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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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Besonders kamen mir die Gedanken, wozu dann
alles da sei, wie es entstanden sei, wie es zusammen¬
hänge, und wie es zu unserem Herzen spreche.

Einmal gelangte ich zu dem See hinunter, und
betrachtete an dem sonnigen Nachmittage die That¬
sache, daß die Schönheit der absteigenden Berge mei¬
stens gegen einen Seespiegel am größten ist. Kömmt
das aus Zufall, haben die abstürzenden dem See zu¬
eilenden Wässer die Berge so schön gefurcht gehöhlt
geschnitten geklüftet, oder entspringt unsere Empfin¬
dung von dem Gegensaze des Wassers und der Berge,
wie nehmlich das erste eine weiche glatte feine Fläche
bildet, die durch die rauhen absteigenden Riffe Rinnen
und Streifen geschnitten wird, während unterhalb
nichts zu sehen ist, und so das Räthsel vermehrt wird?
Ich dachte bei dieser Gelegenheit: wenn das Wasser
durchsichtiger wäre, zwar nicht so durchsichtig wie die
Luft, doch beinahe so; dann müßte man das ganze
innere Becken sehen, nicht so klar wie in der Luft son¬
dern in einem grünlichen feuchten Schleier. Das
müßte sehr schön sein. Ich blieb in Folge dieses Ge¬
dankens länger an dem See, miethete mich in einem
Gasthofe ein, und machte mehrere Messungen der
Tiefe des Wassers an verschiedenen Stellen, deren

Beſonders kamen mir die Gedanken, wozu dann
alles da ſei, wie es entſtanden ſei, wie es zuſammen¬
hänge, und wie es zu unſerem Herzen ſpreche.

Einmal gelangte ich zu dem See hinunter, und
betrachtete an dem ſonnigen Nachmittage die That¬
ſache, daß die Schönheit der abſteigenden Berge mei¬
ſtens gegen einen Seeſpiegel am größten iſt. Kömmt
das aus Zufall, haben die abſtürzenden dem See zu¬
eilenden Wäſſer die Berge ſo ſchön gefurcht gehöhlt
geſchnitten geklüftet, oder entſpringt unſere Empfin¬
dung von dem Gegenſaze des Waſſers und der Berge,
wie nehmlich das erſte eine weiche glatte feine Fläche
bildet, die durch die rauhen abſteigenden Riffe Rinnen
und Streifen geſchnitten wird, während unterhalb
nichts zu ſehen iſt, und ſo das Räthſel vermehrt wird?
Ich dachte bei dieſer Gelegenheit: wenn das Waſſer
durchſichtiger wäre, zwar nicht ſo durchſichtig wie die
Luft, doch beinahe ſo; dann müßte man das ganze
innere Becken ſehen, nicht ſo klar wie in der Luft ſon¬
dern in einem grünlichen feuchten Schleier. Das
müßte ſehr ſchön ſein. Ich blieb in Folge dieſes Ge¬
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[32/0046] Beſonders kamen mir die Gedanken, wozu dann alles da ſei, wie es entſtanden ſei, wie es zuſammen¬ hänge, und wie es zu unſerem Herzen ſpreche. Einmal gelangte ich zu dem See hinunter, und betrachtete an dem ſonnigen Nachmittage die That¬ ſache, daß die Schönheit der abſteigenden Berge mei¬ ſtens gegen einen Seeſpiegel am größten iſt. Kömmt das aus Zufall, haben die abſtürzenden dem See zu¬ eilenden Wäſſer die Berge ſo ſchön gefurcht gehöhlt geſchnitten geklüftet, oder entſpringt unſere Empfin¬ dung von dem Gegenſaze des Waſſers und der Berge, wie nehmlich das erſte eine weiche glatte feine Fläche bildet, die durch die rauhen abſteigenden Riffe Rinnen und Streifen geſchnitten wird, während unterhalb nichts zu ſehen iſt, und ſo das Räthſel vermehrt wird? Ich dachte bei dieſer Gelegenheit: wenn das Waſſer durchſichtiger wäre, zwar nicht ſo durchſichtig wie die Luft, doch beinahe ſo; dann müßte man das ganze innere Becken ſehen, nicht ſo klar wie in der Luft ſon¬ dern in einem grünlichen feuchten Schleier. Das müßte ſehr ſchön ſein. Ich blieb in Folge dieſes Ge¬ dankens länger an dem See, miethete mich in einem Gaſthofe ein, und machte mehrere Meſſungen der Tiefe des Waſſers an verſchiedenen Stellen, deren

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/46>, abgerufen am 24.04.2024.