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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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Ich blieb so lange in dem Gebirge, als es nur
möglich war, und als die zunehmende Kälte einen
Aufenthalt im Freien nicht ganz und gar verboth.

Im spätesten Herbste ging ich noch einmal zu mei¬
nem Gastfreunde in das Rosenhaus. Es war zur
Zeit, da in dem Gebirge schon manigfaltige Schnee¬
lasten auf den Höhen lagen, und das flache Land sich
schon jedes Schmuckes entäußert hatte. Der Garten
meines Freundes war kahl, die Bienenhütte war in
Stroh eingehüllt, in den laublosen Zweigen schrillte
nur noch manche vereinzelte Kohlmeise oder ein Win¬
tervogel, und über ihnen zogen in dem grauen Him¬
mel die grauen Dreiecke der Gänse nach dem Süden.
Wir saßen in den langen Abenden bei dem Feuer des
Kamins, arbeiteten unter Tags an der Einhüllung
und Einwinterung der Gegenstände, die es bedurf¬
ten, oder machten an manchem Nachmittage einen
Spaziergang, wenn der regsame Nebel die Hügel und
die Thäler und die Ebenen umwandelte.

Ich zeigte meinem Gastfreunde meine Versuche im
landschaftlichen Malen, weil ich es gewissermaßen für
eine Falschheit gehalten hätte, ihm nichts von der
Veränderung zu sagen, die in mir vorgegangen war.
Ich scheute mich sehr, die Versuche vorzulegen, ich

Ich blieb ſo lange in dem Gebirge, als es nur
möglich war, und als die zunehmende Kälte einen
Aufenthalt im Freien nicht ganz und gar verboth.

Im ſpäteſten Herbſte ging ich noch einmal zu mei¬
nem Gaſtfreunde in das Roſenhaus. Es war zur
Zeit, da in dem Gebirge ſchon manigfaltige Schnee¬
laſten auf den Höhen lagen, und das flache Land ſich
ſchon jedes Schmuckes entäußert hatte. Der Garten
meines Freundes war kahl, die Bienenhütte war in
Stroh eingehüllt, in den laubloſen Zweigen ſchrillte
nur noch manche vereinzelte Kohlmeiſe oder ein Win¬
tervogel, und über ihnen zogen in dem grauen Him¬
mel die grauen Dreiecke der Gänſe nach dem Süden.
Wir ſaßen in den langen Abenden bei dem Feuer des
Kamins, arbeiteten unter Tags an der Einhüllung
und Einwinterung der Gegenſtände, die es bedurf¬
ten, oder machten an manchem Nachmittage einen
Spaziergang, wenn der regſame Nebel die Hügel und
die Thäler und die Ebenen umwandelte.

Ich zeigte meinem Gaſtfreunde meine Verſuche im
landſchaftlichen Malen, weil ich es gewiſſermaßen für
eine Falſchheit gehalten hätte, ihm nichts von der
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Ich ſcheute mich ſehr, die Verſuche vorzulegen, ich

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[43/0057] Ich blieb ſo lange in dem Gebirge, als es nur möglich war, und als die zunehmende Kälte einen Aufenthalt im Freien nicht ganz und gar verboth. Im ſpäteſten Herbſte ging ich noch einmal zu mei¬ nem Gaſtfreunde in das Roſenhaus. Es war zur Zeit, da in dem Gebirge ſchon manigfaltige Schnee¬ laſten auf den Höhen lagen, und das flache Land ſich ſchon jedes Schmuckes entäußert hatte. Der Garten meines Freundes war kahl, die Bienenhütte war in Stroh eingehüllt, in den laubloſen Zweigen ſchrillte nur noch manche vereinzelte Kohlmeiſe oder ein Win¬ tervogel, und über ihnen zogen in dem grauen Him¬ mel die grauen Dreiecke der Gänſe nach dem Süden. Wir ſaßen in den langen Abenden bei dem Feuer des Kamins, arbeiteten unter Tags an der Einhüllung und Einwinterung der Gegenſtände, die es bedurf¬ ten, oder machten an manchem Nachmittage einen Spaziergang, wenn der regſame Nebel die Hügel und die Thäler und die Ebenen umwandelte. Ich zeigte meinem Gaſtfreunde meine Verſuche im landſchaftlichen Malen, weil ich es gewiſſermaßen für eine Falſchheit gehalten hätte, ihm nichts von der Veränderung zu ſagen, die in mir vorgegangen war. Ich ſcheute mich ſehr, die Verſuche vorzulegen, ich

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/57>, abgerufen am 19.05.2024.