"Als die Stunde vorüber war, ging ich in das Besuchzimmer der Mutter Mathildens. Sie erwar¬ tete mich schon. Sie saß an ihrem Tische, um den wir uns so oft versammelt hatten. Sie both mir auch einen Stuhl an. Nachdem ich mich gesezt hatte, sagte sie: ""Mein Gatte ist mit mir gleicher Ansicht. Wir haben euch ein Vertrauen geschenkt, das so groß war, daß wir es nicht verantworten können. Ihr gabet uns Grund zu diesem Vertrauen. Wir wollen nicht wei¬ ter darüber rechten. Aber eins muß gesprochen wer¬ den. Die Verbindung, welche ihr beide geschlossen habt, ist ohne Ziel, wenigstens ist jezt ein Ziel nicht abzusehen. Ihr mögt wohl beide einen gleichen An¬ theil an der Schließung dieses Bundes haben. Aber beide dürftet ihr vielleicht an seine Folgen nicht gedacht haben, sonst könnten wir euch schwerer entschuldigen. Ihr habt euch nur eurem Gefühle hingegeben. Ich begreife das. Ich kann mir nur nicht erklären, daß ich es nicht schon früher begriffen habe. Ich habe euch so -- so sehr vertraut. Hört mich aber jezt an. Ma¬ thilde ist noch ein Kind, es muß eine Reihe von Jah¬ ren vergehen, in denen sie noch lernen muß, was ihr für ihren einstigen Beruf noth thut, es muß noch eine Reihe von Jahren vergehen, ehe sie nur begreift, was
20 *
„Als die Stunde vorüber war, ging ich in das Beſuchzimmer der Mutter Mathildens. Sie erwar¬ tete mich ſchon. Sie ſaß an ihrem Tiſche, um den wir uns ſo oft verſammelt hatten. Sie both mir auch einen Stuhl an. Nachdem ich mich geſezt hatte, ſagte ſie: „„Mein Gatte iſt mit mir gleicher Anſicht. Wir haben euch ein Vertrauen geſchenkt, das ſo groß war, daß wir es nicht verantworten können. Ihr gabet uns Grund zu dieſem Vertrauen. Wir wollen nicht wei¬ ter darüber rechten. Aber eins muß geſprochen wer¬ den. Die Verbindung, welche ihr beide geſchloſſen habt, iſt ohne Ziel, wenigſtens iſt jezt ein Ziel nicht abzuſehen. Ihr mögt wohl beide einen gleichen An¬ theil an der Schließung dieſes Bundes haben. Aber beide dürftet ihr vielleicht an ſeine Folgen nicht gedacht haben, ſonſt könnten wir euch ſchwerer entſchuldigen. Ihr habt euch nur eurem Gefühle hingegeben. Ich begreife das. Ich kann mir nur nicht erklären, daß ich es nicht ſchon früher begriffen habe. Ich habe euch ſo — ſo ſehr vertraut. Hört mich aber jezt an. Ma¬ thilde iſt noch ein Kind, es muß eine Reihe von Jah¬ ren vergehen, in denen ſie noch lernen muß, was ihr für ihren einſtigen Beruf noth thut, es muß noch eine Reihe von Jahren vergehen, ehe ſie nur begreift, was
20 *
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0321"n="307"/><p>„Als die Stunde vorüber war, ging ich in das<lb/>
Beſuchzimmer der Mutter Mathildens. Sie erwar¬<lb/>
tete mich ſchon. Sie ſaß an ihrem Tiſche, um den<lb/>
wir uns ſo oft verſammelt hatten. Sie both mir auch<lb/>
einen Stuhl an. Nachdem ich mich geſezt hatte, ſagte<lb/>ſie: „„Mein Gatte iſt mit mir gleicher Anſicht. Wir<lb/>
haben euch ein Vertrauen geſchenkt, das ſo groß war,<lb/>
daß wir es nicht verantworten können. Ihr gabet uns<lb/>
Grund zu dieſem Vertrauen. Wir wollen nicht wei¬<lb/>
ter darüber rechten. Aber eins muß geſprochen wer¬<lb/>
den. Die Verbindung, welche ihr beide geſchloſſen<lb/>
habt, iſt ohne Ziel, wenigſtens iſt jezt ein Ziel nicht<lb/>
abzuſehen. Ihr mögt wohl beide einen gleichen An¬<lb/>
theil an der Schließung dieſes Bundes haben. Aber<lb/>
beide dürftet ihr vielleicht an ſeine Folgen nicht gedacht<lb/>
haben, ſonſt könnten wir euch ſchwerer entſchuldigen.<lb/>
Ihr habt euch nur eurem Gefühle hingegeben. Ich<lb/>
begreife das. Ich kann mir nur nicht erklären, daß<lb/>
ich es nicht ſchon früher begriffen habe. Ich habe euch<lb/>ſo —ſo ſehr vertraut. Hört mich aber jezt an. Ma¬<lb/>
thilde iſt noch ein Kind, es muß eine Reihe von Jah¬<lb/>
ren vergehen, in denen ſie noch lernen muß, was ihr<lb/>
für ihren einſtigen Beruf noth thut, es muß noch eine<lb/>
Reihe von Jahren vergehen, ehe ſie nur begreift, was<lb/><fwplace="bottom"type="sig">20 *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[307/0321]
„Als die Stunde vorüber war, ging ich in das
Beſuchzimmer der Mutter Mathildens. Sie erwar¬
tete mich ſchon. Sie ſaß an ihrem Tiſche, um den
wir uns ſo oft verſammelt hatten. Sie both mir auch
einen Stuhl an. Nachdem ich mich geſezt hatte, ſagte
ſie: „„Mein Gatte iſt mit mir gleicher Anſicht. Wir
haben euch ein Vertrauen geſchenkt, das ſo groß war,
daß wir es nicht verantworten können. Ihr gabet uns
Grund zu dieſem Vertrauen. Wir wollen nicht wei¬
ter darüber rechten. Aber eins muß geſprochen wer¬
den. Die Verbindung, welche ihr beide geſchloſſen
habt, iſt ohne Ziel, wenigſtens iſt jezt ein Ziel nicht
abzuſehen. Ihr mögt wohl beide einen gleichen An¬
theil an der Schließung dieſes Bundes haben. Aber
beide dürftet ihr vielleicht an ſeine Folgen nicht gedacht
haben, ſonſt könnten wir euch ſchwerer entſchuldigen.
Ihr habt euch nur eurem Gefühle hingegeben. Ich
begreife das. Ich kann mir nur nicht erklären, daß
ich es nicht ſchon früher begriffen habe. Ich habe euch
ſo — ſo ſehr vertraut. Hört mich aber jezt an. Ma¬
thilde iſt noch ein Kind, es muß eine Reihe von Jah¬
ren vergehen, in denen ſie noch lernen muß, was ihr
für ihren einſtigen Beruf noth thut, es muß noch eine
Reihe von Jahren vergehen, ehe ſie nur begreift, was
20 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/321>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.