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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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Sterne wie ein ausgebranntes Feuerwerksgerüste er¬
loschen waren. Haben da meine vom Nachtwachen
brennenden Augen die verschwundene stille Größe
nicht für höher erkannt als den klaren Tag, der alles
deutlich macht? Wer kann wissen, wie dies ist. Wie
wird es jenen Geschöpfen sein, denen nur die Nacht
zugewiesen ist, die den Tag nicht kennen? Jenen gro¬
ßen wunderbaren Blumen ferner Länder, die ihr Auge
öffnen, wenn die Sonne untergegangen ist, und die
ihr meistens weißes Kleid schlaff und verblüht herab¬
hängen lassen, wenn die Sonne wieder aufgeht? Oder
den Thieren, denen die Nacht ihr Tag ist? Es war
eine Weihe und eine Verehrung des Unendlichen
in mir.

Träumend, ehe ich entschlief, begab ich mich auf
mein Lager, nachdem ich vorher das Licht ausgelöscht,
und die Vorhänge der Fenster absichtlich nicht zugezo¬
gen hatte, damit ich die Sterne hereinscheinen sähe.

Des anderen Morgens sammelte ich mich, um mir
bewußt zu werden, was geschehen ist, und welche
tiefe Pflichten ich eingegangen war. Ich kleidete mich
an, um in das Freie zu gehen, und mein Angesicht
und meinen Körper der kühlen Morgenluft zu geben.

Als ich mein Zimmer verlassen hatte, suchte ich

Sterne wie ein ausgebranntes Feuerwerksgerüſte er¬
loſchen waren. Haben da meine vom Nachtwachen
brennenden Augen die verſchwundene ſtille Größe
nicht für höher erkannt als den klaren Tag, der alles
deutlich macht? Wer kann wiſſen, wie dies iſt. Wie
wird es jenen Geſchöpfen ſein, denen nur die Nacht
zugewieſen iſt, die den Tag nicht kennen? Jenen gro¬
ßen wunderbaren Blumen ferner Länder, die ihr Auge
öffnen, wenn die Sonne untergegangen iſt, und die
ihr meiſtens weißes Kleid ſchlaff und verblüht herab¬
hängen laſſen, wenn die Sonne wieder aufgeht? Oder
den Thieren, denen die Nacht ihr Tag iſt? Es war
eine Weihe und eine Verehrung des Unendlichen
in mir.

Träumend, ehe ich entſchlief, begab ich mich auf
mein Lager, nachdem ich vorher das Licht ausgelöſcht,
und die Vorhänge der Fenſter abſichtlich nicht zugezo¬
gen hatte, damit ich die Sterne hereinſcheinen ſähe.

Des anderen Morgens ſammelte ich mich, um mir
bewußt zu werden, was geſchehen iſt, und welche
tiefe Pflichten ich eingegangen war. Ich kleidete mich
an, um in das Freie zu gehen, und mein Angeſicht
und meinen Körper der kühlen Morgenluft zu geben.

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[6/0020] Sterne wie ein ausgebranntes Feuerwerksgerüſte er¬ loſchen waren. Haben da meine vom Nachtwachen brennenden Augen die verſchwundene ſtille Größe nicht für höher erkannt als den klaren Tag, der alles deutlich macht? Wer kann wiſſen, wie dies iſt. Wie wird es jenen Geſchöpfen ſein, denen nur die Nacht zugewieſen iſt, die den Tag nicht kennen? Jenen gro¬ ßen wunderbaren Blumen ferner Länder, die ihr Auge öffnen, wenn die Sonne untergegangen iſt, und die ihr meiſtens weißes Kleid ſchlaff und verblüht herab¬ hängen laſſen, wenn die Sonne wieder aufgeht? Oder den Thieren, denen die Nacht ihr Tag iſt? Es war eine Weihe und eine Verehrung des Unendlichen in mir. Träumend, ehe ich entſchlief, begab ich mich auf mein Lager, nachdem ich vorher das Licht ausgelöſcht, und die Vorhänge der Fenſter abſichtlich nicht zugezo¬ gen hatte, damit ich die Sterne hereinſcheinen ſähe. Des anderen Morgens ſammelte ich mich, um mir bewußt zu werden, was geſchehen iſt, und welche tiefe Pflichten ich eingegangen war. Ich kleidete mich an, um in das Freie zu gehen, und mein Angeſicht und meinen Körper der kühlen Morgenluft zu geben. Als ich mein Zimmer verlaſſen hatte, ſuchte ich

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/20>, abgerufen am 29.03.2024.