thätig sind, so nimmt dieses Volk ein reines und wahres Kunstwerk treu und warm in sein Herz auf, wozu es keiner Gelehrsamkeit, sondern nur seiner schlichten Kräfte bedarf, die das Werk als ein ihnen Gleichartiges aufnehmen, und hegen. Wenn aber die Begabungen eines Volkes, und seien sie noch so hoch, nach einer Richtung hin in weiten Räumen voraus eilen, wenn sie gar auf bloße Sinneslust oder auf Laster gerichtet sind, so müssen die Werke, welche eine große Wirkung hervor bringen sollen, auf jene Rich¬ tung, in der die Kräfte vorzugsweise thätig sind, hin¬ zielen, oder sie müssen Sinneslust und Laster darstellen. Reine Werke sind einem solchen Volke ein Fremdes, es wendet sich von ihnen. Daher rührt die Erschei¬ nung, daß edle Werke der Kunst ein Zeitalter rühren und begeistern können, und daß dann ein Volk kömmt, dem sie nicht mehr sprechen. Sie verhüllen ihr Haupt, und harren, bis andere Geschlechter an ihnen vorüber wandeln, die wieder reines Sinnes sind, und zu ih¬ nen empor blicken. Diesen lächeln sie, und von diesen werden sie wieder wie herübergerettete Heiligthümer in Tempel gebracht. In entarteten Völkern blüht zu¬ weilen aber sehr selten ein reines Werk wie ein ver¬ einsamter Strahl hervor, es wird nicht beachtet, und
thätig ſind, ſo nimmt dieſes Volk ein reines und wahres Kunſtwerk treu und warm in ſein Herz auf, wozu es keiner Gelehrſamkeit, ſondern nur ſeiner ſchlichten Kräfte bedarf, die das Werk als ein ihnen Gleichartiges aufnehmen, und hegen. Wenn aber die Begabungen eines Volkes, und ſeien ſie noch ſo hoch, nach einer Richtung hin in weiten Räumen voraus eilen, wenn ſie gar auf bloße Sinnesluſt oder auf Laſter gerichtet ſind, ſo müſſen die Werke, welche eine große Wirkung hervor bringen ſollen, auf jene Rich¬ tung, in der die Kräfte vorzugsweiſe thätig ſind, hin¬ zielen, oder ſie müſſen Sinnesluſt und Laſter darſtellen. Reine Werke ſind einem ſolchen Volke ein Fremdes, es wendet ſich von ihnen. Daher rührt die Erſchei¬ nung, daß edle Werke der Kunſt ein Zeitalter rühren und begeiſtern können, und daß dann ein Volk kömmt, dem ſie nicht mehr ſprechen. Sie verhüllen ihr Haupt, und harren, bis andere Geſchlechter an ihnen vorüber wandeln, die wieder reines Sinnes ſind, und zu ih¬ nen empor blicken. Dieſen lächeln ſie, und von dieſen werden ſie wieder wie herübergerettete Heiligthümer in Tempel gebracht. In entarteten Völkern blüht zu¬ weilen aber ſehr ſelten ein reines Werk wie ein ver¬ einſamter Strahl hervor, es wird nicht beachtet, und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0238"n="224"/>
thätig ſind, ſo nimmt dieſes Volk ein reines und<lb/>
wahres Kunſtwerk treu und warm in ſein Herz auf,<lb/>
wozu es keiner Gelehrſamkeit, ſondern nur ſeiner<lb/>ſchlichten Kräfte bedarf, die das Werk als ein ihnen<lb/>
Gleichartiges aufnehmen, und hegen. Wenn aber die<lb/>
Begabungen eines Volkes, und ſeien ſie noch ſo hoch,<lb/>
nach einer Richtung hin in weiten Räumen voraus<lb/>
eilen, wenn ſie gar auf bloße Sinnesluſt oder auf<lb/>
Laſter gerichtet ſind, ſo müſſen die Werke, welche eine<lb/>
große Wirkung hervor bringen ſollen, auf jene Rich¬<lb/>
tung, in der die Kräfte vorzugsweiſe thätig ſind, hin¬<lb/>
zielen, oder ſie müſſen Sinnesluſt und Laſter darſtellen.<lb/>
Reine Werke ſind einem ſolchen Volke ein Fremdes,<lb/>
es wendet ſich von ihnen. Daher rührt die Erſchei¬<lb/>
nung, daß edle Werke der Kunſt ein Zeitalter rühren<lb/>
und begeiſtern können, und daß dann ein Volk kömmt,<lb/>
dem ſie nicht mehr ſprechen. Sie verhüllen ihr Haupt,<lb/>
und harren, bis andere Geſchlechter an ihnen vorüber<lb/>
wandeln, die wieder reines Sinnes ſind, und zu ih¬<lb/>
nen empor blicken. Dieſen lächeln ſie, und von dieſen<lb/>
werden ſie wieder wie herübergerettete Heiligthümer<lb/>
in Tempel gebracht. In entarteten Völkern blüht zu¬<lb/>
weilen aber ſehr ſelten ein reines Werk wie ein ver¬<lb/>
einſamter Strahl hervor, es wird nicht beachtet, und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[224/0238]
thätig ſind, ſo nimmt dieſes Volk ein reines und
wahres Kunſtwerk treu und warm in ſein Herz auf,
wozu es keiner Gelehrſamkeit, ſondern nur ſeiner
ſchlichten Kräfte bedarf, die das Werk als ein ihnen
Gleichartiges aufnehmen, und hegen. Wenn aber die
Begabungen eines Volkes, und ſeien ſie noch ſo hoch,
nach einer Richtung hin in weiten Räumen voraus
eilen, wenn ſie gar auf bloße Sinnesluſt oder auf
Laſter gerichtet ſind, ſo müſſen die Werke, welche eine
große Wirkung hervor bringen ſollen, auf jene Rich¬
tung, in der die Kräfte vorzugsweiſe thätig ſind, hin¬
zielen, oder ſie müſſen Sinnesluſt und Laſter darſtellen.
Reine Werke ſind einem ſolchen Volke ein Fremdes,
es wendet ſich von ihnen. Daher rührt die Erſchei¬
nung, daß edle Werke der Kunſt ein Zeitalter rühren
und begeiſtern können, und daß dann ein Volk kömmt,
dem ſie nicht mehr ſprechen. Sie verhüllen ihr Haupt,
und harren, bis andere Geſchlechter an ihnen vorüber
wandeln, die wieder reines Sinnes ſind, und zu ih¬
nen empor blicken. Dieſen lächeln ſie, und von dieſen
werden ſie wieder wie herübergerettete Heiligthümer
in Tempel gebracht. In entarteten Völkern blüht zu¬
weilen aber ſehr ſelten ein reines Werk wie ein ver¬
einſamter Strahl hervor, es wird nicht beachtet, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/238>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.