Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Andern saßen nach ihrer Bequemlichkeit herum.
Meistens bildete sich von selber eine Art Kreis. Man
hörte in tiefer Stille dem Vorlesen zu, und nahm an
den Gesprächen, die nach dem Lesen folgten, oder die,
wenn gar keine Vorlesung war, den ganzen Abend
erfüllten, den eifrigsten Antheil. Die Fürstin konnte
ihnen den lebhaftesten und tiefsten Fortgang geben.
Es schien, daß das, was die vorzüglichsten Män¬
ner in ihrer Gegenwart sprachen, von ihr angeregt
wurde, und daß ihre größte Gabe darin bestand, das,
was in anderen war, hervor zu rufen. Sie saß dabei
mit ihrer äußerst zierlichen Gestalt auf die anmuthigste
Weise in ihrem Stuhle, und bewegte noch als hochbe¬
tagte Frau die Gesellschaft mit ihrer lieblichen Schön¬
heit. Zuweilen, wenn sich ihr Inneres erregte, stand
sie auf, hielt sich an ihrem Stuhle, und erklärte, und
sprach zu den Anwesenden mit ihrer klaren zarten
wohllautenden Stimme.

Ich lernte verschiedene Menschen in den Zimmern
der Fürstin kennen. Zuweilen war es ein hervor¬
ragender Künstler, den man dort sprechen hörte,
zuweilen ein Staatsmann, der mit den wichtigsten
Angelegenheiten unseres Landes betraut war, oder es
war sonst eine bedeutende Persönlichkeit der Gesellschaft

Die Andern ſaßen nach ihrer Bequemlichkeit herum.
Meiſtens bildete ſich von ſelber eine Art Kreis. Man
hörte in tiefer Stille dem Vorleſen zu, und nahm an
den Geſprächen, die nach dem Leſen folgten, oder die,
wenn gar keine Vorleſung war, den ganzen Abend
erfüllten, den eifrigſten Antheil. Die Fürſtin konnte
ihnen den lebhafteſten und tiefſten Fortgang geben.
Es ſchien, daß das, was die vorzüglichſten Män¬
ner in ihrer Gegenwart ſprachen, von ihr angeregt
wurde, und daß ihre größte Gabe darin beſtand, das,
was in anderen war, hervor zu rufen. Sie ſaß dabei
mit ihrer äußerſt zierlichen Geſtalt auf die anmuthigſte
Weiſe in ihrem Stuhle, und bewegte noch als hochbe¬
tagte Frau die Geſellſchaft mit ihrer lieblichen Schön¬
heit. Zuweilen, wenn ſich ihr Inneres erregte, ſtand
ſie auf, hielt ſich an ihrem Stuhle, und erklärte, und
ſprach zu den Anweſenden mit ihrer klaren zarten
wohllautenden Stimme.

Ich lernte verſchiedene Menſchen in den Zimmern
der Fürſtin kennen. Zuweilen war es ein hervor¬
ragender Künſtler, den man dort ſprechen hörte,
zuweilen ein Staatsmann, der mit den wichtigſten
Angelegenheiten unſeres Landes betraut war, oder es
war ſonſt eine bedeutende Perſönlichkeit der Geſellſchaft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0094" n="80"/>
Die Andern &#x017F;aßen nach ihrer Bequemlichkeit herum.<lb/>
Mei&#x017F;tens bildete &#x017F;ich von &#x017F;elber eine Art Kreis. Man<lb/>
hörte in tiefer Stille dem Vorle&#x017F;en zu, und nahm an<lb/>
den Ge&#x017F;prächen, die nach dem Le&#x017F;en folgten, oder die,<lb/>
wenn gar keine Vorle&#x017F;ung war, den ganzen Abend<lb/>
erfüllten, den eifrig&#x017F;ten Antheil. Die Für&#x017F;tin konnte<lb/>
ihnen den lebhafte&#x017F;ten und tief&#x017F;ten Fortgang geben.<lb/>
Es &#x017F;chien, daß das, was die vorzüglich&#x017F;ten Män¬<lb/>
ner in ihrer Gegenwart &#x017F;prachen, von ihr angeregt<lb/>
wurde, und daß ihre größte Gabe darin be&#x017F;tand, das,<lb/>
was in anderen war, hervor zu rufen. Sie &#x017F;aß dabei<lb/>
mit ihrer äußer&#x017F;t zierlichen Ge&#x017F;talt auf die anmuthig&#x017F;te<lb/>
Wei&#x017F;e in ihrem Stuhle, und bewegte noch als hochbe¬<lb/>
tagte Frau die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft mit ihrer lieblichen Schön¬<lb/>
heit. Zuweilen, wenn &#x017F;ich ihr Inneres erregte, &#x017F;tand<lb/>
&#x017F;ie auf, hielt &#x017F;ich an ihrem Stuhle, und erklärte, und<lb/>
&#x017F;prach zu den Anwe&#x017F;enden mit ihrer klaren zarten<lb/>
wohllautenden Stimme.</p><lb/>
        <p>Ich lernte ver&#x017F;chiedene Men&#x017F;chen in den Zimmern<lb/>
der Für&#x017F;tin kennen. Zuweilen war es ein hervor¬<lb/>
ragender Kün&#x017F;tler, den man dort &#x017F;prechen hörte,<lb/>
zuweilen ein Staatsmann, der mit den wichtig&#x017F;ten<lb/>
Angelegenheiten un&#x017F;eres Landes betraut war, oder es<lb/>
war &#x017F;on&#x017F;t eine bedeutende Per&#x017F;önlichkeit der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0094] Die Andern ſaßen nach ihrer Bequemlichkeit herum. Meiſtens bildete ſich von ſelber eine Art Kreis. Man hörte in tiefer Stille dem Vorleſen zu, und nahm an den Geſprächen, die nach dem Leſen folgten, oder die, wenn gar keine Vorleſung war, den ganzen Abend erfüllten, den eifrigſten Antheil. Die Fürſtin konnte ihnen den lebhafteſten und tiefſten Fortgang geben. Es ſchien, daß das, was die vorzüglichſten Män¬ ner in ihrer Gegenwart ſprachen, von ihr angeregt wurde, und daß ihre größte Gabe darin beſtand, das, was in anderen war, hervor zu rufen. Sie ſaß dabei mit ihrer äußerſt zierlichen Geſtalt auf die anmuthigſte Weiſe in ihrem Stuhle, und bewegte noch als hochbe¬ tagte Frau die Geſellſchaft mit ihrer lieblichen Schön¬ heit. Zuweilen, wenn ſich ihr Inneres erregte, ſtand ſie auf, hielt ſich an ihrem Stuhle, und erklärte, und ſprach zu den Anweſenden mit ihrer klaren zarten wohllautenden Stimme. Ich lernte verſchiedene Menſchen in den Zimmern der Fürſtin kennen. Zuweilen war es ein hervor¬ ragender Künſtler, den man dort ſprechen hörte, zuweilen ein Staatsmann, der mit den wichtigſten Angelegenheiten unſeres Landes betraut war, oder es war ſonſt eine bedeutende Perſönlichkeit der Geſellſchaft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/94
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/94>, abgerufen am 22.11.2024.