Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

pfunden, und hatte derselbe ihr Gespräch auf das
Wasser gelenkt, oder war durch das Gespräch ein
leichter Durst in ihr hervorgerufen worden: sie stand
nun auf, nahm die Alabasterschale in die Hand, ließ
sie sich in dem sanften Strahle füllen, sezte sie an ihre
schönen Lippen, trank einen Theil des Wassers, ließ
das übrige in das tiefere Becken fließen, stellte die
leere Schale an ihren Plaz, und sezte sich wieder zu
mir auf die Bank.

Mir war das Herz ein wenig gedrückt, und ich
sagte: "Wenn wir beide das Schöne dieses Ortes be¬
trachtet, und wenn wir von ihm und von andern Din¬
gen, auf die er uns führte, gerne gesprochen haben,
so ist doch etwas in ihm, was mir Schmerz erregt."

"Was kann euch denn an diesem Orte Schmerz
erregen?" fragte sie.

"Natalie," antwortete ich, "es ist jezt ein Jahr,
daß ihr mich an dieser Halle absichtlich gemieden habt.
Ihr saßet auf derselben Bank, auf welcher ihr jezt sizet,
ich stand im Garten, ihr tratet heraus, und ginget
von mir mit beeiligten Schritten in das Gebüsch."

Sie wendete ihr Angesicht gegen mich, sah mich
mit den dunkeln Augen an, und sagte: "Dessen er¬
innert ihr euch, und das macht euch Schmerz?"

pfunden, und hatte derſelbe ihr Geſpräch auf das
Waſſer gelenkt, oder war durch das Geſpräch ein
leichter Durſt in ihr hervorgerufen worden: ſie ſtand
nun auf, nahm die Alabaſterſchale in die Hand, ließ
ſie ſich in dem ſanften Strahle füllen, ſezte ſie an ihre
ſchönen Lippen, trank einen Theil des Waſſers, ließ
das übrige in das tiefere Becken fließen, ſtellte die
leere Schale an ihren Plaz, und ſezte ſich wieder zu
mir auf die Bank.

Mir war das Herz ein wenig gedrückt, und ich
ſagte: „Wenn wir beide das Schöne dieſes Ortes be¬
trachtet, und wenn wir von ihm und von andern Din¬
gen, auf die er uns führte, gerne geſprochen haben,
ſo iſt doch etwas in ihm, was mir Schmerz erregt.“

„Was kann euch denn an dieſem Orte Schmerz
erregen?“ fragte ſie.

„Natalie,“ antwortete ich, „es iſt jezt ein Jahr,
daß ihr mich an dieſer Halle abſichtlich gemieden habt.
Ihr ſaßet auf derſelben Bank, auf welcher ihr jezt ſizet,
ich ſtand im Garten, ihr tratet heraus, und ginget
von mir mit beeiligten Schritten in das Gebüſch.“

Sie wendete ihr Angeſicht gegen mich, ſah mich
mit den dunkeln Augen an, und ſagte: „Deſſen er¬
innert ihr euch, und das macht euch Schmerz?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0418" n="404"/>
pfunden, und hatte der&#x017F;elbe ihr Ge&#x017F;präch auf das<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er gelenkt, oder war durch das Ge&#x017F;präch ein<lb/>
leichter Dur&#x017F;t in ihr hervorgerufen worden: &#x017F;ie &#x017F;tand<lb/>
nun auf, nahm die Alaba&#x017F;ter&#x017F;chale in die Hand, ließ<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich in dem &#x017F;anften Strahle füllen, &#x017F;ezte &#x017F;ie an ihre<lb/>
&#x017F;chönen Lippen, trank einen Theil des Wa&#x017F;&#x017F;ers, ließ<lb/>
das übrige in das tiefere Becken fließen, &#x017F;tellte die<lb/>
leere Schale an ihren Plaz, und &#x017F;ezte &#x017F;ich wieder zu<lb/>
mir auf die Bank.</p><lb/>
        <p>Mir war das Herz ein wenig gedrückt, und ich<lb/>
&#x017F;agte: &#x201E;Wenn wir beide das Schöne die&#x017F;es Ortes be¬<lb/>
trachtet, und wenn wir von ihm und von andern Din¬<lb/>
gen, auf die er uns führte, gerne ge&#x017F;prochen haben,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t doch etwas in ihm, was mir Schmerz erregt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was kann euch denn an die&#x017F;em Orte Schmerz<lb/>
erregen?&#x201C; fragte &#x017F;ie.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Natalie,&#x201C; antwortete ich, &#x201E;es i&#x017F;t jezt ein Jahr,<lb/>
daß ihr mich an die&#x017F;er Halle ab&#x017F;ichtlich gemieden habt.<lb/>
Ihr &#x017F;aßet auf der&#x017F;elben Bank, auf welcher ihr jezt &#x017F;izet,<lb/>
ich &#x017F;tand im Garten, ihr tratet heraus, und ginget<lb/>
von mir mit beeiligten Schritten in das Gebü&#x017F;ch.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie wendete ihr Ange&#x017F;icht gegen mich, &#x017F;ah mich<lb/>
mit den dunkeln Augen an, und &#x017F;agte: &#x201E;De&#x017F;&#x017F;en er¬<lb/>
innert ihr euch, und das macht euch Schmerz?&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[404/0418] pfunden, und hatte derſelbe ihr Geſpräch auf das Waſſer gelenkt, oder war durch das Geſpräch ein leichter Durſt in ihr hervorgerufen worden: ſie ſtand nun auf, nahm die Alabaſterſchale in die Hand, ließ ſie ſich in dem ſanften Strahle füllen, ſezte ſie an ihre ſchönen Lippen, trank einen Theil des Waſſers, ließ das übrige in das tiefere Becken fließen, ſtellte die leere Schale an ihren Plaz, und ſezte ſich wieder zu mir auf die Bank. Mir war das Herz ein wenig gedrückt, und ich ſagte: „Wenn wir beide das Schöne dieſes Ortes be¬ trachtet, und wenn wir von ihm und von andern Din¬ gen, auf die er uns führte, gerne geſprochen haben, ſo iſt doch etwas in ihm, was mir Schmerz erregt.“ „Was kann euch denn an dieſem Orte Schmerz erregen?“ fragte ſie. „Natalie,“ antwortete ich, „es iſt jezt ein Jahr, daß ihr mich an dieſer Halle abſichtlich gemieden habt. Ihr ſaßet auf derſelben Bank, auf welcher ihr jezt ſizet, ich ſtand im Garten, ihr tratet heraus, und ginget von mir mit beeiligten Schritten in das Gebüſch.“ Sie wendete ihr Angeſicht gegen mich, ſah mich mit den dunkeln Augen an, und ſagte: „Deſſen er¬ innert ihr euch, und das macht euch Schmerz?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/418
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/418>, abgerufen am 05.05.2024.