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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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die Nothwendigkeit, wenn ich nach Hause wollte,
mich Schritt für Schritt durchfragen zu müssen, wirkte
sehr niederdrückend auf mich, der ich bisher immer in
einer Familie gelebt hatte, und stets an Orten ge¬
wesen war, in denen ich alle Häuser und Menschen
kannte. Ich ging zu dem Vorstande der Rechtsschule,
um mich für die Vorbereitungsjahre zum Staatsdienste
einschreiben zu lassen. Er nahm mich meiner treff¬
lichen Zeugnisse willen sehr gut auf, und ermahnte
mich, durch die große Stadt mich von meinem Fleiße
nicht abbringen zu lassen. Ach Gott, die große Stadt
war für mich bei meinen so kargen Mitteln nichts als
ein Wald, dessen Bäume auf mich keine Beziehung
haben, und sie trieb mich durch ihre Fremdartigkeit
eher zum Fleiße an, als daß sie mich abgehalten hätte.
Am Tage der Eröffnung des Unterrichtes ging ich,
der ich nun doch schon einige auf mich bezügliche Wege
wußte, in die hohe Schule. Dort wogte ein großes
Gewimmel durch einander. Alle Fächer wurden hier
gelehrt, und für alle Fächer fanden sich Schüler. Die
meisten sahen sehr begabt gebildet und behende aus,
so daß ich wieder im Glauben an meine nur geringen
Kräfte zu zagen anfing, hier gleichen Schritt halten
zu können. Ich begab mich in den Lehrsaal, in den

die Nothwendigkeit, wenn ich nach Hauſe wollte,
mich Schritt für Schritt durchfragen zu müſſen, wirkte
ſehr niederdrückend auf mich, der ich bisher immer in
einer Familie gelebt hatte, und ſtets an Orten ge¬
weſen war, in denen ich alle Häuſer und Menſchen
kannte. Ich ging zu dem Vorſtande der Rechtsſchule,
um mich für die Vorbereitungsjahre zum Staatsdienſte
einſchreiben zu laſſen. Er nahm mich meiner treff¬
lichen Zeugniſſe willen ſehr gut auf, und ermahnte
mich, durch die große Stadt mich von meinem Fleiße
nicht abbringen zu laſſen. Ach Gott, die große Stadt
war für mich bei meinen ſo kargen Mitteln nichts als
ein Wald, deſſen Bäume auf mich keine Beziehung
haben, und ſie trieb mich durch ihre Fremdartigkeit
eher zum Fleiße an, als daß ſie mich abgehalten hätte.
Am Tage der Eröffnung des Unterrichtes ging ich,
der ich nun doch ſchon einige auf mich bezügliche Wege
wußte, in die hohe Schule. Dort wogte ein großes
Gewimmel durch einander. Alle Fächer wurden hier
gelehrt, und für alle Fächer fanden ſich Schüler. Die
meiſten ſahen ſehr begabt gebildet und behende aus,
ſo daß ich wieder im Glauben an meine nur geringen
Kräfte zu zagen anfing, hier gleichen Schritt halten
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[239/0253] die Nothwendigkeit, wenn ich nach Hauſe wollte, mich Schritt für Schritt durchfragen zu müſſen, wirkte ſehr niederdrückend auf mich, der ich bisher immer in einer Familie gelebt hatte, und ſtets an Orten ge¬ weſen war, in denen ich alle Häuſer und Menſchen kannte. Ich ging zu dem Vorſtande der Rechtsſchule, um mich für die Vorbereitungsjahre zum Staatsdienſte einſchreiben zu laſſen. Er nahm mich meiner treff¬ lichen Zeugniſſe willen ſehr gut auf, und ermahnte mich, durch die große Stadt mich von meinem Fleiße nicht abbringen zu laſſen. Ach Gott, die große Stadt war für mich bei meinen ſo kargen Mitteln nichts als ein Wald, deſſen Bäume auf mich keine Beziehung haben, und ſie trieb mich durch ihre Fremdartigkeit eher zum Fleiße an, als daß ſie mich abgehalten hätte. Am Tage der Eröffnung des Unterrichtes ging ich, der ich nun doch ſchon einige auf mich bezügliche Wege wußte, in die hohe Schule. Dort wogte ein großes Gewimmel durch einander. Alle Fächer wurden hier gelehrt, und für alle Fächer fanden ſich Schüler. Die meiſten ſahen ſehr begabt gebildet und behende aus, ſo daß ich wieder im Glauben an meine nur geringen Kräfte zu zagen anfing, hier gleichen Schritt halten zu können. Ich begab mich in den Lehrſaal, in den

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/253>, abgerufen am 24.11.2024.