dieſem Vertrauen. Wir wollen nicht wei¬ ter darüber rechten. Aber eins muß geſprochen wer¬ den. Die Verbindung, welche ihr beide geſchloſſen habt, iſt ohne Ziel, wenigſtens iſt jezt ein Ziel nicht abzuſehen. Ihr mögt wohl beide einen gleichen An¬ theil an der Schließung dieſes Bundes haben. Aber beide dürftet ihr vielleicht an ſeine Folgen nicht gedacht haben, ſonſt könnten wir euch ſchwerer entſchuldigen. Ihr habt euch nur eurem Gefühle hingegeben. Ich begreife das. Ich kann mir nur nicht erklären, daß ich es nicht ſchon früher begriffen habe. Ich habe euch ſo — ſo ſehr vertraut. Hört mich aber jezt an. Ma¬ thilde iſt noch ein Kind, es muß eine Reihe von Jah¬ ren vergehen, in denen ſie noch lernen muß, was ihr für ihren einſtigen Beruf noth thut, es muß noch eine Reihe von Jahren vergehen, ehe ſie nur begreift, was 20 *

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/321>, abgerufen am 22.11.2024.